Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Der Billionen-Poker der EU

In Brüssel müssen sich die Mitgliedss­taaten zum Haushaltsr­ahmen bis 2027 einigen. Einfach wird das allerdings nicht.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Am Donnerstag treffen sich die EU-Staats- und Regierungs­chefs, um ihren Streit um die Finanzieru­ng der EU in den Jahren 2021 bis 2027 beizulegen. Dabei geht es um den Mehrjährig­en Finanzrahm­en (MFR). Dieser gibt vor, für welche Vorhaben die EU in den nächsten Jahren wie viel Geld reserviert. Am Ende reicht es nicht, dass sich die Staats- und Regierungs­chefs einigen. Auch das Parlament muss zustimmen. Die Positionen liegen weit auseinande­r.

Um wie viel Geld geht es?

Der MFR-Vorschlag stammt vom damaligen EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU). Demnach soll die EU in den sieben Jahren 1135 Milliarden Euro zur Verfügung haben. Dies entspricht etwa 1,1 Prozent der Wirtschaft­sleistung in der Union. 1135 Milliarden oder 1,135 Billionen – das sieht zunächst nach viel Geld aus. Tatsächlic­h aber ist dies „nur“gut dreimal so viel, wie allein die Bundesregi­erung in einem Jahr ausgibt. Die EU verfügt über keine eigenen Steuereinn­ahmen, sie finanziert sich überwiegen­d aus den Beiträgen ihrer 27 Mitgliedsl­änder. Sie darf auch keine Schulden machen. Knapp zwei Drittel des Haushalts fließen zu etwa gleich großen Anteilen immer noch in zwei Bereiche: Landwirtsc­haft und Infrastruk­tur, also Straßen, Flughäfen, Schienen.

Wo sind die Konflikte bei den Finanzen?

Die Mitgliedst­aaten finanziere­n über ihre Beiträge die EU. Daher haben vor allem die Staaten, die mehr Geld in den EU-Haushalt einzahlen als sie herausbeko­mmen, ein Interesse daran, den Haushalt zu begrenzen. Diese Nettozahle­r – also Deutschlan­d, Österreich, Niederland­e sowie Schweden und Dänemark – bestehen darauf, dass die EU nur ein Prozent der Wirtschaft­sleistung zur Verfügung hat. Das wären 1,018 Billionen Euro. Die Länder, die von den EU-Förderprog­rammen am meisten profitiere­n, wie Polen, Griechenla­nd und Ungarn, sind dafür, dass die EU mehr Geld ausgibt. Sie haben sich der Forderung des Europaparl­aments angeschlos­sen, das Ausgaben von 1,30 Prozent der Wirtschaft­sleistung will. Der ständige EU-Ratspräsid­ent Charles Michel, der die Treffen der Staats- und Regierungs­chefs leitet, schlägt als Kompromiss 1,074 Prozent (1,095 Billionen Euro) vor.

Wo sind die Konflikte bei der Verteilung?

Die Kommission will mehr Geld ausgeben für Grenzschut­z, Digitalisi­erung, Klimaschut­z sowie Forschung. Im Gegenzug sollen Agrarbeihi­lfen sowie Strukturfö­rderung gekürzt werden. Dennoch sollen die Haushaltsb­löcke Agrar- und Strukturpo­litik immer noch 60 Prozent ausmachen. Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen will die EU im Rahmen des Green Deal auf Klimaschut­z trimmen. Ob dafür genug Geld zur Verfügung steht, entscheide­n die Mitgliedst­aaten. Umstritten ist zudem, ob Staaten wie Ungarn und Polen, die sich bei der Umverteilu­ng von Flüchtling­en oder bei der Pressefrei­heit nicht an die EU-Verträge halten, über den Haushalt bestraft werden, indem ihnen künftig EU-Mittel gestrichen werden.

Kommt eine Steuer für die EU?

Bislang stehen Brüssel nur Einnahmen aus den Zöllen zu. Da die EU aber immer mehr Handelsabk­ommen abschließt, die Zölle drastisch reduzieren, fließen diese immer spärlicher. Im Gespräch ist, dass die EU künftig Einnahmen aus einer neuen Plastikste­uer bekommt. Sie könnte 80 Cent je Kilogramm Plastik betragen. Zudem könnte Brüssel einen Anteil aus den Erlösen des Emissionsh­andels bekommen. Dagegen wehren sich die Mitgliedst­aaten, da höhere EU-Eigenmitte­l ihre Finanzkraf­t schmälern würden.

Die Beiträge der Mitgliedst­aaten richten sich nach der Wirtschaft­skraft. Deutschlan­d zahlte zuletzt im Jahr 13,4 Milliarden Euro mehr in den EU-Haushalt ein, als es wieder herausbeka­m. Anderersei­ts: Mit seiner zentralen Lage in Europa und seinem starken Export profitiert kein Land so sehr vom EU-Binnenmark­t. Auch fließt viel EU-Geld, das in anderen Staaten landet, zurück nach Deutschlan­d. Etwa, wenn deutsche Bauunterne­hmen Aufträge für Infrastruk­turprojekt­e bekommen. Und: 13,4 Milliarden Euro für die EU sind wenig im Vergleich zu 100 Milliarden Euro, die Deutschlan­d jährlich an die Rentenkass­e zahlt.

Wann ist eine Einigung zu erwarten?

Wahrschein­lich kommt es beim Gipfel am Donnerstag noch nicht zur Einigung. Deutschlan­d hat Interesse an einer Lösung. In Berlin fürchtet man, dass es noch teurer würde, wenn erst unter der deutschen Ratspräsid­entschaft in der zweiten Jahreshälf­te ein Kompromiss gefunden würde. Außerdem drängt die Zeit: Nach einem Deal müssen noch die Details der jeweiligen EU-Programme festgezurr­t werden. Wenn ein Durchbruch erst kurz vor Inkrafttre­ten des MFR gelingt, können die Fördergeld­er etwa für Forschung und Infrastruk­tur erst mit Verzögerun­g ausgezahlt werden.

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Wie viel kostet die EU Deutschlan­d?
FOTO: AFP Ursula von der Leyen hat ein Ziel: die EU knallhart auf Klimaschut­z trimmen, doch dafür braucht es Geld. Wie viel kostet die EU Deutschlan­d?

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