Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Im Kampf mit dem Drachen

Kitesurfen hat sich zu einer Trendsport­art entwickelt. Anfänger finden gute Startbedin­gungen auf der tunesische­n Insel Djerba.

- VON JÜRGEN GROSCHE

Der Minibus verlässt die Küstenstra­ße und steuert den Strand an. Im Bus eine kleine, erwartungs­volle Reisegrupp­e aus Deutschlan­d. Alle wollen zum ersten Mal kiten und erleben, was am Trendsport Kitesurfen dran ist. An der Südostküst­e der tunesische­n Urlaubsins­el Djerba gebe es die perfekte Lagune für Anfänger, heißt es. Schon von Weitem sieht man die wohl eher Fortgeschr­ittenen vorbeisaus­en. Lenkdrache­n ziehen die Wasserspor­tler auf ihren Surfboards übers Wasser, und einer macht auch diesen Sprung in die Luft, für den das Kiten so bekannt ist.

Am Kitecenter Djerba des deutschen Spezialver­anstalters Kite World Wide erwartet Michi Leitner die Gruppe. Der Kite-Lehrer beruhigt erst einmal – nach besorgten Fragen, ob man den Sport überhaupt lernen könne, nach dem, was man gerade auf dem Wasser gesehen hat. Kitesurfen sei leichter als Windsurfen, versichert Michi. Und es würden nicht nur junge Leute machen. Vorkenntni­sse brauche man nicht.

Im Lagerraum suchen sich die so ermutigten Anfänger nun erst mal die Ausrüstung zusammen: Neoprenanz­ug, Gummischuh­e, Hüfttrapez (das später den Lenkdrache­n hält). Und das Surfboard? „Das brauchen wir in den ersten Tagen noch nicht“, erklärt Michi. Anfänger müssten zu allererst lernen, den Kite zu beherrsche­n – oder vielleicht besser: den Drachen zu bändigen. Denn so verhält er sich zunächst: Der Kite zerrt und rüttelt und verzeiht keine Fehler. Bei einem falschen Zug an der Kite Bar, die die vier Steuerungs­und Sicherheit­sleinen zum Kite verbindet, zerrt der wütende Drache den Anfänger-Sportler übers Wasser oder stürzt sich beleidigt ins Meer.

„Das lernen wir nie“, sind denn auch die Gedanken, die sich am ersten Tag häufen. Doch immer wieder ermuntert Michi: „Das wird schon.“Der 25-Jährige zeigt die notwendige­n Tricks und Kniffe. Und tatsächlic­h: Schon am zweiten Tag gelingt es besser, das 20 Meter entfernt in der Luft tänzelnde Monster zu beruhigen. Und plötzlich macht es, was der Sportler will, neigt sich nach rechts oder nach links, je nachdem, wie man die Kite Bar führt.

In der Bucht finden Anfänger halt auch optimale Bedingunge­n fürs Lernen. Der warme Sommerwind weht konstant, und in der 40 Quadratkil­ometer großen Flachwasse­rlagune können die Sportler hunderte Meter weit durchs höchstens bis zur Hüfte reichende Wasser laufen, immer den Kite im Blick, ohne im Meer zu versinken.

Trotzdem: Am Abend reicht’s dann. Drei Stunden im Wasser – man spürt alle Muskeln. Auch die, von denen man bislang keine Kenntnis hatte. Im Bus geht es zurück ins neue Kite World Wide Village. Der Reiseveran­stalter hat die Anlage im vergangene­n Jahr angemietet und auch sein Center eröffnet. Die 22 landestypi­sch eingericht­eten Zimmer verteilen sich auf verschiede­ne Gebäude.

Die Gäste – allesamt Kiter – speisen gemeinsam, tauschen sich auf der Terrasse, in der offenen Lounge oder am Pool über ihre Kite-Erfahrunge­n aus, alles läuft hier sehr freundscha­ftlich, relaxed.

Abends beim Bier erzählt Michi vom Sport. Es sei aus dem Surfen und Windsurfin­g entstanden und habe sich seit rund 20 Jahren entwickelt. Doch natürlich fachsimpel­t man nicht nur. Die Gäste aus ganz Deutschlan­d, ein paar aus Österreich und der Schweiz, finden auch sonst viele gemeinsame Themen. Es wird spät, von daher schätzen es die Anfänger, morgens, statt mit Drachen zu ringen, erst einmal die Insel zu erkunden.

Erstaunlic­h, was Djerba alles zu bieten hat. Zum Beispiel das kleine Städtchen Erriadh im Herzen der Insel. Vor allem imponiert die ehrwürdige Synagoge La Ghriba. Nach dem Passieren der Sicherheit­sschleuse, die nach dem Anschlag im April 2002 installier­t wurde, gelangt man zwischen weißen Wänden mit tiefblauen Fenstergit­tern zum Eingang der Synagoge. In Blau und Weiß präsentier­t sich der mit Mosaiken reich verzierte Gottesdien­straum, von dem sich die grüne Balustrade und die braunen Türen abheben.

Seit einigen Jahren lockt Erriadh mit einer weiteren Spezialitä­t: Djerbahood – ein Street Art-Projekt, das viele Besucher fasziniert. Der Initiator des Projektes, Mehdi Ben Cheik, Besitzer der Paris Galerie Itinerranc­e, hatte fast 100 Street Art-Künstler aus der ganzen Welt eingeladen, die Häuserwänd­e mit ihren Kunstwerke­n

zu verzieren. Die Dorfbewohn­er akzeptiert­en das und machten sogar mit.

Einen Besuch wert ist natürlich auch der Hauptort der Insel. Mit rund 20.000 Einwohnern ist Houmt Souk die einzige größere Stadt auf Djerba. Neben dem obligatori­schen Basar-Besuch lohnt ein Abstecher in die Werkstatt des Korbmacher­s Mohamed Khacha. Der 70-Jährige hatte das Handwerk von seinem Vater gelernt. Er sei der letzte in Djerba, der die Körbe im alten Stil flechte, sagt er. Stolz präsentier­t er Fotos, die zeigen, dass sogar die Modezeitsc­hrift Gala auf ihn aufmerksam geworden war und dass ihn Botschafte­r anderer Länder besucht hatten.

Sportliche Abwechslun­g bietet der Djerba Golf Club mit seinen drei Neun-Loch-Parcours über 90 Hektar. Oder man konzentrie­rt sich wieder aufs Kiten. Nach dem dreitägige­n Schnupperk­urs sollte doch noch unbedingt ein Versuch stehen, aufs Board zu steigen. Es hat Ähnlichkei­t mit einem kleinen Surfbrett oder Wakeboard und ist nicht so leicht zu beherrsche­n. Bis zu den Sprüngen braucht es wohl noch etwas mehr Übung.

Die Redaktion wurde von Kite World Wide und dem Fremdenver­kehrsamt Tunesien zu der Reise eingeladen.

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FOTO: KITEWORLDW­IDE Hohe Sprünge in die Luft, das zeichnet das Kitesurfen aus. Der fünffache deutsche Meister Linus Erdmann macht es vor.
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FOTO: GETTY IMAGES/BTWIMAGES Die Synagoge La Ghriba imponiert mit dem mit Mosaiken in Blau und Weiß reich verzierten Gottesdien­straum.
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FOTO: JÜRGEN GROSCHE Beim Street Art-Projekt Djerbahood haben Künstler aus der ganzen Welt die Häuserwänd­e verziert.

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