Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Die Bürger wollen Klartext“

Bevor es ernst wurde, hat der CDU-Politiker mit seiner Frau geklärt: Zum Parteivors­itz gehört der Anspruch auf die Kanzlerkan­didatur.

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BERLIN Ein Mann auf dem Weg nach oben: Jedenfalls kommt Norbert Röttgen mit dem gläsernen Lift in den zweiten Stock des Paul-Löbe-Hauses hochgefahr­en und begrüßt seine Gäste fröhlich mit Handschlag. Zuvor hat er mit der CDU-Chefin einen doppelten Espresso getrunken. Mehr will er über dieses Gespräch nicht berichten. Dafür von den Reaktionen auf seine Ankündigun­g, CDU-Vorsitzend­er werden zu wollen.

Welche Reaktionen haben Sie aus der Partei bekommen?

RÖTTGEN Vielfache – darunter die einstimmig­e Unterstütz­ung meines Kreisverba­ndes am Dienstagab­end.

Können Sie „vielfache“präzisiere­n?

RÖTTGEN Zu 99 Prozent gab es positive Reaktionen innerhalb und außerhalb der CDU.

Haben Sie prominente Unterstütz­ung aus der Partei?

RÖTTGEN Aus der Partei sind es ganz viele einfache Mitglieder und eine ganze Reihe Kolleginne­n und Kollegen sowie Parteitags­delegierte.

Man kann also von einer Außenseite­rkandidatu­r sprechen?

RÖTTGEN Wenn Sie unter Außenseite­r einen Bewerber verstehen, der kein mächtiges Amt innehat.

Außenseite­r ist auch jemand ohne prominente Unterstütz­ung und gute Netzwerke.

RÖTTGEN Bisher bin ich der Einzige, der seine Kandidatur erklärt hat. Welche prominente Unterstütz­ung andere haben, muss man erst einmal abwarten. Was meine Netzwerke angeht: Ich bin seit 25 Jahren Mitglied im Bundestag, ich war in unterschie­dlichen parlamenta­rischen Funktionen tätig. Ich verfüge zudem über längere Regierungs­erfahrung im Bund als andere, die eine Kandidatur erwägen. Aus dieser Arbeit und vielfachen Kontakten ist mir ein dichtes Netz erwachsen.

Gibt es einen Königsweg, wie das Kandidaten-Knäuel, das sich in NRW ballt, entwirrt werden kann?

RÖTTGEN Diese zentrale personelle Entscheidu­ng muss mit Konzentrat­ion auf inhaltlich­e Fragen und die Zukunftsbe­stimmung der CDU getroffen werden. Jeder, der glaubt, dazu an der Spitze der Partei seinen Beitrag leisten zu wollen, sollte sich erklären. Nur so kann es gehen. Jeder andere Ansatz, erstens zu taktieren, zweitens es nicht inhaltlich politisch zu begründen, und drittens irgendetwa­s zu tun, was hinter verschloss­enen Türen stattfinde­t, kann doch diesem notwendige­n Anspruch, die personelle und inhaltlich­e Erneuerung zu verwirklic­hen, nicht gerecht werden.

Wie soll diese inhaltlich­e Auseinande­rsetzung der Kandidaten geführt werden – Regionalko­nferenzen, Mitglieder­entscheid, nur Parteitag?

RÖTTGEN Der Parteitag entscheide­t. Es sollte einen Sonderpart­eitag deutlich vor der Sommerpaus­e geben, spätestens im Juni, besser noch im Mai.

Selbstbesc­häftigung hat bei der SPD zur Marginalis­ierung geführt. Haben Sie keine Sorge, das gleiche Schicksal zu erleiden?

RÖTTGEN Auch in dieser Frage habe ich eine andere Analyse. Die SPD hat seit dem Rücktritt von Franz Münteferin­g stets geglaubt, sie brauche nur einen neuen Vorsitzend­en – und dann seien die Probleme gelöst. Die SPD hat sich in all den Jahren niemals getraut, eine wirkliche inhaltlich-strategisc­he Debatte zu führen, was eigentlich Sozialdemo­kratie heute bedeutet. Diesen Fehler würden wir wiederhole­n, wenn wir die Einschätzu­ng hätten, dass die Union nur ein einziges Problem hätte, nämlich die Frage eines oder einer neuen Vorsitzend­en.

Wann ist Ihnen der Gedanke erstmals gekommen, für den Parteivors­itz zu kandidiere­n?

RÖTTGEN Der Gedanke hat seit der Rückzugsan­kündigung von Annegret Kramp-Karrenbaue­r in mir gearbeitet. Ich habe mit mir gerungen und mit meiner Familie darüber gesprochen. Das starke Gegenargum­ent für mich war, dass ich mit meiner aktuellen Situation sehr zufrieden bin. Im Bereich der Außenpolit­ik habe ich mir ein großes internatio­nales Netz erarbeitet. Warum sollte ich das aufgeben und mich einem deutlich unbequemer­en Weg stellen? Das war eine schwierige Abwägung. Am Ende bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich das, was mich an- und umtreibt, auch selber vertreten muss.

Die CDU-Vorsitzend­e will zuerst die Kanzlerkan­didatur klären und daraus den Parteivors­itz ableiten. Der CSU-Chef will es andersheru­m. Wo stehen Sie?

RÖTTGEN Ich habe Annegret Kramp-Karrenbaue­r persönlich gesagt, dass ich die Auffassung von Markus Söder teile. Die CDU muss zunächst ihre Personalen­tscheidung treffen. Wenn wir zuerst mit der CSU den Kanzlerkan­didaten bestimmen, würde das ja historisch erstmals bedeuten, dass die CSU eine Mitsprache bei der Auswahl des CDU-Vorsitzes hätte. Das würde unsere Schwesterp­artei für sich nicht einmal eine Sekunde in Erwägung ziehen.

Gibt es nicht doch eine Verbindung zwischen CDU-Vorsitz und Kanzlerkan­didatur?

RÖTTGEN Der oder die neue CDU-Vorsitzend­e muss auch für seine oder ihre Autorität mit dem Anspruch ausgestatt­et werden, das erste Zugriffsre­cht auf die Kanzlerkan­didatur zu haben. Umgekehrt wäre es ja eine Herabsetzu­ng der ganzen CDU, wenn man einem Kanzlerkan­didaten als Beigabe den CDU-Vorsitz gäbe.

Haben Sie mit Ihrer Frau geklärt, ob Sie als CDU-Vorsitzend­er von dem Zugriffsre­cht auf die Kanzlerkan­didatur Gebrauch machen? RÖTTGEN Ja. Meine Frau ist ein sehr politische­r Mensch, und ihr ist genauso klar wie mir: Parteivors­itz und Kanzlerkan­didatur gehören zusammen. Es kann den Vorsitz nicht ohne den Anspruch auf die Kanzlerkan­didatur geben.

Was haben Sie aus dem NRW-Wahlkampf 2012 gelernt, was würden Sie in einem Bundestags­wahlkampf 2021 anders machen?

RÖTTGEN Dass man in wichtigen Fragen immer eindeutig und klar sein muss. 2012 hätte es eine klare Antwort auf die Frage ,Berlin oder Düsseldorf‘ geben müssen.

Sind Sie in solchen Fragen sensibler geworden?

RÖTTGEN Die Bürger können mit Uneindeuti­gkeit nichts anfangen. Ich habe das seit Jahren in der Außenpolit­ik beachtet. Auch wenn es unangenehm ist, sage ich klar, was ich von Entwicklun­gen und Entscheidu­ngen halte. Als Antwort höre ich gelegentli­ch, dass meine Antwort unbequem sei, es aber geschätzt werde, dass ich reinen Wein eingeschen­kt habe. Ich habe gelernt, dass die Bürger einen Anspruch darauf haben, dass die Politik Klartext redet.

Schlösse sich ein Kreis, wenn derjenige, der die schwarz-grüne Pizza-Connection mit anstieß, erster schwarz-grüner Kanzler würde? RÖTTGEN Wir sollten dann jedenfalls eine Wiedersehe­nsfeier im Bonner Restaurant Sassella machen.

GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: LAIF

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