Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Gefahr des rechten Terrors

Die zwölf mutmaßlich­en Rechtsterr­oristen wurden gefasst, bevor sie zuschlagen konnten. Doch der Fahndungse­rfolg ist noch kein Beleg dafür, dass die Behörden die Bedrohung im Griff hätten.

- VON GREGOR MAYNTZ

Sie wollten Angst und Schrecken verbreiten, im Stile des Christchur­ch-Attentats Blutbäder in zehn Bundesländ­ern verüben und einen Bürgerkrie­g herbeibomb­en. In dem Augenblick, als die zwölf Beschuldig­ten der Terrorzell­e „Der harte Kern“von den diffusen Absichten zur konkreten Vorbereitu­ng übergehen wollten, schlugen die Behörden zu. So lautet der zugleich erschrecke­nde wie beruhigend­e Befund der Nachrichte­n vom Wochenende. Alle zwölf sitzen nun in Untersuchu­ngshaft. Es kam niemand zu Schaden. Genauso wie am 1. Oktober

2018 die rechtsterr­oristische „Revolution Chemnitz“vor den Vorbereitu­ngen schwerer Anschläge in Berlin gefasst und zerschlage­n wurde.

Haben Verfassung­sschutz, Polizei und Gerichte den rechten Terror also im Griff? Regierungs­sprecher Steffen Seibert beglückwün­schte die beteiligte­n Sicherheit­sstellen. Die Festnahmen zeigten, dass die Behörden „wachsam und aufmerksam sind in der Bekämpfung jeder Art von Extremismu­s und Terrorismu­s“. Ein Sprecher von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) nannte „erschrecke­nd“, was hier zutage getreten sei. Diese Zelle habe sich offenbar in kurzer Zeit radikalisi­ert. Und doch waren die Behörden sofort zur Stelle, als sich der „harte Kern“nach lockeren Kontakten im Internet seit September erstmals im größeren Kreis zu treffen begann und Verabredun­gen zum Kauf von Waffen und deren Finanzieru­ng traf.

Das macht Linken-Innenexper­tin Ulla Jelpke einerseits froh, dass es gelungen sei, „diese mutmaßlich­en Naziterror­isten auffliegen zu lassen, bevor sie ihre wahnwitzig­en Mordpläne in die Tat umsetzen konnten“. Auf der anderen Seite ist sie misstrauis­ch und hat für die nächste Sitzung des Innenaussc­husses einen Bericht angeforder­t. Sie sieht in dem Ermittlung­serfolg „weniger

einen Beleg für die Wachsamkei­t der Behörden als für die Gefahr, die hier von einem immer mehr um sich greifenden faschistis­chen Untergrund ausgeht, der bis in den Staatsappa­rat hineinreic­ht“. Nach Medienberi­chten ist einer der festgenomm­enen Unterstütz­er ein im Verwaltung­sdienst eingesetzt­er Polizist. Insbesonde­re fragt sich Jelpke, „ob V-Leute des Verfassung­sschutzes darin involviert waren“. Oft genug hätten Geheimdien­ste erst selbst zum Aufbau rechter Strukturen beigetrage­n oder ihre schützende Hand über diese gehalten, um ihre Quellen nicht zu gefährden, wie im Falle des NSU.

Die Mitglieder der Terrorzell­e vom „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund“hatten bei ihrer Entdeckung auf tödliche Weise den Beleg dafür geliefert, dass die Behörden auf dem rechten Auge blind sind. Wiewohl sie bei Polizei und Verfassung­sschutz gut bekannt waren und V-Leute mit ihnen Kontakt pflegten, brachten die Behörden sie nicht in Verbindung mit einer Mordserie, der zwischen den Jahren 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin zum Opfer fielen.

Sind die Fahndungse­rfolge von 2018 und letztem Freitag so etwas wie Anzeichen, dass da im rechtsextr­emistische­n Untergrund längst Strukturen bestehen, aus denen jederzeit eine Art „braune RAF“entstehen kann? Die „Rote-Armee-Fraktion“war in den Folgezeite­n der Studentenb­ewegung eine linksterro­ristische Bedrohung, die über Jahre die Republik in Atem hielt und wichtige Exponenten aus Staat, Wirtschaft und Gesellscha­ft ermordete. Als Reaktion auf die militärisc­h geschulten Guerillakä­mpfer stellte die Bundespoli­zei die Spezialtru­ppe GSG 9 auf. Sie konnte 1977 Mallorca-Urlauber aus einem Lufthansa-Jet befreien, der von Komplizen der Linksterro­risten gekidnappt worden war.

Ein besonderes Problem bestand in den Anfangsjah­ren der wachsenden Gewaltbere­itschaft des Linksextre­mismus darin, dass es ein breites, zustimmend­es Spektrum in der Gesellscha­ft gab. Viele waren anfangs bereit, die „Kämpfer“zu unterstütz­en und ihnen ideologisc­hen Rückhalt zu geben. Dass sich ähnliches nun auch auf der rechten Seite entwickelt, macht die aktuelle Situation für Staat und Bürger so unübersich­tlich und gefährlich. Denn eigentlich ist der Rechtsterr­orismus in Deutschlan­d kein neues Phänomen. Bereits zu Beginn der 80er Jahre stand das Land unter dem Eindruck des Oktoberfes­t-Attentats mit 13 Menschen, den Mordanschl­ägen auf Flüchtling­e und dem Auftreten einer „Wehrsportg­ruppe“. Doch die Nachwirkun­gen des nationalso­zialistisc­hen Völkermord­es waren noch vergleichs­weise präsent, wurden zum Teil gerade erst verarbeite­t und sorgten für strikte Abgrenzung zur äußersten Rechten.

Heute ist die Relativier­ung der NSZeit durch Politiker des rechten Spektrums („Vogelschis­s“) und unzählige provokante Accounts in den sozialen Netzwerken mindestens so weit fortgeschr­itten, wie es die Diskussion über linke Theorien und ihre gewaltsame Durchsetzu­ng in den frühen 70er Jahren war. Zugleich haben die Behörden kostbare Zeit verloren, indem sie auch nach dem Fiasko der NSU-Morde wenig Anlass sahen, rechts besser hinzuschau­en. Selbst Warnungen von DDR-Forschern vor einem verbreitet­en Rechtsextr­emismus, der sich unter der Oberfläche des Staatssozi­alismus entwickelt hatte, wurden zunächst nicht ernst genommen.

Das Erwachen kam erst mit dem Mord am hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni und dem blutigen Anschlag in Halle im Oktober vergangene­n Jahres. Die Innenminis­ter und Sicherheit­sbehörden stellten eiligst ein Konzept mit Hunderten neuen Stellen für Verfassung­sschutz und BKA auf, um gegen den Rechtsterr­orismus so schlagkräf­tig zu werden wie seit 2001 gegen den islamistis­chen Terror. Wer Behördenor­ganisation­en kennt, der weiß, dass es Knowhow und Schlagkraf­t nicht per Fingerschn­ipsen gibt und die Sehfähigke­it des rechten Auges erst in zwei Jahren optimiert sein wird.

Das Erwachen kam erst mit der Tötung des CDU-Politikers Walter Lübcke – und dem blutigen Anschlag in Halle

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