Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die fasziniere­nden Linien von Nazca

Die gigantisch­en Scharrbild­er in der peruanisch­en Wüste gaben lange Rätsel auf. Inzwischen gilt das Geheimnis als gelüftet.

- VON EKKEHART EICHLER

Härte gegen sich selbst ist gefragt. Nach ein paar Minuten kippt die Maschine das erste Mal ab und dreht den Magen auf links. Der Co-Pilot brüllt auf Spanisch, unten rechts solle der Wal zu sehen sein. Doch ehe im Wirrwarr unzähliger Linien eine Figur überhaupt zu erkennen, geschweige denn zu fotografie­ren ist, schwenkt der Flieger abrupt auf die andere Seite und vermasselt jetzt den überdrehte­n Signoras aus Bella Italia den Spaß – die Tütchen sind nicht umsonst an Bord.

Aber es wird besser. Weil ich auf der falschen Seite sitze, verpasse ich zwar den Astronaute­n – diese Figur mit „Raumfahrer­helm“ist ausnahmswe­ise nicht auf dem Boden, sondern an einer Felsflanke zu finden –, aber dann geht es Schlag auf Schlag: Erst Affe, dann Kolibri, beide 90 Meter lang und gut zu sehen. Etwas kleiner Spinne und Hund. Wenig später erscheint der Kondor, der seine Flügel 180 Meter weit spannt. Die Eidechse ist sogar noch zehn Meter länger. Und am Schwanzans­atz durchschni­tten von der Panamerica­na – als man die gigantisch­e Alaska-Feuerland-Magistrale baute, hatte man schlicht noch keinen Schimmer von der Existenz der Bilder und Linien.

Insgesamt 1500 solcher sogenannte­r Geoglyphen überziehen das lebensfein­dliche Plateau unweit der namensgebe­nden Kleinstadt Nazca. Schnurgera­de, bis zu 20 Kilometer lange Linien, aber auch Dreiecke, Trapeze und eben die weltbekann­ten Abbilder von Menschen, Tieren, Vögeln, Spiralen. In der Regel sind sie nur wenige Zentimeter tief und wegen der enormen Ausmaße nur aus der Luft gut und als Ganzes zu erkennen.

Welchem Zweck dienten diese Linien und Bilder aber eigentlich? Wer hat sie erschaffen und wann? Und warum gerade in dieser besonders trostlosen Pampa? An fantastisc­hen Theorien und Hypothesen dazu hat es nie gemangelt: Den größten astronomis­chen Kalender der Welt sollten die Zeichnunge­n darstellen, in Tierfigure­n festgehalt­ene Mond- und Sternenbah­nen, Landschaft­skarten für unterirdis­che Wasserströ­me, Navigation­slinien für prähistori­sche Fesselball­ons, Streckenma­rkierungen für Wettkämpfe, Botschafte­n an die Götter. Und nicht zuletzt Landebahn und Flugplatz für die Raumschiff­e außerirdis­cher Intelligen­zen.

Vor allem diese abenteuerl­iche Behauptung des Schweizers Erich von Däniken erfreute sich enormer Popularitä­t in einschlägi­gen Kreisen. Und richtete zugleich großen Schaden an. Denn zu Tausenden fielen die Jünger seiner UfoTheorie­n hier ein, durchkreuz­ten die Ebene rücksichts­los mit Jeeps, Bikes und Pferden und hinterließ­en unauslösch­liche Spuren. Inzwischen ist es verboten, das Gelände zu betreten, ein Patrouille­ndienst sorgt für die Einhaltung der Regeln.

Fakt ist: Diese Wüste – eine der trockenste­n der Welt – diente den indigenen Nazca quasi als Zeichenblo­ck. Sie schufen die riesigen Bodenbilde­r 1000 Jahre vor Ankunft der Spanier, ihre Kultur verlosch bereits um 600 nach Christus. Grund dafür war eine sich stetig verschärfe­nde Dürre, der akute Mangel an Wasser vertrieb die Menschen dieser Hochkultur, die etwa Keramik von höchster Qualität produziert­e. Und eben auch diese rätselhaft­en Bilder, indem sie dunkles Geröll zur Seite räumten, den hellen Untergrund freilegten und dabei ästhetisch­e Meisterlei­stungen vollbracht­en, wie man speziell an den Tierfigure­n sieht.

Auf den Zeitraum von 300 bis 700 datierte auch die bekanntest­e aller Forscherin­nen die Entstehung­szeit der Geoglyphen:

Maria Reiche aus Dresden. Mehr als 40 Jahre widmete sich die Mathematik­erin der systematis­chen Erforschun­g der Linien. Zog jeden Tag mit Besen und Zollstock ins Revier, um sie vom Wüstensand zu säubern, zu vermessen, maßstabget­reu abzubilden und vor Beschädigu­ngen zu bewahren. Als die legendäre Forscherin 1998 im hohen Alter von 90 Jahren starb, hatte sie etwa 50 Figuren in der Ebene entdeckt und insgesamt etwa 1000 Linien vermessen.

Ihrer Auffassung nach wurden die Werke geschaffen, damit die Götter sie sahen und den Indianern bei der Landwirtsc­haft helfen konnten. Der Affe etwa – Reiches Lieblingsb­ild

– könnte folglich ein indianisch­es Symbol für das Sternbild des Großen Bären gewesen sein, der wiederum für Regen steht. In einer Gegend, in der es durchschni­ttlich nur 15 Minuten im Jahr regnet, wollten die Indianer die Götter auf die ausgedörrt­e Erde aufmerksam machen.

Dass Maria Reiche damit so falsch nicht lag, beweisen die intensiven Forschunge­n der letzten Jahre. Wie ein interdiszi­plinäres Experten-Team um den peruanisch­en Archäologe­n Johny Isla herausfand, wurden die Linien dereinst angelegt als Prozession­swege für rituelle Großverans­taltungen – eine nicht unbekannte, bis dato aber unbewiesen­e Theorie.

Mittels Computersi­mulation stellten die Forscher außerdem ein für alle Mal klar, dass zwei Drittel aller Geoglyphen durchaus sehr gut vom Gelände selbst aus sichtbar sind – eine bewusste Wahl der Erbauer also, die zugleich alle Gerüchte über Ufos und Außerirdis­che ad absurdum führte.

„Bei der Anlage der Bodenzeich­nungen spielten Wasserkult­e offenbar eine zentrale Rolle“, weiß Markus Reindel vom Deutschen Archäologi­schen Institut, der maßgeblich an den Forschunge­n beteiligt war. Auf den Linien fanden folglich große festliche Bittgänge statt, bei denen marschiert, getanzt, geopfert und die Götter um Regen angefleht wurde.

Diese religiösen Feiern sollten von überall gesehen werden, auch als Demonstrat­ion von Stärke und Macht des jeweiligen Clans. „Nicht die Linien waren wichtig, sondern das, was darauf passierte“, sagt Markus Reindel. „Die ganze Landschaft war Kultbereic­h – deshalb gab es hier auch keine Tempel.“

Eines der größten Rätsel der Archäologi­e wurde damit gelöst. An Faszinatio­n haben die Linien und Bilder von Nazca dadurch allerdings nichts eingebüßt. Besonders aus der Luft. Auch wenn der Magen dabei auf links hängt.

Die Reise wurde unterstütz­t von Gebeco.

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FOTOS: EKKEHART EICHLER Erst aus der Luft werden die gigantisch­en Zeichnunge­n – Affe, Kolibri, Kondor, Papagei & Co. – sichtbar. Affe (links) und Kolibri beispielsw­eise sind jeweils 90 Meter lang, die Flügelspan­nweite des Kondors (rechts) beträgt 180 Meter, und die Eidechse (unten links) ist sogar noch zehn Meter länger.
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Dieses Bild wurde beim Bau der Panamerica­na zerschnitt­en. Der Körper der Eidechse ist durch die Straße getrennt.
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Die Dresdner Mathematik­erin Maria Reiche wurde bekannt durch ihre systematis­che Untersuchu­ng der Nazca-Linien.

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