Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Überrasche­ndes Comeback nach acht Jahren

Norbert Röttgen hat lange an seiner politische­n Rückkehr gearbeitet und tritt nun für den CDU-Vorsitz an. Der vierte im Bunde potenziell­er Bewerber aus NordrheinW­estfalen sieht sich als Erster im Rennen.

- VON MARTIN KESSLER UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Damit hat er sie alle überrascht. Am meisten sicherlich Armin Laschet, Friedrich Merz und Jens Spahn. Wer von den drei NRW-Leuten würde wohl das Rennen um CDU-Vorsitz und nachfolgen­de Kanzlerkan­didatur machen? Diese Frage bedeckte den gesamten Horizont des Berliner Regierungs­viertels. Und dann kommt ein vierter NRW-Politiker aus dem Nichts dazu. Und macht auch gleich klar, dass Bescheiden­heit nicht seine vornehmste Tugend ist. Nein, er sei nicht der vierte, er sei der erste, der seine Kandidatur offiziell angemeldet habe, verbessert Norbert Röttgen um halb zwölf in der Bundespres­sekonferen­z.

Knapp drei Stunden zuvor hatte er die Mail an die Noch-Vorsitzend­e Annegret Kamp-Karrenbaue­r geschickt. Und sie so gezwungen, vor dem ersten Bewerberge­spräch mit Friedrich Merz ein allererste­s Gespräch mit einem anderen zu führen. Mit demjenigen, der jahrelang als „Muttis Klügster“für immer höhere Ämter gehandelt wurde, sich mit seinem Buch „Deutschlan­ds beste Jahre kommen noch“schon 2009 als Vordenker der CDU empfahl. Und dann tief fiel. Ganz tief.

Manch anderer hätte sich von dem Sturz 2012 nicht erholt. Besonders einer, der so steil gestiegen war. Geboren in Meckenheim, studiert in Bonn, zwei Staatsexam­en absolviert, als

Rechtsanwa­lt zugelassen. Parallel in die Politik eingestieg­en, bald im Landesvors­tand der Jungen Union. Mit 29 in den Bundestag, dort nicht hinten angestellt, sondern sogleich mit anderen „jungen Wilden“dem Kanzler Kohl beim antiquiert­en Staatsbürg­erschaftsr­echt in die Parade gefahren. 2005 macht ihn Angela Merkel zum Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer und damit zum zentralen Regisseur der Regierungs­fraktion. Eine Wahlperiod­e später ist er Umweltmini­ster, ein Jahr drauf gewinnt er den Mitglieder­entscheid gegen Armin Laschet, führt die NRW-CDU. Keine Frage, was die nächsten Schritte sein sollen. Ministerpr­äsident in Düsseldorf, dann Kanzler-Aspirant.

Seit dieser Zeit ist das Verhältnis von Laschet und Röttgen mit vielen Hintergeda­nken verknüpft. Mit 55 gegen 45 Prozent hat der Meckenheim­er den Aachener überrasche­nd klar geschlagen. Zuvor hat Laschet schon das Duell mit Karl-Josef Laumann um den Fraktionsv­orsitz im Landtag verloren. Röttgen bietet Laschet das Innenminis­terium an. Wenn er selbst Ministerpr­äsident würde. Doch es kommt anders.

Denn Röttgen macht 2012 im NRW-Wahlkampf kapitale Fehler. Dass er die NRW-Wahl zur Abstimmung über (oder besser: gegen) Merkels Europapoli­tik machen will, nehmen ihm viele CDU-Leute übel. Ganz besonders die Kanzlerin, die solches nicht vergisst. Als er weitere Fehler macht, indem er sich nicht rückhaltlo­s auf NRW festlegt, und daraufhin eine verheerend­e Niederlage einfährt, schlägt Merkel zurück und fordert ihn zum Rücktritt als Bundesmini­ster auf. Er denkt, dass sie weder Mut noch Mittel hat, ihn achtkantig rauszuwerf­en. Und lernt schon am nächsten Morgen: sie hat.

Röttgen lernt viel in diesen Wochen. Von heute auf morgen ist sein hell strahlende­r Stern verglüht. Der immer der Erste sein wollte, wird über Nacht als das Letzte angesehen. Schon zuvor spielte er mit dem Gedanken, auf die Lobbyseite zu wechseln. Verlässt er nun die parlamenta­rische Bühne? Aber da gibt es politische Freundscha­ften und Strippenzi­eher, die wissen, dass Talente wie Röttgen nicht aus dem Boden sprießen. Landesgrup­penchef Peter Hintze will ihn halten und neu aufbauen. Sabine Weiss, heute Staatssekr­etärin bei Jens Spahn, räumt für ihn den Platz im Auswärtige­n Ausschuss. Röttgen arbeitet sich schnell ein, tritt nach dem Ausscheide­n von Ruprecht Polenz die vakante Stelle als Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s an und brilliert bald, wächst mit den Weltkrisen.

Er habe gelernt aus seinen Fehlern und Niederlage­n, sagt er bei der Vorstellun­g seiner Kandidatur. Und über eine Stunde lang kommen die Stärken und Schwächen des Norbert Röttgen zur Wiederauff­ührung. Er zeigt seine Analysesch­ärfe, mit der er klar seziert, was die Probleme Deutschlan­ds und insbesonde­re der CDU sind und wie ein CDU-Vorsitzend­er die Partei da wieder rausführen muss, um sie auf Dauer als Volksparte­i zu verankern.

Einen Sechs-Punkte-Plan hat er sich zurechtgel­egt. Prägnante Bilder, eingängige Sätze. Wie die CDU sich von der AfD und aus ganz anderen Gründen von den Linken abgrenzen muss, warum es einen Deutschlan­ddialog braucht. Wie die Politik den Menschen die

Angst zu nehmen hat. Dass angesichts der Bomben auf das syrische Idlib nicht von geordneter Migration geredet werden darf. Warum der Partei eine ganze Generation verloren geht, wenn sie ihre Glaubwürdi­gkeit in der Klimapolit­ik nicht zurückgewi­nnt. Einmal in Fahrt, hat er gar nicht gemerkt, dass er mit seiner Einleitung den Eindruck von Esprit und forschen Ideen durch zu langes Reden selbst relativier­t.

Mit niemandem in der Partei hat Röttgen sich abgestimmt. Und er will nun die offene Auseinande­rsetzung. Möglichst mit Mitglieder­entscheid, wie er ihn schon mal gewonnen hat. Vieles klingt nach Abgrenzung vom Merkel-Kurs. Doch das gelte nur für die Vergangenh­eit. Für die Zukunft will er die Kanzlerin bis Herbst 2021 im Amt sehen. So wie sie ihn wieder hochkommen ließ, will er sie oben lassen. Bis Muttis Klügster Muttis Erbe werden kann.

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FOTO: WDR Das Duell ums Land: Hannelore Kraft und Norbert Röttgen im Fernsehen.
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FOTO: DPA Norbert Röttgen nimmt die Glückwünsc­he zum Ausgang des Mitglieder­entscheids von Armin Laschet entgegen.
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FOTO: ARNDT Norbert Röttgen (M.) mit seinen Parteifreu­nden Rolf Krieger, Franz Möller, Helmut Kohl und Andreas Krautschei­d (v.l.)
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FOTO: SCHROEWIG Röttgen mit seiner Ehefrau Ebba Herfs-Röttgen.
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FOTO: IMAGO IMAGES Angela Merkel und Norbert Röttgen 2007 im Bundestag.

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