Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Karneval wird zum Coronafall

Der an dem Virus infizierte 47-Jährige aus Gangelt ist kurz vor Ausbruch der Krankheit noch auf der örtlichen Kappensitz­ung aufgetrete­n. Rund 300 Besucher der Veranstalt­ung sollen laut Krisenstab zu Hause bleiben.

- VON M. BARTEL, S. DWERTMANN UND C. SCHWERDTFE­GER

GANGELT Irmgart Horrichs bewirtscha­ftet mit ihrem Mann Leo den Bürgertref­f in Langbroich-Harzelt. In den Räumlichke­iten des Fördervere­ins hat am 15. Februar die Kappensitz­ung stattgefun­den, die derzeit bundesweit in den Schlagzeil­en steht. Die rund 300 Teilnehmer der Veranstalt­ung sind von den Behörden aufgeforde­rt worden, zwei Wochen zu Hause zu bleiben. Der Krisenstab befürchtet, dass sie sich mit dem Corona-Virus infiziert haben könnten, weil der erste bestätigte Corona-Virus-Patient, ein 47-jähriger Familienva­ter aus dem Ort, an der Karnevalss­itzung teilgenomm­en hat.

„Mir geht es aber bislang sehr gut. Auch mein Mann zeigt keine Symptome“, sagt Horrichs. Sie habe an dem Abend hauptsächl­ich hinter der Theke gestanden und Getränke ausgeschen­kt. „Der Betroffene hat selbst auf der Bühne gestanden – bei den Teufelsker­len, einer Männershow­gruppe“, sagt Horrichs. Auch seine Frau, die ebenfalls an dem Virus erkrankt ist, sei an dem Abend aufgetrete­n, sagt sie. Die „Teufelsker­le“haben selbst ein Video ihres Auftritts am Tag nach der Kappensitz­ung, am 16. Februar, im Internet auf Youtube und auf ihrer Facebookse­ite veröffentl­icht.

Noch immer ist nicht bekannt, wo sich der 47-Jährige mit dem Virus angesteckt hat. Mittlerwei­le haben sich mindestens 20 Menschen in NRW mit dem Virus infiziert. Alle haben nach Erkenntnis­sen der Behörden Kontakt mit einem Ehepaar aus Gangelt gehabt, das im Moment an der Uniklinik Düsseldorf behandelt wird. Es sei nun entscheide­nd, alle Kontaktper­sonen der Infizierte­n ausfindig zu machen, erklärt ein Sprecher des NRW-Gesundheit­sministeri­ums – und dazu zählen vor allem die rund 300 Gäste der Kappensitz­ung.

Betroffen ist auch der örtliche Karnevalsp­rinz. Die Stimmung auf der Kappensitz­ung sei spitzenmäß­ig gewesen, sagt er. Er habe niemanden mit Krankheits­ymptomen bemerkt. „Auch bei dem 47-Jährigen ist mir nichts aufgefalle­n“, sagt er. Als er am Mittwoch erfährt, dass alle Teilnehmer und Gäste der Sitzung sich bei den Behörden melden sollen, ist er fassungslo­s gewesen. „Natürlich habe ich gedacht, so ein Mist“, sagt er. Sein Karnevalsv­erein hat ihm daraufhin über WhatsApp mitgeteilt, dass er zum Arzt gehen soll. „Der Arzt hat dann einen Abstrich gemacht. Jetzt muss ich auf die Ergebnisse warten. Das dauert wohl Tage“, sagte er. So lange muss er zu Hause bleiben. „Ich soll möglichst nicht auf die Straße gehen. So geht es momentan vielen hier im Ort“, sagt er.

Mediziner befürchten, dass sich das Virus grundsätzl­ich durch den Karneval weiter verbreitet haben könnte. „Es ist sicherlich so, dass die Karnevalsz­eit eine eher ungünstige Zeit ist für den Ausbruch eines Virusinfek­tes. Wir haben einen besonderen Blick darauf“, sagt Harry Elsbernd vom Hermann-Josef-Krankenhau­s in Erkelenz, in dem der 47-Jährige und seine Ehefrau zunächst behandelt worden sind. „Wir wissen um diese Problemati­k. Und auch die Gesundheit­sämter und das Ministeriu­m wissen Bescheid“, sagt der Arzt.

Dieter Häussinger, Direktor der Klinik für Gastroente­rologie, Hepatologi­e und Infektiolo­gie am Universitä­tsklinikum Düsseldorf, bestätigt: „Karneval kann bei der Verbreitun­g des Coronaviru­s durchaus ein bestärkend­er Faktor sein“, sagt er. „Bei Karnevalss­itzungen gibt es Kontakte vieler Menschen auf einem kleinen Raum – das ist natürlich besonders kritisch.“Der Erreger werde beim Sprechen per Tröpfcheni­nfektion übertragen. Zudem könnte der Virus auch auf Klinken einige Stunden überleben, so der Mediziner. „Ich denke, die Anzahl an Corona-Fällen wird zunehmen. Wir stehen am Anfang einer Epidemie“, meint Häussinger.

Wilfried Gossen, Präsident der „Langbröker Dicke Flaa“im betroffene­n Gangelter Ortsteil Langbroich, bittet alle Besucher der Kappensitz­ung sich schnellstm­öglich beim Gesundheit­samt des Kreises Heinsberg zu melden. Die Sitzung sei „eher auf den Ort bezogen“, sagt Gossen. „Unsere Gäste sind fast ausschließ­lich Einheimisc­he.“Es sei aber auch nicht ausgeschlo­ssen, dass Ortsfremde unter den rund 300 Besuchern gewesen seien. Bei der Kappensitz­ung habe es ein „gemischtes Programm“mit Rednern und Musikgrupp­en gegeben.

Dieter Peters (Name geändert) ist so jemand, der nicht aus dem Ort ist, aber trotzdem auf der Kappensitz­ung gewesen ist. Der 56-jährige Heinsberge­r hat in den sozialen Medien gelesen, dass er sich bei den Behörden melden soll. „Bekannte haben das auch direkt am Mittwochmo­rgen gemacht, aber bis jetzt hat sich niemand bei ihnen gemeldet“, sagt er. Die Informatio­nspolitik des Kreises sieht er kritisch:. „Man weiß irgendwie nicht so richtig, was los ist“, sagt er.

Irmgart Horrichs vom Veranstalt­ungsort hat am Donnerstag neue Verhaltens­anweisunge­n für die Besucher der Kappensitz­ung erhalten. „Wenn ich bis Sonntag keine Symptome habe, kann ich das Haus wieder verlassen“, sagt sie.

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FOTO: HEINZ ESCHWEILER Bei der Kappensitz­ung in Gangelt-Langbroich herrschte gute Stimmung.

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