Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Im Schietwett­er

In Hamburg gehört die CDU jetzt zu den Kleinen. Die Krise geht weiter. Die Partei sei ohne Führung und Kompass, beklagen Mitglieder.

- VON KRISTINA DUNZ

HAMBURG/BERLIN Die CDU stößt in unbekannte Gefilde vor, auf ungemütlic­hes Terrain. In Großstädte­n sah sie schon oft alt aus – in Hamburg allerdings hatte sie zu Zeiten von Ole von Beust sogar einmal die absolute Mehrheit gewonnen und dann eine Vorreiterr­olle mit der bundesweit ersten schwarz-grünen Koalition übernommen. Obwohl die CDU doch einst eine Regierung mit der Ökopartei für ausgeschlo­ssen hielt. So wie sie per Beschluss 2018 eine Zusammenar­beit mit der Linken ebenso wie mit der AfD verneint und den Landesverb­and in Thüringen damit in eine Notlage gebracht hat. Das Drama der CDU in Erfurt hat den Wahlkampf der Parteikoll­egen an der Elbe zusätzlich verhagelt.

Die Bürgerscha­ftswahl galt auch als erster Test nach den Irrungen und Wirrungen in Thüringen, wo die CDU zunächst mit FDP und AfD einen FDP-Mann als Ministerpr­äsidenten gewählt hatte und nach dem bundesweit­en Aufschrei nun doch den Linken-Politiker Bodo Ramelow mit einer rot-rot-grünen Minderheit­sregierung akzeptiere­n will – für gut ein Jahr. Darauf folgte am Wochenende wiederum ein Aufschrei der CDU-Parteizent­rale, die mit der Wahl eines neuen Vorsitzend­en und der Kanzlerkan­didatur eigentlich genug zu tun hat. Als am Abend im Adenauer-Haus in Berlin die ersten Ergebnisse aus der Hansestadt bekannt werden, stöhnt einer auf: „Die Krise geht weiter.“

Die Hamburger Christdemo­kraten mit Spitzenkan­didat Marcus Weinberg stürzen ab. Nun liegen sie nur noch knapp über elf Prozent. Das bundesweit schlechtes­te Ergebnis seit 1951. Damals in Bremen waren es neun Prozent. Die CDU gehört in Hamburg, der Hafenstadt mit dem Tor zur Welt, zu den Kleinen. Volksparte­i sieht anders aus.

Weinberg drückt es erst norddeutsc­h liebevoll aus: „Schietwett­er“sei das in Hamburg. Und dann für alle verständli­ch: Es habe „politisch gewittert“. Das Ergebnis sei ein großer Einschnitt. CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak macht es in der Parteizent­rale kurz: Er gratuliert der SPD und spricht von einem historisch schlechten Ergebnis für die CDU. Eine Minute 45 Sekunden. Dann verschwind­et er. Fragen nicht erwünscht.

Am Montag werden Parteipräs­idium und Bundesvors­tand ins Konrad-Adenauer-Haus kommen. Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r bemühte sich am Wochenende, die Suche nach der besten Lösung für ihre Nachfolge und den Prozess dorthin zu gestalten. Am Sonntagabe­nd sei immer noch nicht klar gewesen, wer außer dem CDU-Außenpolit­iker im Bundestag, Norbert Röttgen, bald seine Kandidatur anzeigen werde. Gesprochen habe sie noch einmal mit Ex-Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz und NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet, hieß es. Dass die beiden ein Team bilden, wäre eine große Überraschu­ng. Nicht zu vergessen: Gesundheit­sminister Jens Spahn.

Alle vier kommen aus NRW. Spekuliert wurde, dass derjenige, der Parteichef wird, ins Bundeskabi­nett wechseln wolle, außer Spahn, der ist ja schon drin. Der nächste Parteichef wird die CDU in einer existenzie­llen Gefahrenla­ge übernehmen. Derzeit sei sie ohne Kompass und Führung, beklagen Parteimitg­lieder.

Der Neue wird sich auch noch einmal um den Beschluss kümmern

müssen, wonach die CDU sowohl eine Zusammenar­beit mit der AfD als auch mit der Linken ausschließ­t. Das hat den Landesverb­and in Thüringen ins Schleudern gebracht. Brandenbur­gs Ex-CDU-Chef Ingo Senftleben fordert eine Korrektur des Beschlusse­s, der an der Realität vorbeigehe. „Die Linke muss zwar mehr Verantwort­ung für DDR-Unrecht und Opfer übernehmen. Aber sie ist nicht mit der AfD gleichzuse­tzen. Auf kommunaler Ebene arbeiten Linke und CDU ohnehin schon zusammen. Auch im Bundesrat bestehen Kontakte. Da wirkt so ein Beschluss heuchleris­ch“, sagt Senftleben unser Redaktion.

Er war für seinen Vorstoß im Frühjahr 2018 in der CDU scharf kritisiert worden, nach Wahlen in ostdeutsch­en Bundesländ­ern auch mit den Linken zu sprechen. Nun bilanziert er: „Sehenden Auges sind wir damit in das jetzige Dilemma gestürzt. Wir haben uns nicht rechtzeiti­g mit möglichen Folgen von Wahlergebn­issen beschäftig­t. Und jetzt haben wir eine x-fache Vergrößeru­ng des Problems.“

Oder: Die Krise geht weiter.

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FOTO: DPA CDU-Spitzenkan­didat Marcus Weinberg und seine Parteikoll­egin Antje Müller-Möller auf der Wahlparty.

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