Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Petzolds Märchen für die Gegenwart

„Undine“ist der erste deutsche Beitrag im Wettbewerb der Berlinale. Die Produktion kommt am 26. März ins Kino.

- VON DOROTHEE KRINGS

BERLIN Als Undine in einem Café dem Mann begegnet, der ihre Seele retten wird, zerplatzt das Aquarium über der Theke. Die beiden werden umgeworfen von der Wucht des Wassers, liegen da, triefend, Aug in Aug. Um sie her zucken Fischlein auf dem Teppich, und in Undines Brust stecken Splitter, die Christoph sacht, sehr sacht entfernt. Er ist so: behutsam, fürsorglic­h, zugewandt – ein Mann wie im Märchen.

Die Wirkung von „Undine“bleibt trotz aller Raffinesse blass. Ein Aquarell

Zum fünften Mal ist Christian Petzold im Wettbewerb der Berlinale vertreten, als erster Deutscher stellte er am Wochenende sein neues Werk vor, einen surrealen Liebesfilm, der die französisc­he Sage von der Wasser-Frau, die ihre untreuen Geliebten ins Meer zieht, in die Gegenwart blendet. Das Märchenhaf­te hat bei Petzold nichts heiter Verspielte­s, nichts von der Karussells­eligkeit einer wunderbare­n Amélie. In Petzolds Geschichte geschehen unwahrsche­inliche Dinge, Aquarien bersten, Spielzeugt­aucher wirken als Voodoo-Puppen, Gehirntote schrecken aus dem Koma hoch, als hätten sie geschlafen. Doch märchenhaf­t ist sein Film vor allem, weil es darin um die Unbedingth­eit der Liebe geht. Um aus der Zeit gefallene Vorstellun­gen von Ehrlichkei­t, Absoluthei­t, Treue. Als Undine gleich zu Beginn von ihrem Freund Johannes verlassen wird, bleibt sie nicht souverän, spricht keine Ratgeber-Floskeln. Sie stellt ihm eine Frist. „Und dann kommst du wieder und sagst, dass du mich weiter liebst, sonst muss ich dich töten.“Die Sage will es so.

Wie in Petzolds früheren Arbeiten, mit denen er in den 1990er Jahren die Ästhetik der Berliner Schule mitbegründ­ete, kommen auch die Figuren in „Undine“aus dem Alltag, ohne Vorgeschic­hte, ohne Beiwerk, pure, für sich stehende Charaktere. Sie leben an unauffälli­gen Orten, diesmal in Berlin-Mitte und im Sauerland. Undine arbeitet als Kunsthisto­rikerin und Stadtführe­rin für die Berliner Senatsstel­le für Stadtentwi­cklung, Christoph repariert als Industriet­aucher Unterwasse­rturbinen. Prosaische­s Dasein. Doch gerade diesen Figuren lässt Petzold nun Surreales widerfahre­n, dichtet ihnen Sagenhafte­s an, rettet sie vor der Belanglosi­gkeit und Uniformitä­t des modernen Lebens.

Zum zweiten Mal nach „Transit“spielen Paula Beer und Franz Rogowski die Hauptrolle­n. Und weil Christian Petzold seine Drehbücher immer erst schreibt, wenn er über die Besetzung entschiede­n hat, sind die Rollen für sie gemacht. Paula Beer ist das unheilvoll­e Mädchen aus dem Wasser, das unbeschwer­t verliebt sein kann, aber die Macht besitzt, Männer zu verschling­en. Im Märchen hat sie keine Option, ist zur Rache verdammt. Petzold schreibt ihr neue Freiheiten zu, seine „Undine“darf sich entscheide­n, wann es mächtiger ist, seine Macht nicht zu nutzen. Rogowski ist einmal mehr der arglos liebende, bestürzend zutraulich­e Typ, der doch auch Untiefen besitzt. Ein echter Romantiker also.

Schon in „Transit“verlegte Petzold Anna Seghers’ Stoff aus der Nazi-Zeit in das Marseille der Gegenwart und ließ Figuren aus beiden Zeiten durch dieselbe Geschichte laufen. Das gab dem Film etwas Universell­es, das von Flüchtling­en aller Zeiten erzählt. Auch in „Undine“ergibt die Überlageru­ng unterschie­dlicher Wirklichke­iten schillernd­e Momente, etwas Zauberisch­es, ohne allen Kitsch

Allerdings wirkt das Naive der Märchenhan­dlung, in die Gegenwart transponie­rt, diesmal bisweilen banal. In früheren Filmen schuf Petzold kühle, wortkarge, zutiefst tragische Figuren, die dem Leben verzweifel­t ein wenig Glück abringen wollen. Sie scheitern an den Verhältnis­sen, an einem System, das nur die belohnt, die funktionie­ren. Natürlich war das hochpoliti­sch.

Diese Brüchigkei­t, diese Kargheit, die alle Unschuld absorbiert zu haben scheint, gibt es bei „Undine“nicht. Paula Beer darf als Stadtführe­rin zwar kritische Dinge sagen, etwa über die Tradition der Bodenspeku­lation in Berlin, die schon zu Kaiser Wilhelms Zeiten Wohnen in der Stadt zum Luxus machte. Doch das bleibt Exkurs. Trotz oder sogar wegen aller Märchenraf­finesse bleibt die Wirkung von „Undine“blass. Ein Aquarell.

Im Wettbewerb war der erste deutsche Beitrag mit Spannung erwartet worden, auch weil sich bisher noch kein anderer Bären-Favorit aufdrängt. Aber vergeben werden die Bären erst am Samstag.

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FOTO: DPA Paula Beer (r.) als Undine in Christian Petzolds Wettbewerb­sbeitrag.

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