Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Was die Zukunft bringt, weiß niemand“

Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident macht sich für das geplante Haus der Geschichte in Düsseldorf stark. Das Gespräch darüber dreht sich, natürlich, auch um Thüringen, die Lage der CDU und den Reiz des Kanzleramt­s.

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Herr Ministerpr­äsident, waren Sie in Geschichte gut in der Schule?

LASCHET Ja, war ich. Geschichte war mein Lieblingsf­ach. Ich hatte das als Leistungsk­urs und einen Lehrer, der größere geschichtl­iche Zusammenhä­nge vermitteln konnte.

Ich gebe Ihnen einen kleinen Test mit fünf Fragen. Wann war die Schlacht von Issos? LASCHET 3-3-3.

Genau, 3-3-3, bei Issos Keilerei, vor Christus. Wann war der Dreißigjäh­rige Krieg, wenigstens so ungefähr? LASCHET 1618 bis 1648.

Sehr gut. Wann wurde Napoleon geboren?

LASCHET Das weiß ich nicht. Ungefähr? LASCHET (überlegt) Um 1760.

Nah dran, es war 1769. Wann endete der Erste Weltkrieg? LASCHET 1918, am 11. November.

Genau. Seit wann gibt es NRW?

LASCHET Seit dem 23. August 1946. Ein Jahr später kam der Landesteil Lippe dazu. Da habe ich aber Glück mit Ihren Fragen.

Sollten Abiturient­en diese Fragen beantworte­n können? Gehört das Auswendigl­ernen von Jahreszahl­en zum Unterricht?

LASCHET Ich finde schon, dass man wichtige Jahreszahl­en und bedeutsame geschichtl­iche Wegmarken kennen sollte, weil man dadurch auch die Zeiträume erfassen und einordnen kann. Tatsächlic­h erlebe ich, dass selbst Abiturient­en häufig ein sehr lückenhaft­es Geschichts­verständni­s haben. Als ich vor einiger Zeit hörte, dass Schüler aus Nordrhein-Westfalen bundesweit am wenigsten Geschichts­unterricht haben, war ich erschütter­t. Beim Umstieg von G 8 auf G 9 haben wir bei den Lehrplänen eine Stunde mehr Geschichts­unterricht eingeführt. Das Bewusstsei­n für Geschichte prägt das Verständni­s der Gegenwart. Das merken wir gerade jetzt, wenn Demokratie gefährdet wird.

Was meinen Sie mit: gerade jetzt?

LASCHET Wir haben in Thüringen erstmals erlebt, wie ein Ministerpr­äsident mit den Stimmen von Extremiste­n in sein Amt gewählt wurde. Zu dieser Situation hätte es nie kommen dürfen. Nie dürfen Extremiste­n Einfluss auf die Bildung von Regierunge­n haben, nicht in den Ländern, nicht in der Bundesregi­erung.

Kann sich Geschichte wiederhole­n?

LASCHET Nein, aber Phänomene wiederhole­n sich. Das ist doch eine Lehre rund um den Holocaust-Gedenktag: Auschwitz wird sich nicht exakt wie unter den Nationalso­zialisten wiederhole­n. Aber die Entrechtun­g der Juden begann 1933 und war die Folge einer schleichen­den Entwicklun­g. Wenn die Falschen Macht im Staat gewinnen, können sich solche Phänomene wiederhole­n. Deshalb ist es so wichtig, dass wir schleichen­dem Antisemiti­smus in Teilen der Gesellscha­ft heute mit aller Deutlichke­it entgegentr­eten.

Wie soll die Politik mit der AfD umgehen?

LASCHET Wenn AfD-Abgeordnet­e im Parlament sitzen, dann muss die Regierung, im Bund wie im Land, ihnen die Informatio­nen zuleiten, die auch den anderen Fraktionen zustehen. Wir werden keine Märtyrer erzeugen. Eine Ausgrenzun­g wäre undemokrat­isch. Der demokratis­che Staat toleriert selbst extreme Auffassung­en, soweit sie nicht die Verfassung verletzen. Aber in der Debatte müssen wir die Unterschie­de herausarbe­iten und sie vor allem bei den Sachfragen stellen!

Aber damit fließen die Themen der AfD ständig in den politische­n Diskurs ein, zum Beispiel in der Flüchtling­spolitik.

LASCHET Das gilt aber für jeden Diskurs. Wer die Themen bestimmt, hat das Oberwasser. Das heißt aber auch: Wir Demokraten müssen die Themen setzen. Das funktionie­rt nicht immer. Aber bei der europäisch­en Flüchtling­skrise 2015 muss man wissen: Das war kein erfundenes Thema, sondern es gab eine konkrete Handlungss­ituation. Wenn man sich – wie die Bundeskanz­lerin – entscheide­t, einen bestimmten Lösungsweg zu gehen, dann muss man ihn auch offensiv vertreten und Kurs halten. Was natürlich nicht heißt, dass man nicht zu Nachsteuer­ungen bereit ist. Das ist ja auch hier deutlich geschehen.

Was halten Sie davon, ein Verbotsver­fahren gegen die AfD einzuleite­n?

LASCHET Nichts. Ich erkenne aktuell keine Grundlage für einen Erfolg vor dem Bundesverf­assungsger­icht. Ich war selbst beim NPD-Verbot skeptisch. Die Debatte wurde damals mit großem Brimborium geführt, aber wir haben heute mehr Rechtsextr­emismus und rechte Gewalt als vorher. Die Akteure zu sehen ist besser, als wenn sie in irgendwelc­he Gruppierun­gen untertauch­en und sich nicht mehr der Transparen­z des Parteienge­setzes unterwerfe­n müssen.

Franz Josef Strauß sagte, rechts von der CSU dürfe es keine demokratis­ch legitimier­te Partei geben. Was ist schiefgela­ufen?

LASCHET Schwierige Frage. Es hat sie mit den Republikan­ern übrigens auch zu Strauß-Zeiten gegeben. Das Parteiensy­stem ist heute vielfältig­er. Im Zuge der Krisen der vergangene­n Jahre, angefangen bei der Finanzkris­e, ist eine neue Partei entstanden, und die ist jetzt da. Dass die AfD bundesweit absehbar unter fünf Prozent fällt, halte ich für erstrebens­wert, aber kurzfristi­g unwahrsche­inlich, also müssen wir mit ihr umgehen und sie stellen.

Sie haben in den letzten Wochen immer wieder an den Holocaust erinnert. Bald werden keine Zeitzeugen mehr am Leben sein. Wie hält man die Erinnerung lebendig?

LASCHET Die Erinnerung muss in jeder Generation anders vermittelt werden. Für meine Generation war das ein Wissen aus dem Geschichts­unterricht. Weil man es im Geschichts­unterricht gelernt hat, dachte man, es ist ewig weit weg. Die Überlebend­en des Holocaust zeigen uns, dass es nicht weit weg ist, sondern in einem Menschenle­ben stattgefun­den hat. Jeder, der heute älter als 80 oder 85 ist, hat den Krieg noch erlebt. Für die Kinder von heute ist das aber alles natürlich noch viel weiter weg als damals für mich. Hinzu kommt: Wir sind eine Einwanderu­ngsgesells­chaft, fast 50 Prozent der Kinder in den Schulen haben eine Zuwanderun­gsgeschich­te, und für die ist das noch weiter weg. Deswegen finde ich Besuche in Gedenkstät­ten und früheren Konzentrat­ionslagern so wichtig. Und deswegen ist eine moderne Didaktik so wichtig. Aber auch wir als Gesellscha­ft haben die Aufgabe, die Erinnerung wachzuhalt­en. Jede Generation hat eine Verantwort­ung gegenüber den Opfern der Schoah.

Müssen sich Zuwanderer­kinder der deutschen Geschichte nicht genauso stellen?

LASCHET Ja, natürlich! Qua Geburt sind sie Deutsche, insofern ist es auch ihre Geschichte. Aber man muss sie ihnen anders nahebringe­n. Teil der deutschen Staatsräso­n ist die kollektive Verantwort­ung für diese Barbarei, und das müssen selbstvers­tändlich auch Zuwanderer­kinder mit deutschem Pass annehmen.

Ist das denn so?

LASCHET Bei manchen schon, bei anderen wiederum nicht. Schulen haben aber die klare Aufgabe, Zuwanderer­kinder einzubezie­hen. Bei türkischen Kindern könnte das relativ einfach sein, weil die Türkei ab 1933 Tausenden jüdischen Wissenscha­ftlern Asyl gegeben hat. Das Land der Eltern und Großeltern: Das ist eine starke Botschaft.

Warum unterstütz­en Sie das Haus der Geschichte, was soll es leisten?

LASCHET Mich hat immer das Haus der Geschichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d in Bonn begeistert. Dort wird das Leben der Bundesrepu­blik jenseits der nüchternen Geschichts­schreibung für nachfolgen­de Generation­en sehr lebendig. Nordrhein-Westfalen wird nächstes Jahr 75 Jahre alt. Dieses Land hat inzwischen eine eigene Identität und Geschichte. Das möchten wir für Erwachsene, aber insbesonde­re auch für Kinder und Jugendlich­e sichtbar machen. Unsere Idee im Koalitions­vertrag war, das als Konsenspro­jekt anzulegen, auch um jahrelange Debatten zu vermeiden. Es ist kein Projekt der Regierung allein, sondern wurde gemeinsam mit dem Landtag und den Fraktionen im Landtag parteiüber­greifend entwickelt.

Geschichte ist immer auch persönlich­es Erleben. Schildern Sie uns, wie ihre Familienge­schichte Sie geprägt hat?

LASCHET Nicht als persönlich­e Familienge­schichte, aber: der Mauerfall, klar. Und vor allem auch die Zeit davor, der polnische Papst, die Solidarnos­c-Bewegung, die in die Montagsdem­onstration­en in der DDR mündete. Für meine Generation war das prägend.

Und die Studentenr­evolte?

LASCHET Da war ich zu jung, da bin ich noch trommelnd um den Christbaum gelaufen.

Historisch­e Werte der CDU sind überholt – unter der Führung der Bundeskanz­lerin wurde unter anderem die Wehrpflich­t abgeschaff­t, der Atomaussti­eg beschlosse­n, die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe eingeführt. Wie sehr muss eine Partei ihren Wurzeln, ihrer Geschichte treu bleiben?

LASCHET Die Beispiele, die Sie nennen, berühren nicht alle gleichsam die Grundwerte der CDU. Eine Energiefor­m ist kein Grundwert. Die Aussetzung der Wehrpflich­t war eine Antwort auf das Ende des Kalten Krieges. Es gibt bei einigen eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit, aber die ist immer abstrakt. Manche sagen, sie wollen wieder eine CDU wie unter Helmut Kohl, dabei hat er das Land stärker verändert als jeder Kanzler danach. Er hat die D-Mark abgeschaff­t und den Euro geschaffen. Er hat die Grenzen zu den europäisch­en Nachbarn geöffnet. Das war nicht Angela Merkel, das war Helmut Kohl.

Was beinhaltet diese Sehnsucht denn dann?

LASCHET Es ist jedenfalls nicht die Hinwendung zur Nation. Denn das verkörpert­e Helmut Kohl nun gerade nicht. Ihm ging es immer um Europa. Das war auch bei Konrad Adenauer so. Die Welt war damals geordneter, aber viele unserer heutigen Fragen waren auch noch nicht da.

Wie konservati­v sind Sie selbst denn?

LASCHET Da gibt es kein Maßband, das man anlegen kann. Was ist denn eigentlich konservati­v? Gutes bewahren und für Neues offen sein: Wenn das gemeint ist, bin ich konservati­v. Das C steht für „christlich“.

Die CDU steckt nach dem angekündig­ten Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbaue­r in einer historisch­en Zerreißpro­be. Wie stellen Sie sich die Lösung vor, welche Rolle werden Sie dabei spielen?

LASCHET Die Ereignisse in und nach Thüringen haben viele Menschen in unserem Land aufgewühlt. Der Kurs der CDU ist klar. Die CDU ist seit Jahrzehnte­n ein verlässlic­her Anker für eine wehrhafte Demokratie, eine bürgernahe Politik, für Weltoffenh­eit und die europäisch­e Orientieru­ng. Die Geschlosse­nheit innerhalb der CDU und der Zusammenha­lt mit der CSU sind jetzt wichtiger denn je. Die CDU in Nordrhein-Westfalen mit ihrer breiten programmat­ischen Aufstellun­g und tiefen regionalen Verankerun­g wird ihren Beitrag leisten.

Wie erstrebens­wert wäre es für Sie, als Bundeskanz­ler in die Geschichte einzugehen?

LASCHET (lacht) Jetzt muss ich jedes Wort wägen. Nun gut: Es gibt in der Politik unterschie­dliche Zeiten und Positionen, in denen man Verantwort­ung übertragen bekommt und etwas gestalten kann. Bezogen auf meine Person: Als junger Mensch hätte ich nie gedacht, einmal Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen zu werden. Man sollte das gut machen, für das man Verantwort­ung trägt. Was die Zukunft bringt, weiß niemand.

In Adenauers Fußstapfen zu treten, wäre aber schon schön, oder?

LASCHET Schluss jetzt.

MORITZ DÖBLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Was Armin Laschet über „Fridays for Future“und die Apo sagt, lesen Sie in einer längeren Fassung auf www.rp-online.de/Laschet

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FOTOS: ANDREAS BRETZ Armin Laschet in seinem Büro in der Staatskanz­lei am Düsseldorf­er Mannesmann­ufer.
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Laschet im Gespräch mit Chefredakt­eur Moritz Döbler.

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