Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Warum Kardinal Marx verzichtet
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz will nicht mehr kandidieren. Sein Einfluss wird dadurch geringer – auch auf den gerade erst begonnenen Reformkurs der katholischen Kirche hierzulande.
Diese Nachricht kam überraschend, aber sie kam nicht aus heiterem Himmel. Vielmehr muss man es als herben Rückschlag für die katholische Kirche in Deutschland sehen, wenn ihr prominentester und zugleich einer der reformfreudigen hohen Würdenträger den Rücktritt erklärt: Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, wird sich nach nur fünfjähriger Amtszeit vom Vorsitz der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) zurückziehen, das heißt: Er wird sich für eine eventuelle zweite Amtszeit nicht zur Verfügung stellen. Als Grund nannte er sein Alter. Marx ist 66, am Ende der nächsten Amtszeit dann 72 Jahre alt. Für Kirchenvertreter ist das nuicht wirklich alt: In der katholischen Kirche bitten Priester erst mit dem 75. Lebensjahr um Entpflichtung.
Die Bischofskonferenz trifft sich vom 2. bis zum 5. März in Mainz zu ihrer Frühjahrsvollversammlung. Dort steht dann auch die turnusmäßige Wahl des neuen Vorsitzenden an. „Ich finde, es sollte die jüngere Generation an die Reihe kommen – und vielleicht ist es auch gut, wenn es häufiger einen Wechsel in dieser Aufgabe gibt“, schreibt Marx in seinem Brief an die anderen Bischöfe.
Der Zeitpunkt des Amtsverzichts ist aus verschiedenen Gründen denkbar ungünstig. Dass er ihn dennoch wählte, deutet die Dramatik der aktuellen Situation an. Mit der Entscheidung von Marx wird zunächst das Kräfteverhältnis in der katholischen Kirche in Deutschland neu aufgestellt. Es ist zwar kein Gesetz, dennoch eine unausgesprochene Regel, dass Bischofskonferenzen vornehmlich von den Kardinälen des jeweiligen Landes geleitet werden. Bischof Karl Lehmann – der erst viel später auch zum Kardinal ernannt wurde – war damals die große Ausnahme. Seit dem Zweiten Weltkrieg leiteten ausschließlich Kardinäle die Konferenz; von den sechs Amtsträgern stammten zwei aus Köln, drei aus München.
In der Bischofskonferenz gibt es derzeit nur noch einen weiteren Kardinal, das ist der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki. Zwischen ihm und Marx gab es, vorsichtig ausgedrückt, in vielen zentralen Punkten erhebliche Meinungsverschiedenheiten, insbesondere für den Reformkurs der
Kirche, der jüngst mit dem Synodalen Weg begonnen wurde. Während Marx sich gegenüber Reformideen, so zum Zölibat oder auch zum Weiheamt für Frauen, moderat und diplomatisch aufgeschlossen zeigte, sieht Woelki in diesen Fragen die Gefahr des Relativismus heraufziehen. Seine Befürchtung ist es, dass die Kirche vor allem dem Zeitgeist hinterherlaufe, statt sich auf die Evangelisierung der Kirche zu konzentrieren.
Seit gestern ist die Nachfolgefrage entbrannt. Die Wiederwahl von Marx galt als sicher. Jetzt zeigt sich, dass nur einer sie verhindern konnte: Marx selbst. Wer ihm folgt, muss zwei Drittel der 69 Bischöfe in der Vollversammlung hinter sich vereinen; erst im dritten Wahlgang zählt die einfache Mehrheit. Das ist in dieser Schar eigenständiger Köpfe keine Kleinigkeit. Unberechenbar sind solche Wahlen auch, weil an der Abstimmung die nicht so bekannten Weihbischöfe teilnehmen, obgleich sie selbst nicht gewählt werden können.
Was das für den Reformweg heißt? Wenn Marx schon zu Beginn quasi „aussteigt“– zumindest als einflussreicher Vorsitzender der Bischofskonferenz –, dann ist dies ein schlechtes Zeichen. Und es könnte mit dem nachsynodalen Schreiben von Papst Franziskus zusammenhängen, das morgen veröffentlicht werden soll.
Dieser Brief wird mit Spannung erwartet. Denn auf der Amazonas-Synode im vergangenen Herbst wurde besprochen, ob unter bestimmten Umständen und bei erheblichem Priestermangel die Ausnahme gelten könnte, dass verheiratete Männer (die sogenannten Viri probati) zu Priestern geweiht werden könnten. Das wäre zwar ein großer Ausnahmefall. Doch zu erwarten wäre dann auch, dass mit solchen Regelungen – sind sie erst einmal in der Welt – ein Dominoeffekt eintreten und zumindest der Pflichtzölibat auf Dauer in der katholischen Kirche beendet werden könnte. Die Teilnehmer der Amazonas-Synode hatten sich mehrheitlich für diese Lösung ausgesprochen.
Wenn nun der Erzbischof von München erklärt, nicht mehr antreten zu wollen, und das einen Tag, bevor er selbst den Papst-Brief in Bonn vorstellt, so kann auch befürchtet werden, dass Franziskus sich gegen die Möglichkeit der Viri probati ausgesprochen hat. Sollte dies wirklich der Fall sein, wäre der synodale Weg hierzulande zwar nicht schon beendet. Die Reformkräfte aber bekämen dadurch einen merklichen und nachhaltigen Dämpfer. Denn was immer auch sie zum Zölibat künftig besprechen würden, täten sie dies in der Gewissheit, dass eine Zustimmung aus Rom zu dieser heiklen Frage ausbleiben würde.
Das Kräfteverhältnis der Reformbewegung wird dadurch verschoben. Zumal Kardinal Marx ein gutes Bindeglied zu den katholischen Laien war und ist. Sein gutes Zusammenspiel mit dem Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, war spürbar und bei öffentlichen Auftritten stets augenscheinlich.
Der von der aktuellen Nachricht überraschte ZdK-Präsident Sternberg betonte noch einmal, wie „vertrauensvoll“beide zusammengearbeitet hätten. „Marx hat mit seiner Mitarbeit am synodalen Weg kürzlich in Frankfurt deutlich gemacht, dass ein demokratisches Bewusstsein und eine Kirchenmitgliedschaft keine Gegensätze sein müssen“, sagte Sternberg unserer Redaktion. Und: „Ich setzte nach wie vor auf seine starke Stimme im Reformprozess und hoffe, dass wir den Weg so weitergehen können.“Marx hat neben Sternberg die Präsidentschaft der Synodalversammlung inne. Nun geht Sternberg davon aus, dass dieses Amt an den neuen Vorsitzenden der Bischofskonferenz übergeht.
Erstaunlich ist der Rücktritt aber auch für die Person Marx: der 66-Jährige ist ein gewiefter Kirchendiplomat, der weiß, wie Entscheidungen durchgesetzt werden können. Marx ist einer, der nicht so leicht umfällt und der dies mit kräftiger Stimme und kräftiger Konstitution auch hör- und sichtbar werden lässt. Ängstlichkeit kann ihm nicht attestiert werden. Zudem ist er als Mitglied verschiedener Kongregationen auch mit den Zu- und Umständen des Vatikans vertraut. Eine besondere Auszeichnung war seine Berufung in eine achtköpfige Kardinalsgruppe
„Ich finde, es sollte die jüngere Generation an die Reihe kommen“
Kardinal Reinhard Marx Erzbischof von München und Freising
2013. Diese soll Papst Franziskus beraten – bei der Leitung der Weltkirche und bei der Kurienreform. Nur ein Jahr später hatte Franziskus eine weitere Aufgabe für den Deutschen, diesmal als Koordinator des damals neu errichteten Wirtschaftsrates. Alles wichtige, aufwändige, zum Teil heikle Aufgabe. Keine Frage, Marx kennt die Weltkirche gut. Für Franziskus ist er ein wichtiger Mann in schwierigen Zeiten.
Marx, den Papst Johannes Paul II. 1996 zum Weihbischof und Papst Benedikt XVI 2007 zum Erzbischof von München und Freising ernannte, galt früh als linker Sozialethiker; spätestens seit 1989, als er Direktor des Sozialinstituts Kommende in Dortmund wurde.
Was kommt? Wenn es keine ganz überstürzte Entscheidung gewesen ist, wird sich Marx um seine Nachfolge gekümmert und sich für den Kandidaten nach Mehrheiten in der Bischofskonferenz umgeschaut haben. Und als Erzbischof hat er weiterhin eine bedeutende Stimme. Darum ist sein Amtsverzicht kein Nachruf, auch wenn es jetzt beinahe so klingt. Sein Einfluss aber wird kleiner werden.