Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Wenn man käuflich ist, ist man kaputt“
Der Auto-Experte über seinen Weg in die Wirtschaft und zurück, die Faszination für China – und die schwerste Krise seines Berufslebens.
BOCHUM Es gibt wohl niemanden in der Automobil-Branche, der den Namen Ferdinand Dudenhöffer nicht kennt. Der Professor der Universität Duisburg-Essen ist der bekannteste Auto-Experte im Land. Mit 68 Jahren geht er an der Uni Ende des Monats in den Ruhestand – gegen seinen Willen. Seine Karriere setzt er daher schwerpunktmäßig in der Schweiz fort. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Wie wird man eigentlich „Auto-Experte“?
DUDENHÖFFER Die Frage ist ja zunächst mal, warum ich aus der Wirtschaft an die Hochschule zurückgegangen bin. Das Thema „Auto-Experte“hat sich anschließend nämlich einfach so ergeben.
Also: Wieso sind Sie aus der Wirtschaft an die Hochschule gegangen? DUDENHÖFFER Die Forschung hat mir schon immer Spaß gemacht, auch in Mannheim, wo ich nach dem VWL-Studium mit Klaus Zimmermann (Anm. d. Red.: Ex-Chef des Instituts zur Zukunft der Arbeit) und Hans-Werner Sinn (Ex-Ifo-Chef ) gearbeitet habe. Die beiden sind an der Hochschule geblieben, ich bin durch Zufall bei Opel gelandet. Damals hatte ich noch keine Ahnung von Autos und fuhr einen kleinen Corsa mit 1,0-Liter-Motor. Ich erinnere mich noch gut, wie ich beim Vorstellungsgespräch gefragt wurde, welcher Motor in meinem Opel drin sei. Da habe ich rote Ohren gekriegt.
Bei Opel waren Sie u.a. im Marketing. Später sind Sie zu Porsche gewechselt. Wie unterschieden sich die Unternehmen?
DUDENHÖFFER (lacht) Naja, bei Porsche konnte ich als Dienstwagen einen 911 fahren. Aber im Ernst: General Motors ist ein Großkonzern, das hat man auch bei der damaligen Tochter Opel gemerkt. Bei Porsche war es genau umgekehrt, das war eine kleine Familie. Irgendwann kam das Angebot, als Verkaufsleiter für Deutschland zu Peugeot zu wechseln. Da hatte ich plötzlich mit Händlern zu tun – und habe viel über den Verkauf von Autos gelernt. Dieses Wissen hilft mir heute noch. Aus meiner Sicht darf man als Wissenschaftler Unternehmen nicht nur aus dem Lehrbuch kennen.
Warum sind Sie trotz der Karriere an die Hochschule zurückgegangen? DUDENHÖFFER Peugeot hat vor einigen Jahren das Modell 806 auf den Markt gebracht. Dessen Plattform wurde auch von Fiat genutzt, da hieß die Großraum-Limousine Ulysse, bei Citroën hieß sie Evasion und bei Lancia Zeta. Wir haben damals mit Händlern das Werk besichtigt und kamen irgendwann an das Ende des Bands. Da sah man, wie aus einem fertigen Auto entweder ein Peugeot oder Fiat wurde. Das Logo am Kühlergrill war der Unterschied
Kunden wurde das gleiche Auto von vier Herstellern angeboten? DUDENHÖFFER Das war nicht mal das größte Problem. Wir wussten, dass Fiat immer die besten Preise macht. Die Händler wussten das auch. Also haben wir gemeinsam überlegt, welches Marketing man machen müsste, um das Auto nicht mit hohen Rabatten verkaufen zu müssen. Ich habe dieses Beispiel damals an das Fachmagazin „Absatzwirtschaft“geschickt und es wurde tatsächlich gedruckt. Solche theoretischen Fragen haben mir als Ökonom schon Spaß gemacht, das hatte sich in all den Jahren nicht geändert. Als dann an der Fachhochschule Gelsenkirchen eine Stelle ausgeschrieben war, habe ich mich einfach beworben.
Aber wie wurden Sie dann Auto-Experte? Haben die Journalisten Sie irgendwann angerufen? DUDENHÖFFER Nee, da hat ja niemand auf mich gewartet. Wir haben kleine Studien gemacht und die an Journalisten geschickt. Das macht man ein paar Mal, ruft vielleicht auch mal an – und irgendwann ist man soweit, dass der Journalist einen kennt.
Warum haben Sie das gemacht? DUDENHÖFFER Es ist ja auch langweilig, wenn man immer nur seinen Studenten etwas erklärt. Ich verstehe die Industrie oder bilde mir das zumindest ein – und dann bin ich vielleicht auch etwas mitteilungsbedürftig...
Hat sich ein Autoboss mal bei Ihnen über Ihre Analysen beschwert?
DUDENHÖFFER Persönlich nicht. Aber klar gab es Reaktionen. Zwischendurch hatte ich Existenzängste.
Wieso?
DUDENHÖFFER Wir haben mal eine Studie gemacht, dass der neue VWGolf mit Rabatten in den Markt gebracht wird. Nachdem das „Handelsblatt“die Geschichte veröffentlich hat, behauptete VW, wir würden lügen und hatte mögliche juristische Schritte angedeutet. Da hatte ich schon Schiss, dass wir irgendwo einen Fehler gemacht haben. Damals hat „Wiko“(Ex-VW-Chef Martin Winterkorn) über den damaligen Kommunikationschef Stephan Grühsem auch einen Brief an meinen Rektor schicken lassen, warum er an seiner Uni so einen Taugenichts wie den Dudenhöffer herumlaufen lässt. Wenig später tauchte eine Geschichte im „Spiegel“auf, in der behauptet wurde, ich wäre von Daimler bezahlt worden.
2006 berichtete der „Spiegel“, dass eine Firma, an der Sie beteiligt waren, gegen Bezahlung Analysen für Daimler gemacht habe. Sie wiederum hätten sich gleichzeitig auffallend positiv über Daimler geäußert. DUDENHÖFFER Richtig. Die beiden Redakteure haben sogar alle Buchungen auf meinem Privatkonto gekannt. Ich bin sehr sicher, dass das vom damaligen VW-Konzern ausging.
Wie haben Sie reagiert? DUDENHÖFFER Der „Spiegel“hat mir Fragen zugeschickt, die ich innerhalb von 24 Stunden beantworten sollte. Wir haben die Redakteure dann eingeladen und die Geschichte aus unserer Sicht erzählt. Sie wurde aber trotzdem gedruckt. Ich bin dann mit einem Medienanwalt dagegen vorgegangen und der „Spiegel“musste größere Passagen im Text im Nachhinein schwärzen.
Ihre Firma arbeitete damals auch mit anderen Herstellern zusammen, weshalb Sie die Berichterstattung „einseitig und tendenziös“genannt haben.
DUDENHÖFFER Ja. Das war existenzgefährdend. Wenn man käuflich ist, ist man kaputt. Ich fahre deswegen zum Beispiel auch keine Testwagen von Herstellern. Ich hatte immer mein olles Auto mit Bochumer Kennzeichen. Ich habe damals aber glücklicherweise auch viele Anrufe bekommen von Leuten, die gesagt haben: Dudenhöffer, wir glauben dir.
Was fasziniert Sie trotz solcher Erlebnisse bis heute an der Branche? DUDENHÖFFER Die Innovationen. Die Geschichte von Tesla finde ich zum Beispiel faszinierend. Und auch an der Hochschule komme ich ja immer wieder mit Technologie-Innovationen in Kontakt. Und dann gibt es noch einen weiteren Punkt...
Nämlich?
DUDENHÖFFER Ich finde China toll. Vielen geht das anders, aber ich finde es unglaublich, in wie kurzer Zeit sich das Land als Technologieführer in verschiedenen Bereichen etabliert hat. Jedes Mal, wenn ich aus Peking oder Shanghai zurückkehre und am Duisburger Hauptbahnhof aussteige, denke ich: „Das kann doch nicht wahr sein.“
Letzte Frage: Sie wechseln nun an die Universität in St. Gallen. Fällt Ihnen der Aufbruch in Ihr neues Leben in der Schweiz leicht? DUDENHÖFFER Ich bin christlich erzogen worden. Es gibt in der Bibel eine Geschichte, in der Gott Lot und seiner Familie verbietet, auf ihrer Flucht aus Sodom zurückzuschauen. Lots Frau tut es dennoch – und erstarrt zur Salzsäule. Ich bin kein Mensch, der zurückschaut.
FLORIAN RINKE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.