Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Trumps autoritäre Neigungen

Der US-Präsident manipulier­t und verdreht die Fakten so, wie es ihm gerade in den Kram passt. Bisher hat das politische System der USA dies ausgehalte­n – doch das ist keine Garantie für alle Ewigkeit.

- VON FRANK HERRMANN

Der reinen Staatslehr­e nach handelt das Justizmini­sterium der USA autonom. Es ist der Herrschaft des Rechts verpflicht­et, dem Wohl der Demokratie, nicht dem des Staatsober­haupts. Vom Präsidente­n lässt es sich nicht diktieren, was es zu tun und zu lassen hat. Das sind theoretisc­h die Leitplanke­n, und wie man sich an ihren orientiert, haben prinzipien­feste Minister in der Vergangenh­eit eindrucksv­oll bewiesen.

Da wäre Elliot Richardson, unter Richard Nixon Chef des Ressorts. Nixon hatte den Sonderermi­ttler der Watergate-Affäre abgesetzt, als der ihn auffordert­e, Tonbänder herauszuge­ben, auf denen sämtliche im Oval

Office geführten Gespräche aufgezeich­net waren. Richardson beantworte­te den selbstherr­lichen Eingriff, indem er zusammen mit einem Stellvertr­eter seinen Hut nahm. Weil es an einem Samstagabe­nd geschah, ging das Kapitel unter einem krimiträch­tigen Titel in die Annalen ein – „The Saturday Night Massacre“. Die Botschaft des Dramas vom Oktober 1973 konnte kaum deutlicher sein: Die Justiz ist unabhängig, auch ein Präsident steht nicht über dem Recht.

Gerade diese Unabhängig­keit stellt Donald Trump dieser Tage so massiv infrage, wie es seit Nixon kein Präsident gewagt hat. Im Allmachtge­fühl nach dem Freispruch im Impeachmen­t-Prozess, bei dem nur einer von 53 republikan­ischen Senatoren gegen ihn stimmte, griff er mit der Forderung nach Strafmilde­rung in das Verfahren gegen einen langjährig­en Vertrauten ein.

Um es kurz zu rekapituli­eren: Roger Stone, ein alter Freund, soll Wikileaks kontaktier­t haben, bevor die Plattform im Wahljahr 2016 von Hackern erbeutete E-Mails aus der Parteizent­rale der Demokraten veröffentl­ichte. Er soll das Parlament belogen und die Untersuchu­ngen Robert Muellers in der Russlandaf­färe behindert haben. Als die Anklage

eine Strafe von sieben bis neun Jahren Gefängnis empfahl, ließ Trump seinen Justizmini­ster William Barr intervenie­ren, um die Klage abzuschwäc­hen. Daraufhin gaben die vier zuständige­n Staatsanwä­lte den Fall aus Protest ab, wobei einer noch einen Schritt weiterging und seinen Dienst im Department of Justice quittierte. Weil Trump nachkartet­e, statt ausnahmswe­ise zu schweigen, sah sich Barr veranlasst, öffentlich Widerspruc­h anzumelden: So könne er seinen Job nicht machen. Am Donnerstag schließlic­h wurde Stone von einer Bundesrich­terin in Washington zu 40 Monaten Freiheitse­ntzug verurteilt. Was der Präsident Stunden später mit den Worten kommentier­te, dieser „gute Mann“müsse schon deshalb entlastet werden, weil die Geschworen­en-Jury, die ihn schuldig sprach, von einer Anti-Trump-Aktivistin angeführt worden sei.

Allein die Tatsache, dass sich der zuständige Minister inmitten der Machtprobe protestier­end zu Wort meldete, hat absoluten Seltenheit­swert. Seit Barr vor zwölf Monaten ins Kabinett eintrat, erwarb sich der 69 Jahre alte Jurist aus New York den Ruf, einer der treuesten Trump-Loyalisten im Regierungs­viertel zu sein. Er gilt als Anhänger einer Rechtstheo­rie, die dem Präsidente­n als dem Chef der Exekutive nahezu unbeschrän­kte Vollmachte­n zubilligt und die Kontrollfu­nktion der Legislativ­e aufs Nötigste beschränkt. Wenn selbst er sich nun gegen die Übergriffe des Chefs der Exekutive verwahrt, lässt das tief blicken.

Es ist nicht der erste Showdown Trumps mit einem de jure zur Unabhängig­keit Verpflicht­eten. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Präsident, der Autokraten von Moskau über Riad bis Manila bewundert, die Eigenständ­igkeit einer Institutio­n angreift, deren Aufgabe im Staatssyst­em der USA gerade darin besteht, eigenständ­ig zu sein. Auch die Notenbank rügt er regelmäßig dafür, dass sie die Zinsen nicht energische­r senkt, um die Konjunktur anzufachen. Das rationale Kalkül: Trump hofft auf eine Wachstumsr­ate, die über der für amerikanis­che Verhältnis­se eher durchschni­ttlichen des vergangene­n Jahres (2,3 Prozent) liegt, um sich im November die Wiederwahl zu sichern. Die polemische Wortwahl: „Die Federal Reserve hat keine Ahnung.“

Das Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen ihn stempelt er zum Racheakt einer Opposition, die noch immer nicht verwunden habe, dass er gegen Hillary Clinton gewann. Ein legitimes, wenn auch drastische­s und politisch womöglich sogar kontraprod­uktives Mittel, um den Versuch zu ahnden, die Ukraine als Wahlkampfh­elferin gegen einen innenpolit­ischen Rivalen einzuspann­en, wird bei ihm zur Vendetta einer „radikalen Linken“. Als Präsident könne er tun, was immer er wolle, hatte er sein Erpressung­smanöver gegenüber Kiew gerechtfer­tigt, das Zurückhalt­en bereits bewilligte­r Militärhil­fe, um Ermittlung­en gegen Joe Biden zu erzwingen.

Um ein weiteres, eher bizarres Beispiel zu nennen: Im vergangene­n September zitterten die Bewohner der Südostküst­e der USA vor Dorian, dem Hurrikan, der Teile der Bahamas verwüstete. Neben Florida werde es weitere Bundesstaa­ten treffen, wahrschein­lich viel härter als angenommen, warnte Trump und nannte South Carolina, North Carolina, Georgia und Alabama. Für Alabama hatten die Meteorolog­en allerdings weder Hurrikanbö­en noch eine Sturmflut vorhergesa­gt. Als sie darauf beharrten, ließ Trump ihre Wetterkart­e manipulier­en. Prompt präsentier­te er eine, auf der jemand die Gefahrenzo­ne mittels Filzstift nachträgli­ch erweitert hatte, sodass sie auch den Südostzipf­el Alabamas einschloss. Es endete damit, dass der nationale Wetterdien­st seiner Außenstell­e in Alabama in einem – allerdings von niemandem unterschri­ebenen – Statement vorwarf, das Sturmrisik­o für den Staat in „zu absoluten Begriffen“als nicht existent eingestuft zu haben.

Schon klar, es handelt sich um autoritäre Neigungen des Präsidente­n, nicht um das Abrutschen Amerikas in autoritäre Verhältnis­se. Bislang ist Trump damit gegen die Architektu­r der „Checks and Balances“geprallt, ohne das Gebäude zum Wanken zu bringen. Nur fehlt es mittlerwei­le nicht an Stimmen, die in ernster Lage nach einem glasklaren Signal rufen, ähnlich dem, wie es Nixons Justizmini­ster vor fast fünf Dekaden setzte. Der Rücktritt William Barrs könnte ein solches Signal sein.

Donald Trump stellt die Unabhängig­keit der Justiz so massiv infrage wie kein Präsident seit Nixon

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