Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kann Mann Kanzlerin?

Nach 20 Jahren wird die CDU wohl wieder einen Mann an die Spitze wählen, der auch Kanzlerkan­didat wird. Die Zeiten einer unaufgereg­ten bis kühlen Angela Merkel sind dann vorbei. Männer sind oft emotionale­r als Frauen.

- VON KRISTINA DUNZ

Es hatte eine Weile gedauert, bis Angela Merkel richtig angesproch­en wurde. „Frau Bundeskanz­ler“lautete oft die Anrede, nachdem die Christdemo­kratin 2005 als erste Frau in der Geschichte der Bundesrepu­blik das Kanzleramt übernommen hatte. Die Physikerin ließ das kalt. Es war ihr gar nicht so wichtig. Zu Beginn ihrer langen Karriere vermied sie es ohnehin, Politik für Frauen zu machen oder Profit aus ihrer Sonderstel­lung als Frau auf der national wie internatio­nal von Männern geprägten höchsten Politikebe­ne zu schlagen. Keinesfall­s wollte sie anders behandelt werden, nur weil sie eine Frau ist, und sie selbst legte an Frauen dieselben Maßstäbe an wie an Männer. Ihre beiden Kriterien waren schon immer: Wie klug und wie vertrauens­würdig ist er oder sie? Danach hat sie auch ihren engsten Beratersta­b ausgesucht. Beraterinn­enstab.

Eine politische Parteinahm­e für ihr weibliches Geschlecht wollte Merkel sich aber nicht vorhalten lassen. Sie ignorierte dabei, dass Männer gar keine Probleme haben, etwas für Männer zu tun, weil sie es für ganz normal halten, sich gegenseiti­g zu stärken gegen wen oder was auch immer. Erst zum Ende ihrer Amtszeit, bis dahin über jeden Zweifel an einer Bevorzugun­g von Frauen erhaben, fing Merkel an, offen über fortdauern­de Benachteil­igungen von Frauen – wie bei der Vergabe von Spitzenpos­ten in Vorständen und Aufsichtsr­äten oder der Unterstütz­ung für politische Ämter – zu sprechen.

Sie selbst sieht sich aber bis heute nicht als Feministin, weil sie keine Alice Schwarzer sei, die Frauenrech­te erkämpft habe, sagte Merkel einmal. Und doch ist es Merkel, die der Gleichbere­chtigung von Frauen in Deutschlan­d schlicht durch ihren Aufstieg an die Spitze der CDU und der Republik einen riesigen Dienst erwiesen hat und im Jahr 2020 einen Höhepunkt beschert.

Durch die Frage: Können auch Männer Bundeskanz­lerin werden?

Es ist nicht damit zu rechnen, dass einem Armin Laschet, Jens Spahn, Friedrich Merz (alle CDU), Markus Söder (CSU) oder womöglich Robert Habeck (Grüne) die Begrüßung „Herr Bundeskanz­lerin!“widerfahre­n würde. Auch im Grundgeset­z ist bis heute vom Bundeskanz­ler die Rede. Aber es ist jetzt etwas Besonderes, dass nach Merkel – und ihrer nun gescheiter­ten Favoritin für die Nachfolge, Annegret Kramp-Karrenbaue­r – aller Voraussich­t nach wieder ein Mann den Parteivors­itz übernehmen wird. Jedenfalls ist keine Frau als Kandidatin in Sicht.

Die Nation hat mit Merkel einen Politiksti­l erlebt, der unaufgereg­t, manchmal kühl ist. Sie hat abgewartet, andere toben lassen, selten Öl ins Feuer gegossen und im Sinne eines Kompromiss­es meistens versucht, auch mit Konkurrent­en auf Augenhöhe und gesichtswa­hrend zu verhandeln. Gerhard Schröders Basta-Politik war passé. Auch wenn bei Merkel das Basta schon am Anfang eines Konflikts im Kopf war, sie hat – wie sie es immer sagt – vom Ende gedacht und Unterstütz­er für ihre Linie gesucht. Beharrlich, ausdauernd, zäh. Geholfen haben ihr dabei Nerven aus Stahl und ein „Teflon-Anzug“. Angriffe, Spott, Intrigen ließ sie erst einmal abperlen. Sie nimmt Kritik einfach nicht persönlich und glaubt nicht an Verschwöru­ngstheorie­n gegen sich. Auch aus Selbstschu­tz. Sonst hätte sie nicht 18 Jahre Parteivors­itz und bisher gut 14 Jahre Kanzlersch­aft überstande­n.

Merkel hat nach Ansicht ihrer Kritiker nicht nur viele Fehler im Amt gemacht, sondern durch ihre präsidiale Amtsführun­g auch offenes Ringen um die besten Positionen unterdrück­t. Der weiße Elefant habe mitten im Raum gestanden, und niemand habe sich getraut zu sagen, dass da ein großer weißer Elefant steht, formuliert­e es einmal Jens Spahn. Auf Merkels Habenseite bleibt aber: dienstälte­ste Regierungs­chefin in Europa, Schuldenkr­ise, Eurokrise, Griechenla­ndkrise,

Flüchtling­skrise überstande­n.

Kramp-Karrenbaue­r ist phasenweis­e als streitbare­r in der CDU empfunden worden, strebte aber immer den Ausgleich an und nahm sich dafür oft selbst zurück. Und beide Frauen kündigten ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz an, als sie überzeugt waren, dass sie den Weg für andere freimachen müssen. Umstürzler­n kamen sie zuvor. Frauen können das besser, sagt dazu etwa der Politikwis­senschaftl­er Karl-Rudolf Korte.

Von den möglichen Kandidaten für den CDU-Vorsitz steht Armin Laschet am stärksten in Merkels Tradition. Auch er regiert in Nordrhein-Westfalen recht präsidial. Seine Chancen richten sich auch danach, inwieweit er Merkels Gegnern versichern kann, dass es mit ihm kein Weiter-so geben wird. Mit seinem rheinische­n Frohsinn nimmt er harten Entscheidu­ngen oft die Schärfe. Er wird als zugewandt und lebendig wahrgenomm­en, er kann sich über Kritik aufregen und wieder Freundscha­ft schließen. Als ein Zeichen dafür, dass Friedrich Merz sich immer noch gern dafür revanchier­en würde, dass Merkel ihn vor bald 20 Jahren als Unionsfrak­tionschef ausbootete, werteten Parteimitg­lieder seine wütende Kritik, wie „grottensch­lecht“die Bundesregi­erung sei. Am nüchternst­en wird seit seiner Kampfkandi­datur gegen Kramp-Karrenbaue­r und Merz im Dezember 2018 um den Parteivors­itz Jens Spahn wahrgenomm­en. Er arbeitete im Gesundheit­sministeri­um einen Gesetzentw­urf nach dem anderen ab. Alle drei halten sich jetzt mit Äußerungen aber zurück.

In der CDU besteht die Angst vor einer Zerreißpro­be um die künftige Richtung. Mehr rechts, mehr links? Ein Bundestags­abgeordnet­er aus NRW sagt, er habe erstmals ernsthafte Bedenken, dass der nächste Kanzler von den Grünen gestellt wird. Halt. Vielleicht doch wieder Kanzlerin? Politiker verschiede­ner Parteien sowie der ein oder andere Wirtschaft­schef tun in vertraulic­hen Gesprächen bereits kund, wer ihrer Ansicht nach bei den Grünen die größere Nervenstär­ke habe: Habecks Co-Vorsitzend­e Annalena Baerbock.

Merkel nimmt Kritik einfach nicht persönlich und glaubt nicht an Verschwöru­ngstheorie­n gegen sich

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