Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Kann Mann Kanzlerin?
Nach 20 Jahren wird die CDU wohl wieder einen Mann an die Spitze wählen, der auch Kanzlerkandidat wird. Die Zeiten einer unaufgeregten bis kühlen Angela Merkel sind dann vorbei. Männer sind oft emotionaler als Frauen.
Es hatte eine Weile gedauert, bis Angela Merkel richtig angesprochen wurde. „Frau Bundeskanzler“lautete oft die Anrede, nachdem die Christdemokratin 2005 als erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik das Kanzleramt übernommen hatte. Die Physikerin ließ das kalt. Es war ihr gar nicht so wichtig. Zu Beginn ihrer langen Karriere vermied sie es ohnehin, Politik für Frauen zu machen oder Profit aus ihrer Sonderstellung als Frau auf der national wie international von Männern geprägten höchsten Politikebene zu schlagen. Keinesfalls wollte sie anders behandelt werden, nur weil sie eine Frau ist, und sie selbst legte an Frauen dieselben Maßstäbe an wie an Männer. Ihre beiden Kriterien waren schon immer: Wie klug und wie vertrauenswürdig ist er oder sie? Danach hat sie auch ihren engsten Beraterstab ausgesucht. Beraterinnenstab.
Eine politische Parteinahme für ihr weibliches Geschlecht wollte Merkel sich aber nicht vorhalten lassen. Sie ignorierte dabei, dass Männer gar keine Probleme haben, etwas für Männer zu tun, weil sie es für ganz normal halten, sich gegenseitig zu stärken gegen wen oder was auch immer. Erst zum Ende ihrer Amtszeit, bis dahin über jeden Zweifel an einer Bevorzugung von Frauen erhaben, fing Merkel an, offen über fortdauernde Benachteiligungen von Frauen – wie bei der Vergabe von Spitzenposten in Vorständen und Aufsichtsräten oder der Unterstützung für politische Ämter – zu sprechen.
Sie selbst sieht sich aber bis heute nicht als Feministin, weil sie keine Alice Schwarzer sei, die Frauenrechte erkämpft habe, sagte Merkel einmal. Und doch ist es Merkel, die der Gleichberechtigung von Frauen in Deutschland schlicht durch ihren Aufstieg an die Spitze der CDU und der Republik einen riesigen Dienst erwiesen hat und im Jahr 2020 einen Höhepunkt beschert.
Durch die Frage: Können auch Männer Bundeskanzlerin werden?
Es ist nicht damit zu rechnen, dass einem Armin Laschet, Jens Spahn, Friedrich Merz (alle CDU), Markus Söder (CSU) oder womöglich Robert Habeck (Grüne) die Begrüßung „Herr Bundeskanzlerin!“widerfahren würde. Auch im Grundgesetz ist bis heute vom Bundeskanzler die Rede. Aber es ist jetzt etwas Besonderes, dass nach Merkel – und ihrer nun gescheiterten Favoritin für die Nachfolge, Annegret Kramp-Karrenbauer – aller Voraussicht nach wieder ein Mann den Parteivorsitz übernehmen wird. Jedenfalls ist keine Frau als Kandidatin in Sicht.
Die Nation hat mit Merkel einen Politikstil erlebt, der unaufgeregt, manchmal kühl ist. Sie hat abgewartet, andere toben lassen, selten Öl ins Feuer gegossen und im Sinne eines Kompromisses meistens versucht, auch mit Konkurrenten auf Augenhöhe und gesichtswahrend zu verhandeln. Gerhard Schröders Basta-Politik war passé. Auch wenn bei Merkel das Basta schon am Anfang eines Konflikts im Kopf war, sie hat – wie sie es immer sagt – vom Ende gedacht und Unterstützer für ihre Linie gesucht. Beharrlich, ausdauernd, zäh. Geholfen haben ihr dabei Nerven aus Stahl und ein „Teflon-Anzug“. Angriffe, Spott, Intrigen ließ sie erst einmal abperlen. Sie nimmt Kritik einfach nicht persönlich und glaubt nicht an Verschwörungstheorien gegen sich. Auch aus Selbstschutz. Sonst hätte sie nicht 18 Jahre Parteivorsitz und bisher gut 14 Jahre Kanzlerschaft überstanden.
Merkel hat nach Ansicht ihrer Kritiker nicht nur viele Fehler im Amt gemacht, sondern durch ihre präsidiale Amtsführung auch offenes Ringen um die besten Positionen unterdrückt. Der weiße Elefant habe mitten im Raum gestanden, und niemand habe sich getraut zu sagen, dass da ein großer weißer Elefant steht, formulierte es einmal Jens Spahn. Auf Merkels Habenseite bleibt aber: dienstälteste Regierungschefin in Europa, Schuldenkrise, Eurokrise, Griechenlandkrise,
Flüchtlingskrise überstanden.
Kramp-Karrenbauer ist phasenweise als streitbarer in der CDU empfunden worden, strebte aber immer den Ausgleich an und nahm sich dafür oft selbst zurück. Und beide Frauen kündigten ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz an, als sie überzeugt waren, dass sie den Weg für andere freimachen müssen. Umstürzlern kamen sie zuvor. Frauen können das besser, sagt dazu etwa der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.
Von den möglichen Kandidaten für den CDU-Vorsitz steht Armin Laschet am stärksten in Merkels Tradition. Auch er regiert in Nordrhein-Westfalen recht präsidial. Seine Chancen richten sich auch danach, inwieweit er Merkels Gegnern versichern kann, dass es mit ihm kein Weiter-so geben wird. Mit seinem rheinischen Frohsinn nimmt er harten Entscheidungen oft die Schärfe. Er wird als zugewandt und lebendig wahrgenommen, er kann sich über Kritik aufregen und wieder Freundschaft schließen. Als ein Zeichen dafür, dass Friedrich Merz sich immer noch gern dafür revanchieren würde, dass Merkel ihn vor bald 20 Jahren als Unionsfraktionschef ausbootete, werteten Parteimitglieder seine wütende Kritik, wie „grottenschlecht“die Bundesregierung sei. Am nüchternsten wird seit seiner Kampfkandidatur gegen Kramp-Karrenbauer und Merz im Dezember 2018 um den Parteivorsitz Jens Spahn wahrgenommen. Er arbeitete im Gesundheitsministerium einen Gesetzentwurf nach dem anderen ab. Alle drei halten sich jetzt mit Äußerungen aber zurück.
In der CDU besteht die Angst vor einer Zerreißprobe um die künftige Richtung. Mehr rechts, mehr links? Ein Bundestagsabgeordneter aus NRW sagt, er habe erstmals ernsthafte Bedenken, dass der nächste Kanzler von den Grünen gestellt wird. Halt. Vielleicht doch wieder Kanzlerin? Politiker verschiedener Parteien sowie der ein oder andere Wirtschaftschef tun in vertraulichen Gesprächen bereits kund, wer ihrer Ansicht nach bei den Grünen die größere Nervenstärke habe: Habecks Co-Vorsitzende Annalena Baerbock.
Merkel nimmt Kritik einfach nicht persönlich und glaubt nicht an Verschwörungstheorien gegen sich