Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Mindestabstand schützt Radfahrer
Die neue Straßenverkehrsordnung soll für mehr Sicherheit der Fahrradfahrer sorgen. Autofahrer müssen beim Überholen einen Mindestabstand einhalten. Ein Test in der Innenstadt zeigt, dass das an Engstellen nicht möglich ist.
1,50 Meter ist der Abstand zum Radler, den Autofahrer künftig in der Innenstadt einhalten müssen. Die Redaktion hat dies getestet.
WERMELSKIRCHEN Radfahrer sollen künftig sicherer auf Straßen unterwegs sein können: Autofahrer müssen einen großen Bogen um Radfahrer auf der Fahrbahn machen. Nach der neuen Straßenverkehrsordnung sind innerorts 1,50 Meter Mindestabstand einzuhalten, wenn Lkw- und Autofahrer Zweiradfahrer überholen. Das ist ungefähr der Abstand zwischen beiden Händen bei waagerecht ausgestreckten Armen. Außerorts sind es sogar zwei Meter, deutlich mehr als die durchschnittliche Körpergröße. Vorher war nur von einem ausreichenden Mindestabstand die Rede. Studien zufolge werden Radfahrer aber regelmäßig von Kraftfahrzeugen zu eng überholt, damit gefährdet und in Stress gebracht. Doch was bedeutet die neue Abstandsregel in der Praxis? Der Sprecher des ADFC Wermelskirchen, Frank Schopphoff, machte in Begleitung dieser Redaktion einen Test in der Innenstadt:
Auf dem Gepäckträger seines E-Bikes klemmt der geübte Radfahrer eine 1,60 Meter lange Pool-Nudel so ein, dass knapp 1,50 Meter der Schaumstoffrolle links seitlich herausragen – in den Straßenraum. Auf der Telegrafenstraße fährt Frank Schopphoff etwa einen halben Meter von der Bordsteinkante auf der Fahrbahn. Er nimmt auf dem Rad mit Gepäcktasche selbst circa 60 Zentimeter Breite ein. Zusammen sind das gut zweieinhalb Meter, die der Radfahrer plus Mindestabstand beanspruchen. Wenn auf der linken Fahrbahnseite wie an diesem Dienstag widerrechtlich geparkt wird, bleibt für Autos kein Platz zum Überholen des Rads. Ein SUV kommt auf 1,84 Meter Breite, bei geparkten Autos ragen Außenspiegel in den Straßenraum. Die Autofahrer rollen langsam hinter dem
E-Bike her, bis die Engstelle passiert ist. Schopphoff kommentiert: „Auf der Telefragenstraße sollten Fußgänger und Radfahrer absoluten Vorrang haben.“
Noch enger wird es auf dem Brückenweg: Wo Verkehrsinseln die Fahrbahn teilen, ist ein Überholen unmöglich, es sei denn man fährt auf die Gegenspur. Ein ungeduldiger Autofahrer fährt hupend über den gepflasterten Mittelstreifen an Frank Schopphoff vorbei. Ähnliche Reaktionen kennt der ADFC-Sprecher aus seinem Fahrradalltag.
Der kleine Test zeigt, dass die neuen Regeln vieles verändern werden. Die bisher stärksten Verkehrsteilnehmer werden gezwungen, mehr Rücksicht zu nehmen, langsam hinter Radfahrern her zu rollen. „Es muss ein Bewusstseinswandel erfolgen, in der Kleinstadt ist vieles noch nicht angekommen“, zieht Frank Schopphoff einen Vergleich zu fahrradfreundlichen Großstädten. Auch Fahrschulen müssten beginnen, dieses Bewusstsein zu schärfen. „Der Mindestabstand bedeutet, dass der Radfahrer an Engstellen nicht überholt werden darf, der Autofahrer muss hinter dem Radfahrer herfahren. Und der fährt im Durchschnitt mit 15 km/h“, sagt Schopphoff. Er und seine ADFC-Mitstreiter haben bereits 2018 auf dem „Trassenfest“für den 1,50 Meter-Mindestabstand demonstriert und Westen mit dem entsprechenden Slogan verteilt – auch an die offizielle Delegation mit dem Landrat.
Triumphiert er über die neuen Regeln? „Nein, aber es motiviert uns, weiter dicke Bretter zu bohren, wenn es um eine Erhöhung der Sicherheit für die schwächsten Verkehrsteilnehmer
geht: Fußgänger und Radfahrer“, sagt der Wermelskirchener, der seit Langem auch einen Rad-Schulweg-Plan fordert.
Wo sieht er aus seiner Erfahrung noch gefährliche Ecken und Routen, bei denen der geforderte Sicherheitsabstand auf der Strecke bleiben könnte? Einige Beispiele:
Wer auf der Balkantrasse aus Richtung Burscheid in die Innenstadt fährt, muss wegen geparkter Autos auf dem Schutzstreifen auf die Fahrbahn der Grüne Straße ausweichen, dort wird’s gefährlich eng.
Auf der Kreisstraße 18 fehlt ein Mittelstreifen. Auf der kurvenreiche Strecke kann theoretisch 100 km/h gefahren werden. Autofahrer, die hier einen Radfahrer überholen wollen, landen bei zwei Meter Abstand auf der Gegenfahrbahn. Schopphoff: „Denn Radfahrer halten eine Kanaldeckelbreite vom äußeren Straßenrand Abstand. Besser wäre es, die K 18 als Fahrradstraße auszuweisen, um Dabringhausen sicher an die Innenstadt anzubinden.“
An der Dellmannstraße/Ecke Burger Straße ist es für Radfahrer, die oft in Gruppen auf der so genannten Sengbach-Runde in Richtung Hünger unterwegs sind, so eng, dass es häufig zu brenzligen Situationen kommt. Der ADFC fordert hier eine Schleuse – einen rot markierten Fahrradstreifen. Denn Schopphoff glaubt nicht, dass die neue Abstandregelung an dieser Stelle allein die Sicherheit der Radfahrer erhöht.
Auch wenn die neue Straßenverkehrsordnung die Sicherheit der Radfahrer erhöht, der ADFC hat noch einen langen Forderungskatalog. KOMMENTAR