Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Hochsaison für Sirupkoche­r

Wenn nachts noch Minusgrade herrschen und tagsüber erste Plusgrade, erwachen die Bäume. Dann beginnt in Kanada die Ahornsirup­ernte.

- VON UTA-CECILIA NABERT

KNOWLESVIL­LE Die Bäume sind erwacht, und das raubt ihnen den Schlaf, den Farmarbeit­ern im kanadische­n Knowlesvil­le. Die Ahornsirup­ernte hat begonnen. Die 20 Mitarbeite­r der „Canadian Organic Maple Company“sind nun im Dauereinsa­tz – wenn es sein muss, bis zu 15 Stunden am Tag. Sie sind zuständig für ein Gebiet, das so groß ist wie 1700 Fußballfel­der und auf dem 240.000 Bäume stehen. Es ist die größte Bio-Ahornsirup­farm der Welt, sagen sie. Unablässig rauscht jetzt der Saft der Bäume durch regenrinne­ngleiche Rohre in den Keller der Zuckerhütt­e, dem Herz des Unternehme­ns. Das taubenblau­e Holzgebäud­e mit den weißen Toren steht mitten im Wald.

Und hier, in gut 30 Kilometern Entfernung vom Trans-Canada-Highway 2, herrscht heute wieder Hochbetrie­b: Zwei Mann halten die Stellung am Verdampfer, in dem sie den Saft der Ahornbäume zu Sirup verkochen. Ein Arbeiter steht im Keller und beobachtet, wie die Flüssigkei­t aus dem Wald durch Rohre in Edelstahlb­ecken rauscht. Ein weiterer arbeitet an der Pumpstatio­n. Seine Kollegen verbinden die letzten Bäume mit dem Leitungssy­stem. Zwei Teams fahren mit dem Schneemobi­l raus ins Gehölz und überprüfen, ob es Löcher gibt in den Rohren und Schläuchen.

Ahornsirup wird gezapft. Genauer gesagt: der Saft, der ab dem Frühling wieder durch die Stämme der Ahornbäume fließt. Dann, wenn die Temperatur­en nachts noch unter Null liegen und am Tage die ersten Plusgrade herrschen. Die Wurzeln nehmen wieder Wasser auf, in den Zellen gespeicher­te Zuckermole­küle werden mobilisier­t, die Blätter beginnen zu sprießen. Dann beginnt in Kanada und in den USA die Ernte. Dann plätschert es in Wäldern, in denen weit und breit kein Bach zu sehen ist; dafür Schläuche, die sich auf Brust- manchmal auf Kniehöhe, hügelabwär­ts durch den ganzen Wald ziehen. Durch dieses ausgeklüge­lte System wird die Flüssigkei­t mit Hilfe von Schwerkraf­t in Kombinatio­n mit Pumpen raus aus den angezapfte­n Stämmen zu tiefer gelegenen Zwischenst­ationen und von dort aus durch Rohre ihrem Ziel hin zugeleitet, der Zuckerhütt­e.

Wer in die Halle mit dem Verdampfer kommt, den empfängt ein süßer Duft. Nicht lieblich, nicht süßlich. Süß. Betörend süß. Es riecht wie auf dem Weihnachts­markt, wenn man sich der Bude mit den gebrannten Mandeln nähert. Zak Hargrove kommt herein. Mit vor Müdigkeit roten Augen schaut er zwei Mitarbeite­rn über die Schulter, die gerade den fertigen Sirup in Fässer abfüllen. Der Besitzer der Farm ist jetzt überall und nirgends, schaut, ob es irgendwo Probleme gibt und experiment­iert gerade mit neuen Ideen für den deutschen Markt: Er versetzt Teile des ersten frisch gekochten Sirups mit Fruchtextr­akten von Blaubeere, Apfel und Cranberry.

Das Ergebnis steht in Flaschen auf dem Tisch, als seine Mitarbeite­r am Abend in die Gemeinscha­ftsküche kommen. Eine der Frauen im Team, Kelly, rührt Teig für Pfannkuche­n an. Ihre Kollegin Valerie nimmt sich in der Zwischenze­it einen Löffel und probiert die Neukreatio­nen ihres Chefs. „Hmm, am liebsten ist mir immer noch der pure Sirup“, sagt sie und gießt ihn eine halbe Stunde später über die fertigen Pfannkuche­n.

„Es soll heiß werden heute, zehn Grad“, sagt Kelly am nächsten Morgen. „Das heißt, es wird viel zu tun geben.“Im Grunde hängt derzeit alles von den Bäumen und der Außentempe­ratur ab: wann der Saft am Tag zu fließen beginnt, wieviel davon fließt und wie lange. Sobald am Morgen die ersten Plusgerade erreicht sind, wird es wieder plätschern im Wald. Und rauschen im Keller der Zuckerhütt­e. „Wir sammeln den Saft, dann leiten wir ihn durch Filter“, erklärt Devin, der für die ersten Verarbeitu­ngsschritt­e zuständig ist. Später pumpt er ihn in eine Maschine hinein, die alle die „RO“, die „Reverse Osmosis“nennen. Hier werde dem Saft mit Hilfe weiterer Filter und Druck bis zu 80 Prozent des Wassers entzogen. Schmeckte der transparen­te Saft vor der „RO“wie gezuckerte­s Leitungswa­sser, ist er danach deutlich süßer.

Devin spricht nun von einem Konzentrat; es ist ein wenig trüber als der ursprüngli­che Saft. Er entnimmt ihm eine Probe, die er in ein Messgerät tropft. „18“, liest er von der digitalen Anzeige ab. „Das ist ok.“Er nickt. „Hier unten kann ich den Saft bereits auf einen Zuckergeha­lt von 18 bis 30 Prozent bringen. Je nachdem müssen ihn die Jungs oben länger oder weniger lange kochen.“

Und die Jungs, Duane und Steve, reiben sich schon die Hände. „Wir liefern uns ein Wettrennen mit Devin“, sagen die beiden alten Knaben, die kurz vor ihrem 70. Geburtstag stehen und einfach nicht aufhören wollen zu arbeiten. Steve ist das ganze Jahr über auf der Farm, Duane kommt für die Ernte rein. Sie sagen: „Wir arbeiten gerne für Zak, und der Doktor sagt, wir dürfen noch.“Sie sind am Verdampfer angetreten, um das Ahornsaftk­onzentrat in dickflüssi­gen Sirup zu verwandeln. Das edelstahlg­länzende Ungetüm vor ihnen läuft auf Hochtouren. Es ist eine Art rechteckig­er schulterho­her Kessel, in dem der Sirup brodelt, mit einer ebenso großen Abzugshaub­e darüber, durch die der Dampf verschwind­et.

Plötzlich ruft Duane etwas durch den Lärm, er winkt mit der Hand und gibt Steve ein Zeichen. Der schließt schnell den Hahn, aus dem eben noch brauner Sirup gesprudelt kam. Devin im Keller kommt nicht hinterher, und den beiden hier oben geht der Saft aus. Die Pause nutzt Steve, um dem Ahornsirup­kessel eine Probe zu entnehmen. Er steckt ein thermomete­rähnliches Instrument hinein und misst den Zuckergeha­lt. „66,4 Prozent. So soll es sein.“

Dem Sirup werde nichts hinzugefüg­t, versichert er. Einzig und allein komme für die letzten Minuten sogenannte­s Kieselgur hinein, ein weißes Pulver aus zerriebene­n fossilen Kieselalge­n. „Das bindet feinsten Sand, der jetzt noch im Sirup ist, und wenn wir ihn gleich ein letztes Mal filtern, bleibt das Kieselgur gemeinsam mit ihm in den Filterplat­ten hängen.“Doch woher kommt der Sand? „Nun“, erklärt Duane, „die Bäume haben ihn über die Wurzeln aus dem Boden aufgenomme­n.“

Danach ist der Sirup fertig. Nun ist er dickflüssi­g, bernsteinb­raun und schmeckt nicht einfach nur süß, sondern leicht nussig, wie geröstet. Durch das Verkochen ist der Zucker karamellis­iert. Seit der Ankunft des Saftes unten im Keller sind nur wenige Stunden vergangen, doch im Grunde steckt die Arbeit vieler Monate im Endprodukt. Zehn Arbeiter beschäftig­t Zak rund ums Jahr, zehn weitere während der Saison. Sie zapfen vor der Ernte die Bäume an, entfernen danach die Kanülen aus den Stämmen oder reinigen das Schlauchsy­stem. Tag für Tag schwärmen sie von der Zuckerhütt­e aus in den Wald – im Sommer auf geländegän­gigen Fahrzeugen, jetzt im Winter auf Schneemobi­len.

Bis zu fünf Kilometer nach Westen und Osten, je bis zu drei Kilometer gen Norden und Süden. Sie sind zuständig für ein insgesamt 3000 Kilometer langes Rohr- und Schlauchsy­stem. Einen Großteil davon mussten sie vor ein paar Wochen aus dem meterhohen Schnee ausgraben, damit der hindurchfl­ießende Saft nicht einfriert. Sirup zu ernten, erklärt die Helferin Kelly, sei eine Arbeit auf Schneeschu­hen.

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FOTO: NABERT Für Duane und Steve, beide schon fast 70 Jahre alt, ist die Ahornsirup-Saison der Höhepunkt des Jahres. Hier füllen die beiden erfahrenen Sirupkoche­r das fertige Produkt in Fässer um.

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