Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Sex-Skandal erschüttert Frankreichs Politik
Das Privatleben von Politikern galt lange als tabu – mit Benjamin Griveaux sind diese Zeiten wohl vorbei.
PARIS Die Kaste der Politiker in Frankreich erlebt ein Erdbeben. Der Rücktritt von Benjamin Griveaux wirkt wie ein Schock auf den Pariser Politikbetrieb. Zum ersten Mal muss ein hoher Politiker wegen intimer Enthüllungen zurücktreten. Gestolpert ist der Wunschkandidat von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für die Pariser Bürgermeisterwahl über ein Sex-Video mit ihm als Hauptdarsteller. Das Filmchen, dessen Echtheit nicht ganz geklärt ist, machte in den sozialen Netzwerken die Runde. Benjamin Griveaux reagierte prompt und zog einen Monat vor der Wahl seine Bewerbung zurück. Als Urheber des schlüpfrigen Machwerks outete sich der russischen Aktionskünstler Piotr Pawlensky, der in Frankreich im Exil lebt. Er habe Griveauxs „Scheinheiligkeit“
zur Schau stellen wollen, der immer wieder vom Wert der Familie spreche. Die Aufnahme habe er von einer Person erhalten, die eine „einvernehmliche Beziehung“mit Griveaux gehabt habe.
Über alle Parteigrenzen hinweg wird die Veröffentlichung einmütig als Tabubruch verurteilt, denn in Frankreich wurde bisher immer zwischen privatem und offiziellem Leben der Politiker getrennt. So einfach ist die Sache allerdings nicht, denn die Politiker – und vor allem die Präsidenten – haben zuletzt selbst dafür gesorgt, dass diese sorgsam bewachte Mauer des Schweigens im Laufe der Zeit langsam zu bröckeln begann.
Francois Mitterand führte während seiner Amtszeit über Jahre ein Doppelleben mit zwei Familien. Jeder in Frankreich kannte dieses Geheimnis, niemand sprach offiziell darüber. Auch Jacques Chirac konnte angesichts seiner Affären noch mit der Nachsicht der Öffentlichkeit rechnen. Selbst nach dessen Tod vor wenigen Monaten wurden dessen außereheliche Geschichten in den Nachrufen nur verklausuliert umschrieben. Chirac sei ein großer
Charmeur gewesen, heißt es da. Mit Nicolas Sarcozy hat sich das Verhältnis dramatisch verändert. Spielten die Frauen der Staatschefs bis zu jenem Zeitpunkt allenfalls eine Nebenrolle, suchten Sarkozy und Gattin Carla Bruni immer wieder das Rampenlicht.
Sarkozy hatte die Trennung von Öffentlichem und Privatem aufgehoben – ausbaden musste es Nachfolger Francois Hollande. Er konnte nun nicht mehr auf die Nachsicht der Journalisten hoffen. Seine außerehelichen Aktivitäten fanden ihren Weg ungebremst in die Klatschpresse.
Im Fall von Benjamin Griveaux ist eine neue Qualität erreicht. Möglich machen dies die sozialen Netzwerke. Die Veröffentlichung des Sex-Videos auf einer einzigen Plattform genügte, um es millionenfach zu verbreiten.