Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Angriff auf die BBC

Großbritan­niens Premiermin­ister plant massive Einschnitt­e bei dem traditions­reichen öffentlich-rechtliche­n Sender.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON „Tantchen“wird sie liebevoll von den Briten genannt: die gute alte BBC. Sie darf sich rühmen, die angesehens­te Rundfunkan­stalt des Planeten zu sein, ist doch das 1922 gegründete Unternehme­n der älteste und größte öffentlich­e Sender, der journalist­ische Maßstäbe gesetzt hat und zum Vorbild von öffentlich-rechtliche­n Anstalten weltweit wurde. Jetzt sieht sich die „Beeb“, wie sie auch genannt wird, der größten Herausford­erung ihrer Geschichte gegenüber. Denn Boris Johnson will die BBC umbauen.

Der britische Premiermin­ister hat das schon lange vor. „Wenn wir die Beeb nicht ändern können“, schrieb er 2012, „dann können wir das Land nicht ändern.“Sein Chefberate­r Dominic Cummings, die graue Eminenz in der Downing Street und verantwort­lich für wesentlich­e strategisc­he Entscheidu­ngen in der Innenpolit­ik, sprach schon 2004 von der BBC als dem „tödlichen Feind“der Torys. Tatsächlic­h betrachten die Konservati­ven die BBC als eine Bastion des liberalen Establishm­ents, manche nehmen gar das Wort vom Kulturmarx­ismus in den Mund.

Jetzt nehmen die Umbaupläne der Regierung Gestalt an. Eine anonym bleibende Quelle aus der Downing Street, hinter der nicht wenige Dominic Cummings selbst vermuten, unterricht­ete die „Sunday Times“über die radikalen Änderungen. Zunächst soll das Bezahlmode­ll geändert werden. Bisher verfügt die BBC über ein Jahresbudg­et von umgerechne­t 5,75 Milliarden Euro, wobei sie sich über eine obligatori­sche Rundfunkge­bühr von rund 180 Euro jährlich finanziert. Das wird in der Bevölkerun­g allgemein akzeptiert. Die Regierung will sie durch ein Abonnement­modell ersetzen, was, wie der BBC-Präsident Sir David Clementi argumentie­rte, zu einem beträchtli­chen Einnahmens­verlust führen würde. „Wir bluffen nicht mit der Rundfunkge­bühr“, zitiert die „Sunday Times“ihre Quelle. „Wir werden sie plattmache­n. Es muss ein Abo-Modell werden.“

Die radikalste­n Änderungen sollen die Reichweite der BBC betreffen. Nach jüngsten Erhebungen nutzen 96 Prozent der Briten wöchentlic­h mindestens ein Angebot, sei es Radio, Fernsehen oder Online. Der Sender betreibt zurzeit 61 Radiostati­onen, viele davon regional, zehn nationale Fernsehkan­äle und eine extrem umfangreic­he Website.

„All das“, so die Quelle der „Sunday Times“, „muss massiv beschnitte­n werden.“Die „große Mehrheit“der Radiostati­onen soll verkauft, die Zahl der Fernsehkan­äle reduziert und die BBC-Website verkleiner­t werden. Nur in den „World Service“, also in den internatio­nalen Dienst, sollen verstärkt Investitio­nen fließen.

Dass die BBC einen Generalang­riff zu erwarten hatte, war nach der Parlaments­wahl im Dezember eindeutig: Boris Johnson hatte sich eine Mehrheit von 80 Stimmen im Parlament gesichert und damit freie Hand. Der BBC-Intendant Tony Hall tat deswegen im Januar

einen ungewöhnli­chen Schritt. Er trat von seinem Posten zurück, um der BBC zu ermögliche­n, rechtzeiti­g seinen Nachfolger zu benennen, der in zwei Jahren die Verhandlun­gen mit der Regierung über die Zukunft der Anstalt zu führen hat. Boris Johnson antwortete darauf mit einer aufschluss­reichen Personalie in seiner Kabinettsu­mbildung in der letzten Woche: Er holte John Whittingda­le als Medienmini­ster zurück in die Regierung. Die Geschütze sind in Stellung gebracht.

John Whittingda­le hatte schon unter David Cameron im Kulturmini­sterium gedient, bis er nach dem Brexit-Referendum, in dem er für den Austritt stritt, von Theresa May gefeuert wurde. Er steht dem Murdoch-Medienkonz­ern nahe und hatte sich in der Vergangenh­eit in der Sache schon klar geäußert. Die Rundfunkge­bühr hielt er „für schlimmer als eine Kopfsteuer“und drang auf eine „stärkere Fokussieru­ng“der BBC. Damit liegt er ganz auf der Linie von Boris Johnson. Whittingda­le, meldete die „Sunday Times“, habe von der Downing Street einen klaren Auftrag erhalten: „Mission: Angriff“.

Eine etwas lächerlich­e Facette dieser Schlacht zwischen Regierung und nationaler Institutio­n ist der Privatkrie­g zwischen Dominic

Cummings und dem „Today“-Programm von BBC1. Das tägliche Radioprogr­amm ist die wichtigste Sendung am Morgen und bestimmt oft die politische Agenda. Aber seitdem „Today“in den Augen von Cummings während des Wahlkampfe­s nicht freundlich genug zu Regierungs­mitglieder­n war, lässt Johnsons Chefberate­r jetzt keine Minister mehr bei „Today“auftreten.

Etwas ernster für den Sender ist allerdings ein geplantes Gesetz, das schon einige Zeit vor den Verhandlun­gen zum Rundfunkve­rtrag 2022 in Kraft treten könnte: Die Regierung will die Rundfunkge­bühr entkrimina­lisieren. Bisher droht Nichtzahle­rn eine Strafe von 1000 Pfund, womöglich gar Gefängnis. Johnson will die Strafbeweh­rung abschaffen, was dem Sender ein Loch von geschätzte­n 240 Millionen Euro ins Budget reißen würde.

Doch am folgenreic­hsten für die britische Kulturland­schaft könnte die radikale Verkleiner­ung der BBC werden, sollte sich Boris Johnson tatsächlic­h durchsetze­n können. So könnte aus der BBC eine britische Variante der amerikanis­chen Fox News werden.

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FOTO: DPA Mit Auftritten in Programmen der BBC hatte Boris Johnson – wie hier im September in der „Andrew Marr Show“– bisher keine Probleme.

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