Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Im Schietwetter
In Hamburg gehört die CDU jetzt zu den Kleinen. Die Krise geht weiter. Die Partei sei ohne Führung und Kompass, beklagen Mitglieder.
HAMBURG/BERLIN Die CDU stößt in unbekannte Gefilde vor, auf ungemütliches Terrain. In Großstädten sah sie schon oft alt aus – in Hamburg allerdings hatte sie zu Zeiten von Ole von Beust sogar einmal die absolute Mehrheit gewonnen und dann eine Vorreiterrolle mit der bundesweit ersten schwarz-grünen Koalition übernommen. Obwohl die CDU doch einst eine Regierung mit der Ökopartei für ausgeschlossen hielt. So wie sie per Beschluss 2018 eine Zusammenarbeit mit der Linken ebenso wie mit der AfD verneint und den Landesverband in Thüringen damit in eine Notlage gebracht hat. Das Drama der CDU in Erfurt hat den Wahlkampf der Parteikollegen an der Elbe zusätzlich verhagelt.
Die Bürgerschaftswahl galt auch als erster Test nach den Irrungen und Wirrungen in Thüringen, wo die CDU zunächst mit FDP und AfD einen FDP-Mann als Ministerpräsidenten gewählt hatte und nach dem bundesweiten Aufschrei nun doch den Linken-Politiker Bodo Ramelow mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung akzeptieren will – für gut ein Jahr. Darauf folgte am Wochenende wiederum ein Aufschrei der CDU-Parteizentrale, die mit der Wahl eines neuen Vorsitzenden und der Kanzlerkandidatur eigentlich genug zu tun hat. Als am Abend im Adenauer-Haus in Berlin die ersten Ergebnisse aus der Hansestadt bekannt werden, stöhnt einer auf: „Die Krise geht weiter.“
Die Hamburger Christdemokraten mit Spitzenkandidat Marcus Weinberg stürzen ab. Nun liegen sie nur noch knapp über elf Prozent. Das bundesweit schlechteste Ergebnis seit 1951. Damals in Bremen waren es neun Prozent. Die CDU gehört in Hamburg, der Hafenstadt mit dem Tor zur Welt, zu den Kleinen. Volkspartei sieht anders aus.
Weinberg drückt es erst norddeutsch liebevoll aus: „Schietwetter“sei das in Hamburg. Und dann für alle verständlich: Es habe „politisch gewittert“. Das Ergebnis sei ein großer Einschnitt. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak macht es in der Parteizentrale kurz: Er gratuliert der SPD und spricht von einem historisch schlechten Ergebnis für die CDU. Eine Minute 45 Sekunden. Dann verschwindet er. Fragen nicht erwünscht.
Am Montag werden Parteipräsidium und Bundesvorstand ins Konrad-Adenauer-Haus kommen. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer bemühte sich am Wochenende, die Suche nach der besten Lösung für ihre Nachfolge und den Prozess dorthin zu gestalten. Am Sonntagabend sei immer noch nicht klar gewesen, wer außer dem CDU-Außenpolitiker im Bundestag, Norbert Röttgen, bald seine Kandidatur anzeigen werde. Gesprochen habe sie noch einmal mit Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, hieß es. Dass die beiden ein Team bilden, wäre eine große Überraschung. Nicht zu vergessen: Gesundheitsminister Jens Spahn.
Alle vier kommen aus NRW. Spekuliert wurde, dass derjenige, der Parteichef wird, ins Bundeskabinett wechseln wolle, außer Spahn, der ist ja schon drin. Der nächste Parteichef wird die CDU in einer existenziellen Gefahrenlage übernehmen. Derzeit sei sie ohne Kompass und Führung, beklagen Parteimitglieder.
Der Neue wird sich auch noch einmal um den Beschluss kümmern
müssen, wonach die CDU sowohl eine Zusammenarbeit mit der AfD als auch mit der Linken ausschließt. Das hat den Landesverband in Thüringen ins Schleudern gebracht. Brandenburgs Ex-CDU-Chef Ingo Senftleben fordert eine Korrektur des Beschlusses, der an der Realität vorbeigehe. „Die Linke muss zwar mehr Verantwortung für DDR-Unrecht und Opfer übernehmen. Aber sie ist nicht mit der AfD gleichzusetzen. Auf kommunaler Ebene arbeiten Linke und CDU ohnehin schon zusammen. Auch im Bundesrat bestehen Kontakte. Da wirkt so ein Beschluss heuchlerisch“, sagt Senftleben unser Redaktion.
Er war für seinen Vorstoß im Frühjahr 2018 in der CDU scharf kritisiert worden, nach Wahlen in ostdeutschen Bundesländern auch mit den Linken zu sprechen. Nun bilanziert er: „Sehenden Auges sind wir damit in das jetzige Dilemma gestürzt. Wir haben uns nicht rechtzeitig mit möglichen Folgen von Wahlergebnissen beschäftigt. Und jetzt haben wir eine x-fache Vergrößerung des Problems.“
Oder: Die Krise geht weiter.