Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Was die Einheitskr­ankenkasse bringen würde

Wenn die private Krankenver­sicherung abgeschaff­t wird, würde nach einer Bertelsman­n-Studie jeder Kassenpati­ent 145 Euro im Jahr sparen. Private Krankenkas­se und Beamtenbun­d widersprec­hen.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Der alte Streit um die Abschaffun­g der privaten Krankenver­sicherung flammt neu auf. Nun hat die Bertelsman­n-Stiftung berechnet, was es bringen würde, wenn auch Selbststän­dige, gut verdienend­e Angestellt­e und Beamte Pflichtmit­glieder der gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV ) wären. Danach würde deren Beitragssa­tz um 0,2 bis 0,6 Prozentpun­kte sinken. Im Schnitt könnte jeder gesetzlich Versichert­e und sein Arbeitgebe­r 145 Euro im Jahr sparen. Grüne und SPD sehen die Studie als Bestätigun­g ihrer Forderung nach einer Bürgervers­icherung. Der Verband der privaten Krankenver­sicherung (PKV) kritisiert die Studie.

Für Stefan Etgeton, Gesundheit­sexperte der Stiftung, hätte eine Einheitska­sse viele Vorteile: So würden die Lasten der gesetzlich­en Versicheru­ng auf mehr Schultern als bisher verteilt. „Der durchschni­ttliche GKV-Versichert­e zahlt mehr als nötig, damit sich Gutverdien­er, Beamte und Selbststän­dige dem Solidaraus­gleich entziehen können“, kritisiert Etgeton. Das sei ein Problem, weil Privatvers­icherte im Schnitt 56 Prozent mehr verdienen als Kassenpati­enten. Zudem seien Privatvers­icherte tendenziel­l gesünder. Kämen sie in die GKV, könnte diese mit einem Überschuss von jährlich 8,7 bis 10,6 Milliarden Euro rechnen. Denn wer bereits krank ist, hat Schwierigk­eiten, überhaupt in die Privatvers­icherung aufgenomme­n zu werden. Diese führt eine Risikoprüf­ung durch und setzt auch den Beitrag in Abhängigke­it vom persönlich­en Krankheits­risiko fest. In der gesetzlich­en Krankenver­sicherung hängt der Beitrag dagegen nur von der Höhe des Einkommens ab.

Ein solches Nebeneinan­der von privater und gesetzlich­er Krankenver­sicherung würde sich zudem kein anderes Land in Europa leisten, betonen die Autoren der Studie weiter. Was sie vergessen: In Ländern, in denen es keine private Krankenver­sicherung gibt, rechnen Ärzte trotzdem privat ab – und das können sich nur Reiche leisten.

Der Verband PKV hält die Studie ohnehin für eine Luftnummer. Er verweist darauf, dass Privatpati­enten wichtige Umsätze zur Sicherung von Arztpraxen leisten. „Die angebliche Ersparnis von 145 Euro im Jahr ginge voll zu Lasten der ärztlichen Versorgung. Denn was die Versichert­en sparen, wird den Arztpraxen genommen“, erklärte PKV-Direktor Florian Reuther. Ohne Privatpati­enten gingen jeder Arztpraxis im Schnitt über 54.000 Euro pro Jahr verloren. Das würde die Versorgung­squalität beeinträch­tigen – etwa weil Praxen keine teuren Geräte mehr anschaffen können. Das weiß auch die Bertelsman­n-Stiftung und macht eine zweite Rechnung

auf: Würden die Honorarver­luste der Ärzte ausgeglich­en, läge die Ersparnis für die Kassenpati­enten bei 48 Euro jährlich, hieß es. Damit schrumpft der Vorteil plötzlich auf vier Euro im Monat zusammen.

Der Beamtenbun­d mahnte mit Blick auf die Arztpraxen ebenfalls, das Nebeneinan­der von privater und gesetzlich­er Krankenver­sicherung zu erhalten. Das duale System sei gelebte Solidaritä­t.

Die PKV hält es für unrealisti­sch, dass alle 8,7 Millionen Privatvers­icherte auf einen Schlag in eine Einheitska­sse wechseln. Dieses Szenario sei auch verfassung­swidrig: „Das Grundgeset­z schützt sowohl das Recht der Versichert­en auf Vertragsfr­eiheit als auch die Grundrecht­e der Versicheru­ngsunterne­hmen (Berufsfrei­heit).“Die Bertelsman­n-Autoren räumen das ein und nennen ihre Studie eine „rein rechnerisc­he Schätzung“.

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