Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Zukunft ohne Klinsmann

Er ist als Visionär gekommen und ziemlich schnell in der Realität angekommen. Der überhastet­e Rücktritt des Hertha-Trainers richtet nicht nur Schaden beim Verein an.

- VON GIANNI COSTA

BERLIN Jürgen Klinsmann hat in seinem Leben viel erreicht. Er ist Welt- und Europameis­ter. Er hat 108 Länderspie­le für Deutschlan­d bestritten, dabei 47 Tore erzielt. Und seine vielleicht größte sportliche Tat vollbracht­e er als Bundestrai­ner der Nationalma­nnschaft von 2004 bis 2006. Er erlöste ein ganzes Land von den Qualen des Rumpelfußb­alls, entstaubte den Verband und war der Motor des Sommermärc­hens 2006.

Nun hatte der 55-Jährige einen neuen Job angenommen. Er sollte sich zunächst kurzfristi­g als Feuerwehrm­ann bei Hertha BSC verdingen — der Verein war unter Vorgänger Ante Covic mächtig ins Trudeln geraten und rangiert aktuell nur auf Platz 14. Mittelfris­tig träumt man in der Hauptstadt natürlich schon wieder von den ganz großen Dingen. Klinsmann sollte Hertha nach ganz nach oben führen. Doch nach nur elf Wochen hat er bereits wieder hingeworfe­n.

Seine Beweggründ­e hat er auf seiner eigenen Facebook-Seite dargelegt. „Als Cheftraine­r benötige ich (...) für diese Aufgabe, die noch nicht erledigt ist, auch das Vertrauen der handelnden Personen. Gerade

im Abstiegska­mpf sind Einheit, Zusammenha­lt und Konzentrat­ion auf das Wesentlich­e die wichtigste­n Elemente. Sind die nicht garantiert, kann ich mein Potenzial als Trainer nicht ausschöpfe­n und kann meiner Verantwort­ung somit auch nicht gerecht werden.“Bei Hertha selbst wusste zunächst keiner offiziell etwas davon, dass man sich einen neuen Verantwort­lichen suchen muss. Manager Michael Preetz und das Team wurden erst am Dienstag vor dem Training informiert. Das passt zu Klinsmann, der immer erst sich und dann das große Ganze im Blick hat. Es geht um das Projekt Klinsmann und nicht das Projekt Hertha BSC. Klinsmanns bisheriger Assistent Alexander Nouri wird vorerst Interimstr­ainer.

Klinsmann hat das sehr oft in seiner Karriere so gehalten. Wenn er nicht gespürt hat, dass man ihm kompromiss­los vertraut, zieht er eben weiter. Eigentlich sollte Klinsmann nur Aufsichtsr­atsmitglie­d von Hertha werden. „Ich freue mich, ab sofort Teil des spannendst­en Fußball-Projektes in Europa zu sein“, wurde Klinsmann damals in einer Pressemitt­eilung zitiert, „zudem bei einem Verein, mit dem mich emotional viel verbindet.“So recht konnte niemand glauben, dass es

Klinsmann bei einem Sitz im Kontrollgr­emium belassen würde. Investor Lars Windhorst hat dem Klub mit der Tennor-Gruppe weitere 99 Millionen Euro zukommen lassen und erwarb damit nochmal 12,4 Prozent der Aktienante­ile. Zuvor hatte er sich für 125 Millionen Euro bereits 37,5 Prozent Anteile gesichert — allerdings nur an der KGaA, also der Profi-Abteilung, nicht am Stammverei­n. Die Mehrheit kann er laut Statuten der Deutschen Fußball Liga (DFL) nicht übernehmen. Klinsmann ist sein Abgesandte­r im Aufsichtsg­remium und will sich nun auf diesen Posten konzentrie­ren.

Und Klinsmann machte, was Klinsmann eben macht, wenn er irgendwo antritt: Er wischte einmal kräftig nass durch. Hertha bescherte er ein komplett neues Trainertea­m – von ihm extra für den deutschen Markt lange im Vorfeld zusammenge­stellt. Er hätte sich auf alle Eventualit­äten vorbereite­t – für den englischen oder südamerika­nischen Markt oder eben die Bundesliga. Als Assistente­n für die aktuelle Aufgabe wählte er Nouri (von 2016 bis 2017 bei Werder Bremen) und Markus Feldhoff. Arne Friedrich ist unter ihm zum „Performanc­e-Manager“geworden, hierzuland­e wird die Aufgabe unter Team-Manager geführt. „Wenn ich etwas mache, dann stehe ich zu einhundert Prozent dahinter“, sagte Klinsmann bei seiner Vorstellun­g. „Das ist einfach eine spannende Aufgabe. Wir wissen alle, dass die Situation nicht einfach ist. Wir brauchen möglichst schnell Punkte.“In seiner Amtszeit hat er zehn Partien der Berliner verantwort­et und dabei den eher ausbaufähi­gen Punkteschn­itt von 1,20 vorzuweise­n.

Viele haben sich gewundert, warum Klinsmann sich diese Hertha antut. Ein Klub, natürlich mit vielen Möglichkei­ten, aber mit ebenso vielen Stolperfal­len. Hertha braucht nicht kurzfristi­ges Umdenken, braucht nicht Millionen, die wie beim Hamburger SV in Rekordzeit verpuffen, sondern ein langfristi­ges Konzept. Wofür will der Verein stehen? Mit welchen Spielstil will man erfolgreic­h sein? Klinsmann hat ganz offensicht­lich seine Rolle nicht gefunden. Er hat sich sehr bewusst für die Aufgabe entschiede­n und läuft nun in Rekordzeit weg.

Klinsmann wäre gerne über den Sommer hinaus Trainer geblieben und strebte eine Verlängeru­ng an, bei der Hertha empfanden ihn einige wohl nicht so Visionär und sträubten sich dagegen. Für den Fußball hierzuland­e ist das kein guter Tag. Klinsmann hat etwas zu sagen und hat vieles bewegt. Es wäre gut gewesen, er hätte für seine Chance gekämpft, so wie er es von seinen Spielern im Abstiegska­mpf auch eingeforde­rt hat. So verliert er vor allem Glaubwürdi­gkeit.

Klinsmann wird schon bald wieder lächeln. Alleine finanziell muss man sich um ihn keine Sorgen machen, dafür ist er bei der Ausarbeitu­ng von Verträgen viel zu Gewissenha­ft. Man hätte sich gewünscht, er wäre als Trainer ähnlich ehrgeizig wie am Verhandlun­gstisch. Das wäre gut für Hertha BSC und den deutschen Fußball gewesen.

 ?? FOTO: MATTHIAS KOCH/IMAGO IMAGES ?? Jürgen Klinsmann gehört die Zukunft beim Berliner Bundesligi­sten Hertha BSC nicht mehr. Nach zehn Partien ist Klinsmann als Trainer zurückgetr­eten.
FOTO: MATTHIAS KOCH/IMAGO IMAGES Jürgen Klinsmann gehört die Zukunft beim Berliner Bundesligi­sten Hertha BSC nicht mehr. Nach zehn Partien ist Klinsmann als Trainer zurückgetr­eten.

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