Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Stunksitzung: Bunt, schrill, schlau
Im WDR läuft Donnerstag die Zusammenfassung des alternativen Kölner Karnevals.
KÖLN In Köln hat selbst das Alternative Tradition. Die Stunksitzung (Donnerstag, 22.10 Uhr, WDR) hat perfektioniert, was in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts als respektlos galt. Das Ensemble, längst mit Profis besetzt, lässt Karnevalisten wie Comedians blass aussehen. So bunt, so vielfältig, so schrill, so schlau wird in Szene gesetzt, was die Gesellschaft bewegt und erregt, dass nach drei Stunden Programm selbst Konservative das Gefühl haben: Linkssein hat auch seinen Reiz. Die Kirchenkritik gehört dazu. Die Gottesmutter wirft mit einer Schimpftirade hin, weil sie Missbrauch, Machthunger und Männerdominanz nicht mehr ertragen kann. Soziale Ungleichheit wird angeprangert. Weil bezahlbare Wohnungen fehlen, bleibt nur die Flucht in die Traumwelt der Liebe oder der Einzug in den Kölner Dom.
Die üblichen Verdächtigen sind wieder dabei: Erdogan, Putin und Trump. Die Herrschsucht ist Thema und bekommt in „Game of Trump“mit Boris Johnson einen neuen Nebendarsteller, der am eisernen Thron des US-Präsidenten den Hofnarren gibt. Die Klimabewegung
darf nicht fehlen. Eltern der 68er Generation feiern bei „Fridays for Parents“die protestierenden Kinder, bis deren Demo sich auch gegen Diesel und SUVs der eigenen Familien richtet. Die SPD lassen die Stunker links liegen. Deren letzte Hoffnung Kevin Kühnert scheitert als Yedi-Ritter ohne Visionen.
Die Stunksitzung ist hart, gnadenlos, kann aber auch herzlich. Eine nach einer Gehirnblutung sprachbehinderte Schauspielkollegin erzählt auf offener Bühne stockend, wie sie mit Humor ihr verändertes Leben meistert. Das rührt zu Herzen und lässt die Zuschauer aufstehen. Es gibt lauten, anerkennenden Beifall.
Die Beiträge sind sozial, kritisch, können aber auch Klamauk. Wenn in Bollywoodmanier tanzend-singende Inder mit ihrem Tuk-Tuk ins All fliegen wollen, wenn Gardisten sich beim Kölschtrinken in Nachhaltigkeit üben, wenn E-Panzern am Supermarkt der Strom ausgeht oder Präsidentin Biggi Wanninger als Calli Calmund besser ist als das Original, jubelt das gar nicht mehr alternative Publikum. Denn den Machern gelingt das, was dem traditionellen Karneval nicht selten abgeht: Zum Denken anzuregen und nicht nur zum Singen.
Lustig kann die Stunksitzung aber auch, vor allem dann, wenn das Gegenteil behauptet wird. Die angekündigte Miesepetersitzung war lustig-lustig-trallerallala, obwohl Karnevalsstars wie Höhner und Nikuta vorgeführt und der Ernst des Frohsinns mit Tschingderassabumm beschworen wurde. Bleibt zu hoffen, dass der WDR diesen Blödsinn ungekürzt ausstrahlt – und abzuwarten, ob das CDU-Frauen-Dreigestirn (Angela, die Ewige; Uschi, die Erstbeste von Europa; Annegret, der Karren-Bauer) auf den Bildschirm dürfen. Schließlich wurden die Stunker von der Politik überholt.