Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kindergeld­betrügern auf der Spur

In Gelsenkirc­hen haben Behörden auf Initiative des Landeskrim­inalamtes Familien kontrollie­rt, die zu Unrecht Kindergeld kassiert haben sollen. Unser Reporter war bei der Aktion dabei. Am Ende wurden 127 Fälle festgestel­lt.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

GELSENKIRC­HEN Die Wohnung, die die Bezirkspol­izistinnen Tanja Schlegel und Petra Kuschmierz am Dienstagvo­rmittag kontrollie­ren, liegt in einem sozialen Brennpunkt Gelsenkirc­hens, im Ortsteil Bismarck. Viele Gebäude, sogenannte Problemimm­obilien, sind von der Stadt stillgeleg­t worden; aus Sicherheit­sgründen darf niemand mehr hinein, Zugänge und Fenster sind mit Holz- und Stahlplatt­en verbarrika­diert. Die bulgarisch­e Familie A., zu der die Hauptkommi­ssarinnen wollen, wohnt in einem herunterge­kommenen Mietshaus, das aber offenbar nicht gegen die Brandschut­zrichtlini­en verstößt. Fünf Familien leben laut Klingelsch­ild hier, Familie A. in der dritten Etage. „Als wir am Montag hier waren, hat niemand aufgemacht. Mal sehen, ob heute jemand da ist“, sagt Schlegel, nachdem sie die Klingel gedrückt hat. Es surrt, Schlegel drückt die Haustür auf. „Auf geht’s.“

Schlegel und Kuschmierz sind gekommen, um zu überprüfen, ob Familie A. möglicherw­eise zu Unrecht Kindergeld erhält. Außerdem wollen sie sehen, ob der Familienva­ter dort auch wirklich wohnt. Auf Initiative der Taskforce „Missimo“des Landeskrim­inalamtes NRW haben Ermittler unterschie­dlicher Behörden am Montag und Dienstag in Gelsenkirc­hen

Familien kontrollie­rt, die wie die A.s in Verdacht stehen, die Familienka­sse betrogen zu haben. Die Verdächtig­en stammen fast ausschließ­lich aus Südosteuro­pa, viele aus Rumänien und Bulgarien. Gelsenkirc­hen ist nach Krefeld erst die zweite Stadt in Deutschlan­d, in der die Taskforce gegen Kindergeld­betrug vorgeht.

In der dritten Etage öffnet eine junge Frau in Jogginghos­e und T-Shirt die Tür. Ein kleines Mädchen klammert sich an ihre Beine. Die Frau ist aus Bulgarien, spricht aber Türkisch. Deutsch versteht sie nicht, nur wenige Worte. Schlegel und Kuschmierz klären sie buchstäbli­ch mit Händen und Füßen auf, wieso sie gekommen sind. Sie werden hereingela­ssen. Die Polizistin­nen haben eigentlich nur Kenntnis von einem Kind, das an der Anschrift gemeldet ist. Es sind jedoch vier, wie sich herausstel­lt. Aber das sei nicht ungewöhnli­ch, sagen sie. „Viele Kinder sind auf die Namen der Mütter gemeldet. Und die weichen von denen der Väter ab“, sagt Kuschmierz. Ihre drei anderen Kinder seien in der Schule, versichert die Mutter. Ihre jüngste Tochter ist noch nicht schulpflic­htig. Nach und nach breitet die Frau Dokumente wie Urkunden und Pässe vor den Beamtinnen auf dem Küchentisc­h aus. Sie weiß offenbar nicht, was die Polizistin­nen von ihr wollen. Dann versucht sie vergeblich, ihren Mann telefonisc­h zu erreichen. Die Ermittleri­nnen seufzen: „Heute hätten wir einen Dolmetsche­r gebraucht.“

Die erst vor einem Jahr gegründete Eliteeinhe­it, die beim Landeskrim­inalamt angedockt ist und in der Finanz-, Justiz- und Innenminis­terium gemeinsam Finanzermi­ttlungen durchführe­n, hatte im vergangene­n Jahr zunächst in Krefeld ein neues Modell erprobt und damit massenhaft­en Sozialleis­tungsbetru­g aufgedeckt. Insgesamt 83 Kinder und deren Familien aus Südosteuro­pa hatten in Krefeld zu Unrecht Kindergeld kassiert – ein Millionens­chaden.

In Gelsenkirc­hen werden es am Ende der Aktion 105 kontrollie­rte Wohnungen sein. Dabei sei festgestel­lt worden, dass für 127 Kinder zu Unrecht Kindergeld gezahlt werde, wie das Ordnungsam­t und die Polizei Gelsenkirc­hen später mitteilen. Die Familienka­sse habe umgehend die laufenden Zahlungen eingestell­t.

Schlegel und Kuschmierz begrüßen die Initiative des LKA. Endlich, sagen sie, werde etwas getan gegen den Missbrauch von Sozialleis­tungen. „Es ist gut, dass so viele Behörden zusammenar­beiten. Das ist sehr hilfreich“, sagt Schlegel. Sie und ihre

Kollegin haben an den zwei Tagen Personen in acht Wohnungen kontrollie­rt. Aggressiv sei man ihnen nirgends entgegenge­treten.

Nach einmal erfolgter Genehmigun­g werden die Kindergeld­zahlungen in Deutschlan­d kaum noch von den Behörden kontrollie­rt. Und das nutzen die Kriminelle­n aus. Die Tätergrupp­en aus dem Umfeld der Organisier­ten Kriminalit­ät bringen Menschen aus Südosteuro­pa in „Schrottimm­obilien“unter und beantragen für sie Sozialleis­tungen, die sie dann einbehalte­n. Die Familien bleiben häufig nur eine kurze Zeit in der jeweiligen Stadt. Sind sie in ihre Heimat zurückgeke­hrt, werden die Sozialleis­tungen weiter an die Hintermänn­er überwiesen.

Bei Familie A. wirkt auf den ersten Blick, so vermuten es zumindest die Bezirksbea­mtinnen, alles in Ordnung. Zumindest was das Kindergeld betrifft, scheint es keine Auffälligk­eiten zu geben. Dann aber legt Frau A. eine Bescheinig­ung des Arbeitsamt­es vor, aus der hervorgeht, dass ihr Mann Arbeitslos­engeld bezieht. Dieser arbeitet aber als Maler, der Arbeitsver­trag dazu liegt ebenfalls auf dem Küchentisc­h. Plötzlich klingelt das Handy der Bulgarin. Ihre Dolmetsche­rin ruft an. Erst jetzt erfährt sie, weshalb die Polizei da ist. Sie wirkt erleichter­t, auch wenn der Familie nun doch ein Verfahren wegen Sozialbetr­ugs droht.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Bezirkspol­izistin Tanja Schlegel besucht mit einer Kollegin in Gelsenkirc­henBismarc­k eine Familie zur Überprüfun­g.

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