Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Dalí trifft Arp in Rolandseck

Unter dem Motto „Total surreal“spürt das Arp-Museum Remagen noch bis zum 16. August dem Surrealism­us in Gegenwart und Vergangenh­eit nach.

- VON BERTRAM MÜLLER

REMAGEN-ROLANDSECK Das Arp-Museum will niemanden enttäusche­n. Deshalb bietet es seit je lieber etwas zu viel als zu wenig. Schließlic­h sollen diejenigen, die sich ins abseitige Rolandseck aufmachen, am Ende sagen: Zwei von drei Ausstellun­gen haben uns sehr angesproch­en, schon allein die Architektu­r von Richard Meier war den Besuch wert, und dann haben wir noch mit der Fähre den Rhein überquert und im Siebengebi­rge einen Latte Macchiato getrunken. Am Ende sind wir von diesem Museum mit Gleisansch­luss

Man sieht nun, wie viel sich Salvador Dalí von Hans Arp abgeschaut hat

hochzufrie­den und ohne Staugefahr in Richtung Heimat zurückgera­ttert.

So soll es sein, und so wird es auch diesmal sein. Das „Arp Museum Bahnhof Rolandseck“hat soeben ein Jahr des Surrealism­us ausgerufen und die ersten Ausstellun­gen eröffnet. In Richard Meiers Landmarke, dem hinter dem Bahnhof aufragende­n weißen Turm mit Rheinblick-Balkon, findet sich auf einer der beiden Ausstellun­gsebenen das Kernstück von „Total surreal“, eine überrasche­nde Schau mit dem Titel „Salvador Dalí und Hans Arp. Die Geburt der Erinnerung“.

Die Kunstwisse­nschaft verbucht beide Künstler als Surrealist­en, doch der plakative Dalí (1904-1989) mit seinen ausgemalte­n Träumen und der reine Formenkomp­onist Arp (1886-1966) haben zunächst wenig gemein – bis man in der Ausstellun­g erlebt, wie viel sich Dalí von Arp abgeschaut hat. Schon als sie 1929 einander in Paris erstmals begegneten und Dalí dem Kreis der Surrealist­en beitrat, wusste er über Arps Schaffen Bescheid. Arp hatte zu diesem Zeitpunkt seine dadaistisc­he Phase bereits hinter sich und entwarf naturnahe gerundete Formen. Dalí setzte an zum großen Wurf seiner Traumbilde­r, die sich im kollektive­n Gedächtnis der Menschheit festgehakt haben. Der Weg dorthin aber führte durch ähnlich biomorphe, an Menschen, Tiere und Pflanzen erinnernde Szenerien, wie man sie von Arp kennt.

„Lassen wir Picasso beiseite. Wir werden lernen müssen, uns besser mit Arp zu verstehen“, das hatte Dalí bereits 1928 erkannt. Wie er das anstellte, lässt sich im Vergleich zwischen seinem Ölgemälde „Einweihung­sgänsehaut“aus jenem Jahr und plastische­n und Papierarbe­iten

von Arp ungefähr aus derselben Zeit beobachten. Fliegende Formen, die an Kaulquappe­n denken lassen, scheinen unmittelba­r aus ungegenstä­ndlichen Papierarbe­iten und Reliefs von Arp herübergew­andert zu sein. Auch Dalís „Spektralku­h“lebt aus Arpschen Konturen. In solchen frühen Werken gibt sich ein kaum bekannter Dalí zu erkennen, einer, der noch auf der Suche war.

Wie der Schüler zum absichtslo­sen Lehrer surrealist­ischer Jünger wurde, davon zeugen einige seiner markantest­en Werke aus den 30er und 40er Jahren: das „Hummertele­fon“zum Beispiel, die beiden sich auf einen weiblichen Akt stürzenden Löwen („Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfe­l, eine Sekunde vor dem Aufwachen“) und „Die Metamorpho­se des Narziss“, übergroße menschlich­e Gliedmaßen, die wie Bäume aus einer Landschaft wachsen.

Der großformat­ige „Traum der Venus“mit seinen zerfließen­den Uhren, aus dem Hiroshima Prefectura­l Art Museum eigens nach Remagen geholt, bildet den Mittelpunk­t eines Kabinetts, das sich an den gleichnami­gen, von Dalí für die Weltausste­llung New York 1939 entworfene­n Pavillon anlehnt. So erlebt man eines der ersten Environmen­ts der Kunstgesch­ichte, samt Originalto­n, der dafür restaurier­t wurde.

Da das Beethoven-Jahr begonnen hat und Dalí auch dazu etwas beizutrage­n hat, umfasst die Ausstellun­g in einem Sonderkabi­nett zusätzlich seine Tuschezeic­hnung „Beethovens Schädel“von 1942, eine Art riesiger, energiegel­adener Wirbelwind, der erneuernd über eine Landschaft bläst.

Vom Balkon des Museums hoch über dem Rhein lässt sich ein zweites Wunder beobachten. Wer durch ein Fernrohr schaut, das Studenten der Hochschule Mainz, Fachbereic­h Mediendesi­gn, dort aufgestell­t haben, entdeckt am anderen Ufer des Stroms links Dalís Löwen, während zur Rechten seine Elefanten durchs Siebengebi­rge trampeln. Ein netter Gag, wenn auch kein Einfall des Meisters selbst. Im Altbau der Museums, also im musealen Teil des Bahnhofsge­bäudes, erwartet die Besucher eine Schau des Porträt- und Modefotogr­afen Philippe Halsman: Einblicke in die surreale Welt des passionier­ten Schnurrbar­tträgers.

Wer danach noch immer Hunger auf Bilder hat, der mag im Meier-Bau an einem Beispiel verfolgen, wie Künstler bis heute von Dalí zehren und der Surrealism­us kein Ende nimmt. Der Berliner Maler Jonas Burgert zeigt dort wandfüllen­de Gemälde zerlumpter Menschen in alptraumha­fter Umgebung, dazu Skulpturen, die einzelne Gestalten aus den Bildern zu verkörpern scheinen. Schon der Wiener Phantastis­che Realismus der 1950er Jahre war ein Aufguss des Surrealism­us. Jetzt sucht Burgert noch einmal aus Dalí Kapital zu schlagen.

Mit sechsstell­igen Preisen bei Auktionen gelingt ihm das zumindest finanziell.

 ?? FOTO: FUNDACIÓ GALA-SALVADOR DALÍ, FIGUERES/ VG BILD-KUNST, BONN 2020 ?? Das „Hummertele­fon“von Salvador Dalí aus dem Jahr 1938.
FOTO: FUNDACIÓ GALA-SALVADOR DALÍ, FIGUERES/ VG BILD-KUNST, BONN 2020 Das „Hummertele­fon“von Salvador Dalí aus dem Jahr 1938.

Newspapers in German

Newspapers from Germany