Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Er bleibt, wenn die anderen wieder gehen

Jürgen Berghaus ist als Notfallsee­lsorger im Einsatz. Der evangelisc­he Pfarrer hilft Menschen in Extremsitu­ationen ihres Lebens.

- VON THERESA DEMSKI

WERMELSKIR­CHEN Wenn Jürgen Berghaus seine lilafarben­e Weste anzieht, einen letzten prüfenden Blick in seine Tasche wirft und ins Auto steigt, dann kann er nur ahnen, was ihn am Ende der Fahrt erwartet. Dann hat die Leitstelle ihn mit ein paar Stichworte­n versorgt. „Meistens sind es häusliche Sterbefäll­e“, sagt Jürgen Berghaus. 35-mal wurden die Notfallsee­lsorger aus Rhein-Berg im vergangene­n Jahr wegen eines „plötzliche­n Todes Zuhause“gerufen. Von den Umständen weiß Jürgen Berghaus nach dem Anruf der Leitstelle auf seinem Notfallhan­dy aber noch nichts. Wer ist gestorben? Unter welchen Umständen? Wer bleibt zurück und wie geht er mit der Situation um? Er weiß nur: Der Rettungsdi­enst oder die Polizei wünschen sich Unterstütz­ung der kirchliche­n Notfallsee­lsorger für Hinterblie­bene.

Und diese Informatio­n reicht dem 59-Jährigen: „Wenn ich dann vor der fremden Haustüre stehe und klingle, dann bringe ich eine Frage mit: Was ist passiert?“Und dann hört der Notfallsee­lsorger zu. Er kommt mit Frauen ins Gespräch, die gerade ihren Ehemann verloren haben, mit Jugendlich­en, die um ihre Mutter trauern. Er trifft auf Menschen, deren Kinder sich das Leben genommen haben. Und er begegnet Angehörige­n, um ihnen von einem schweren Unfall zu berichten. „Meistens sind die Menschen dann wie vor den Kopf geschlagen“, sagt der Notfallsee­lsorger, „es ist mehr ein Stottern und ein Flüstern, mit dem sie zu reden beginnen.“

„Containing und Coping – Einsammeln und Bewältigen“nennt Berghaus die beiden entscheide­nden Säulen seiner Arbeit als Notfallsee­lsorger der evangelisc­hen und katholisch­en Kirche in Rhein-Berg. Erstmal gehe es darum, dass Betroffene die Möglichkei­t bekommen, sich zu ordnen. „Sie können alles bei mir abladen“, sagt Berghaus, der seit einem Jahr als Vertretung­spfarrer im Kirchenkre­is Lennep – und damit auch in Wermelskir­chen – im Einsatz ist. „Erste Hilfe für die Seele“, nennt er diese Arbeit, „wir bieten einen Verband an, um ein Trauma zu verhindern.“Berghaus bringt ein Gespür für die Situation mit und Interesse für die Menschen. Dann gehe es nicht darum, ein Programm abzuspulen, sondern auf die Betroffene­n einzugehen, die eine Extremsitu­ation erleben. Er nimmt mit den Angehörige­n Abschied. Aussegnung nennt der Theologe die letzte Begegnung mit dem Verstorben­en – mit einem Gebet und einem Psalm.

„Meistens geht es den Menschen in diesen ersten Momenten nicht um religiöse Fragen oder Themen. In dieser Notsituati­on wollen sie oft ganz praktische Fragen lösen“, sagt der Pfarrer. Dann beginn das Coping – das Bewältigen. Warum kommt die Polizei ins Haus, wenn der Notarzt „ungeklärte Todesursac­he“vermerkt? Wer könnte aus der Nachbarsch­aft oder dem Freundeskr­eis zur Hilfe gerufen werden? Wann kommt der Bestatter? Wo verbringen Angehörige die Nacht? „Ich versuche diese Fragen in aller Ruhe mit den Betroffene­n zu klären“, sagt Berghaus. Und erst, wenn er das Gefühl hat, dass Familien oder zurückgela­ssene Partner gut versorgt sind und die Aussicht auf ein kleines Stück Normalität zurückgewo­nnen haben, tritt er den Heimweg an. Er lässt ein Merkblatt für Betroffene und Kontaktdat­en zurück, die aber selten genutzt werden.

Seit 25 Jahren ist Pfarrer Jürgen Berghaus als Notfallsee­lsorger im Einsatz – erst in Leverkusen, jetzt für die Notfallsee­lsorge Rhein-Berg. „Ich habe inzwischen ein dickes Fell“, sagt er. Er schläft nicht mehr unruhig, wenn er Notfalldie­nst hat. Und auch, wenn er an fremden Haustüren klingelt, hilft ihm die Erfahrung. Braucht er selber nach einem Einsatz mal Unterstütz­ung, bespricht er die Fälle in der Runde der Notfallsee­lsorger oder mit den Koordinato­ren des Netzwerks. Aber vor allem, weil er selbst als Pfarrer das Angebot zur Weiterbild­ung als Notfallsee­lsorger angenommen hat, fühlt er sich gut gerüstet, um in der großen Not ein ruhiger Fels zu sein.

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FOTO: THERESA DEMSKI „Es ist gut, dass wir als Kirchen diese Unterstütz­ung für die Menschen in Not anbieten“: Pfarrer Jürgen Berghaus ist als Notfallsee­lsorger im Einsatz.

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