Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Im Kampf mit dem Drachen
Kitesurfen hat sich zu einer Trendsportart entwickelt. Anfänger finden gute Startbedingungen auf der tunesischen Insel Djerba.
Der Minibus verlässt die Küstenstraße und steuert den Strand an. Im Bus eine kleine, erwartungsvolle Reisegruppe aus Deutschland. Alle wollen zum ersten Mal kiten und erleben, was am Trendsport Kitesurfen dran ist. An der Südostküste der tunesischen Urlaubsinsel Djerba gebe es die perfekte Lagune für Anfänger, heißt es. Schon von Weitem sieht man die wohl eher Fortgeschrittenen vorbeisausen. Lenkdrachen ziehen die Wassersportler auf ihren Surfboards übers Wasser, und einer macht auch diesen Sprung in die Luft, für den das Kiten so bekannt ist.
Am Kitecenter Djerba des deutschen Spezialveranstalters Kite World Wide erwartet Michi Leitner die Gruppe. Der Kite-Lehrer beruhigt erst einmal – nach besorgten Fragen, ob man den Sport überhaupt lernen könne, nach dem, was man gerade auf dem Wasser gesehen hat. Kitesurfen sei leichter als Windsurfen, versichert Michi. Und es würden nicht nur junge Leute machen. Vorkenntnisse brauche man nicht.
Im Lagerraum suchen sich die so ermutigten Anfänger nun erst mal die Ausrüstung zusammen: Neoprenanzug, Gummischuhe, Hüfttrapez (das später den Lenkdrachen hält). Und das Surfboard? „Das brauchen wir in den ersten Tagen noch nicht“, erklärt Michi. Anfänger müssten zu allererst lernen, den Kite zu beherrschen – oder vielleicht besser: den Drachen zu bändigen. Denn so verhält er sich zunächst: Der Kite zerrt und rüttelt und verzeiht keine Fehler. Bei einem falschen Zug an der Kite Bar, die die vier Steuerungsund Sicherheitsleinen zum Kite verbindet, zerrt der wütende Drache den Anfänger-Sportler übers Wasser oder stürzt sich beleidigt ins Meer.
„Das lernen wir nie“, sind denn auch die Gedanken, die sich am ersten Tag häufen. Doch immer wieder ermuntert Michi: „Das wird schon.“Der 25-Jährige zeigt die notwendigen Tricks und Kniffe. Und tatsächlich: Schon am zweiten Tag gelingt es besser, das 20 Meter entfernt in der Luft tänzelnde Monster zu beruhigen. Und plötzlich macht es, was der Sportler will, neigt sich nach rechts oder nach links, je nachdem, wie man die Kite Bar führt.
In der Bucht finden Anfänger halt auch optimale Bedingungen fürs Lernen. Der warme Sommerwind weht konstant, und in der 40 Quadratkilometer großen Flachwasserlagune können die Sportler hunderte Meter weit durchs höchstens bis zur Hüfte reichende Wasser laufen, immer den Kite im Blick, ohne im Meer zu versinken.
Trotzdem: Am Abend reicht’s dann. Drei Stunden im Wasser – man spürt alle Muskeln. Auch die, von denen man bislang keine Kenntnis hatte. Im Bus geht es zurück ins neue Kite World Wide Village. Der Reiseveranstalter hat die Anlage im vergangenen Jahr angemietet und auch sein Center eröffnet. Die 22 landestypisch eingerichteten Zimmer verteilen sich auf verschiedene Gebäude.
Die Gäste – allesamt Kiter – speisen gemeinsam, tauschen sich auf der Terrasse, in der offenen Lounge oder am Pool über ihre Kite-Erfahrungen aus, alles läuft hier sehr freundschaftlich, relaxed.
Abends beim Bier erzählt Michi vom Sport. Es sei aus dem Surfen und Windsurfing entstanden und habe sich seit rund 20 Jahren entwickelt. Doch natürlich fachsimpelt man nicht nur. Die Gäste aus ganz Deutschland, ein paar aus Österreich und der Schweiz, finden auch sonst viele gemeinsame Themen. Es wird spät, von daher schätzen es die Anfänger, morgens, statt mit Drachen zu ringen, erst einmal die Insel zu erkunden.
Erstaunlich, was Djerba alles zu bieten hat. Zum Beispiel das kleine Städtchen Erriadh im Herzen der Insel. Vor allem imponiert die ehrwürdige Synagoge La Ghriba. Nach dem Passieren der Sicherheitsschleuse, die nach dem Anschlag im April 2002 installiert wurde, gelangt man zwischen weißen Wänden mit tiefblauen Fenstergittern zum Eingang der Synagoge. In Blau und Weiß präsentiert sich der mit Mosaiken reich verzierte Gottesdienstraum, von dem sich die grüne Balustrade und die braunen Türen abheben.
Seit einigen Jahren lockt Erriadh mit einer weiteren Spezialität: Djerbahood – ein Street Art-Projekt, das viele Besucher fasziniert. Der Initiator des Projektes, Mehdi Ben Cheik, Besitzer der Paris Galerie Itinerrance, hatte fast 100 Street Art-Künstler aus der ganzen Welt eingeladen, die Häuserwände mit ihren Kunstwerken
zu verzieren. Die Dorfbewohner akzeptierten das und machten sogar mit.
Einen Besuch wert ist natürlich auch der Hauptort der Insel. Mit rund 20.000 Einwohnern ist Houmt Souk die einzige größere Stadt auf Djerba. Neben dem obligatorischen Basar-Besuch lohnt ein Abstecher in die Werkstatt des Korbmachers Mohamed Khacha. Der 70-Jährige hatte das Handwerk von seinem Vater gelernt. Er sei der letzte in Djerba, der die Körbe im alten Stil flechte, sagt er. Stolz präsentiert er Fotos, die zeigen, dass sogar die Modezeitschrift Gala auf ihn aufmerksam geworden war und dass ihn Botschafter anderer Länder besucht hatten.
Sportliche Abwechslung bietet der Djerba Golf Club mit seinen drei Neun-Loch-Parcours über 90 Hektar. Oder man konzentriert sich wieder aufs Kiten. Nach dem dreitägigen Schnupperkurs sollte doch noch unbedingt ein Versuch stehen, aufs Board zu steigen. Es hat Ähnlichkeit mit einem kleinen Surfbrett oder Wakeboard und ist nicht so leicht zu beherrschen. Bis zu den Sprüngen braucht es wohl noch etwas mehr Übung.
Die Redaktion wurde von Kite World Wide und dem Fremdenverkehrsamt Tunesien zu der Reise eingeladen.