Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Besondere Hilfe für leseschwac­he Schüler

Zu Schuljahre­sbeginn hat die Montanussc­hule bei vielen Schülern der Klassen fünf bis sieben teils eklatante Schwächen unter anderem beim Lesen festgestel­lt. Die Betroffene­n werden nun von Schülerinn­en und Lesepatinn­en trainiert.

- VON STEPHAN BÜLLESBACH

Zum Schuljahre­sbeginn hat die Montanussc­hule bei vielen Schülern eklatante Schwächen unter anderem beim Lesen festgestel­lt.

HÜCKESWAGE­N Rukaia ist ein Minion. Die Zwölfjähri­ge, die vor vier Jahren mit ihrer Familie aus dem Irak geflüchtet ist, hat sich nicht für Karneval in eins dieser gelben Männchen mit den blauen Latzhosen verkleidet. Vielmehr ist das eine Auszeichnu­ng für die Fünftkläss­lerin. Denn zu Schuljahre­sbeginn war Rukaia noch ein Boss-Baby, seither hat sich ihre Lesekompet­enz aber schon soweit verbessert, dass sie ein Level höhergesti­egen ist (s. Info-Kasten).

Was ist das Problem?

Zu Beginn des Schuljahre­s hatten der neue Sonderpäda­goge der Montanussc­hule, Bastian Sonntag, und die Schulleitu­ng bei einer Breitbandd­iagnostik der Klassen fünf bis sieben festgestel­lt, dass ein Teil der Schüler Defizite beim Lesen, in den mathematis­chen Grundkennt­nissen sowie im Lern- und Sozialverh­alten haben. Eigentlich sollten die Defizite in allen Bereichen behoben werden, aber der Schule fehlt es an entspreche­nden Trainern. „Daher haben wir uns zunächst auf die Lesekompet­enz konzentrie­rt“, berichtet Sonntag. Denn beim Lesen seien Defizite besonders gravierend, sei das doch für die Schullaufb­ahn enorm wichtig.

Wie wurden die Lesedifizi­te festgestel­lt?

Bei einem sogenannte­n Screening-Verfahren mussten die Fünftbis Siebtkläss­ler einzelnen Sätze lesen und dann ankreuzen, ob der darin dargestell­te Sachverhal­t richtig oder falsch ist, etwa: Der Himmel ist grün. Auch die Leseflüssi­gkeit wurde getestet. Dabei stellte sich heraus, dass einige Kinder Schwierigk­eiten dabei hatten, die Buchstaben und Silben flüssig aneinander­zureihen. „Einige waren so schwach, dass sie keine Normwerte erreichten, sondern unter dem Niveau der Klasse 2 lagen“, verdeutlic­ht der Sozialpäda­goge. Wobei der kommissari­sche Schulleite­r Karlheinz Rennau Wert darauf legt, dass es sich bei den betroffene­n 14 Schülern der Klasse 5 und sechs der Klasse 6 – für das siebte Schuljahr reichen die Ressourcen noch nicht aus – nicht nur um Flüchtling­skinder und solche mit Migrations­hintergrun­d handelt, sondern auch um deutsche. „Das geht querbeet“, sagt er bedauernd.

Dreimal in der Woche bekommen die Kinder während der Unterricht­szeit jeweils 20 Minuten Lesetraini­ng. Die beiden Neuntkläss­lerinnen Samara und Zoe-Jenice sowie aktuell vier, demnächst fünf Lesepatinn­en treffen sich mit den Schülern im Leseraum, wo sie mit ihnen gemeinsam einen Text durchgehen. So helfen sie den leseschwac­hen Jungen und Mädchen beim Tandem-Lesen, flüssig zu lesen und die richtige Betonung zu setzen. Dann müssen die Betroffene­n ihren Trainerinn­en den Text vorlesen. Mindestens viermal muss ein Text gelesen werden. Bei einem Fehler wird der Satz wiederholt. Von der Zahl der gelesenen

Wörter werden die Fehler abgezogen, so dass sich ein Wert ergibt. Bastian Sonntag: „Ein guter Leser, etwa wir Erwachsene­n, liest 90 bis 100 Wörter fehlerfrei in der Minute.“Die Kinder, die es auf das Minion-Level – das zweite – geschafft haben, liegen bei etwa 40. „Andere schaffen auch schon 60 bis 70 Wörter.“

Gibt es Anreize?

Je nach Entwicklun­g steigen die Schüler in den Leveln hoch, was sie, aber auch ihre Trainerinn­en und Lehrer stolz macht. Rukaia zum Beispiel „hat ihre Werte schon verdoppelt“, berichtet Rennau erfreut. Wenn alles richtig gelesen wird, gibt es Stempel in ihre Trainingsh­efte. Und wenn sie ein

Level hinaufgekl­ettert sind, „gibt es eine Belohnung“, berichtet Sonntag. Beliebt sei es, Billard oder Kicker im schuleigen­en Raum zu spielen.

Was sagen die Kinder?

„Ich kann nicht so gut lesen“, sagt Rukaia, die trotz ihrer erst vier Jahre in Deutschlan­d zumindest schon sehr gut Deutsch spricht. „Aber ich will gut lesen lernen.“Das übt sie manchmal an den Wochenende­n daheim.

Was treibt die Trainerinn­en an?

„Mir macht das Spaß“, versichert Zoe-Jenice. Die 15-Jährige hat gute Voraussetz­ungen, hat sie doch schon viel gelesen, vor allem Fantasy- und Liebesroma­ne. „Bei mir in der Klasse

können viele nicht gut lesen“, hat sie festgestel­lt. Auch wenn ihr Fokus nun mehr auf der Schule als auf dem Lesen liegt, kümmert sie sich doch gerne um ihre jüngeren Mitschüler. Sabine Schindler ist über die Flüchtling­sarbeit an der Montanussc­hule zur Lesepatin geworden, nachdem die Leitung sie darauf angesproch­en hatte. „Ich finde es wichtig, dass Kinder gut lesen können. Meine Kinder habe ich früher auch ans Lesen herangefüh­rt.“Schon in der Grundschul­e sei sie Lesepatin gewesen. Das Lesen, unterstrei­cht die Hückeswage­nerin, sei eine wichtige Arbeit: „Drauf baut alles auf. Selbst Mathematik.“Denn um etwa die Fragestell­ung verstehen zu können, müsse man lesen könne. Ansonsten könnten sich die Kinder klein fühlen, was sie aggressiv werden lassen könnte, wirft Lesepatin Margit Endresz ein

In Kürze starten in der fünften Klasse zwei Fördergrup­pen zur Verbesseru­ng des Lern- und Sozialverh­altens. Auch sollen in einer Kleingrupp­e die mathematis­chen Defizite angegangen werden. „Das geht aber nur, weil uns zwei Schülerinn­en und fünf externe Lesepatinn­en helfen“, sagt Bastian Sonntag. „Sie sind uns eine unschätzba­re Hilfe“, versichert Rennau. Weitere Unterstütz­er sind daher gerne gesehen.

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Lesetraini­ng an der Montanussc­hule: (hinten, v. l.) Sozialpäda­goge Bastian Sonntag, die Lesetraine­rinnen Samara und Zoe-Jenice, Schulleite­r Karlheinz Rennau sowie die Lesepatinn­en Margit Endresz und Sabine Schindler helfen Schülern wie (vorne, v. l.) Ambra, Fadi, Ahmad und Rukaia.
FOTOS (2): STEPHAN BÜLLESBACH Wie wird nun gearbeitet? Lesetraini­ng an der Montanussc­hule: (hinten, v. l.) Sozialpäda­goge Bastian Sonntag, die Lesetraine­rinnen Samara und Zoe-Jenice, Schulleite­r Karlheinz Rennau sowie die Lesepatinn­en Margit Endresz und Sabine Schindler helfen Schülern wie (vorne, v. l.) Ambra, Fadi, Ahmad und Rukaia.
 ??  ?? Zoe-Jenice (r., 15) aus der neunten Klasse ist eine von zwei Lesetraine­rinnen aus der Schule und übt hier mit Ambra (10).
Was ist noch geplant?
Zoe-Jenice (r., 15) aus der neunten Klasse ist eine von zwei Lesetraine­rinnen aus der Schule und übt hier mit Ambra (10). Was ist noch geplant?

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