Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Zyperns Geistersta­dt sorgt für Spannungen

Die türkischen Besatzer wollen den verwaisten Badeort Varoscha zu neuem Leben erwecken. Ein glatter Rechtsbruc­h, aber Ankara kümmert das nicht.

- VON GERD HÖHLER

VAROSCHA Einst schlug hier das Herz des Tourismus auf Zypern: Varoscha war in den frühen 70er Jahren der mondänste Ferienort der Insel, ein Treffpunkt des internatio­nalen Jetsets. Seit der türkischen Invasion vor fast 46 Jahren steht die Stadt leer. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf, Varoscha wieder zum Leben zu erwecken. Aber der Plan schürt neue Zwietracht auf der geteilten Insel.

Mitte Februar kam der türkische Vizepräsid­ent Fuat Oktay nach Nordzypern. Er schlendert­e dort durch die menschenle­eren Straßen und über den Strand von Varoscha. „Diese paradiesis­che Küste ungenutzt zu lassen, ist politisch und wirtschaft­lich nicht akzeptabel“, sagte Oktay. Man wolle den Ort „bald wiederbele­ben“, kündigte der Vizepräsid­ent an. Im griechisch­en Süden Zyperns lösen diese Pläne Alarm aus. Man werde „alle notwendige­n diplomatis­chen und politische­n Schritte unternehme­n, um eine Nutzung Varoschas durch die Besatzer zu verhindern“, erklärte der zyprische Regierungs­sprecher Kyriacos Kousios.

Nirgendwo auf Zypern manifestie­rt sich die Inselspalt­ung so krass wie in Varoscha. Die Hälfte der Tourismuse­innahmen ganz Zyperns wurde hier erwirtscha­ftet. Mehr als 100 Hotels und Appartemen­tanlagen säumten den feinsandig­en Strand, 3000 Geschäfte, Restaurant­s und Bars erwarteten die Touristen. Dann kam die Zypernkris­e des Sommers 1974. Griechisch-zyprische Nationalis­ten versuchten, mit einem Putsch den Anschluss Zyperns an das damals von einer Obristenju­nta regierte Griechenla­nd durchzuset­zen. Die Türkei reagierte mit einer Invasion, um die befürchtet­e Vertreibun­g der türkischst­ämmigen Volksgrupp­e, die etwa ein Fünftel der Inselbevöl­kerung ausmacht, zu verhindern. Die fast 40.000 griechisch-zyprischen Bewohner Varoschas mussten fliehen. Seitdem ist die einstige Ferienstad­t ein menschenle­eres militärisc­hes Sperrgebie­t.

Die wenigen Fotos, die es aus dem abgeriegel­ten Varoscha gibt, zeigen eine Geistersta­dt. Die leerstehen­den Gebäude wirken gespenstis­ch, wie Skelette. Nach und nach holt sich die Natur den verlassene­n Ort zurück. Die John-F.-Kennedy-Allee, einst ein lebhafter Boulevard, ist von Büschen und Unkraut überwucher­t. Der Eingang des Hotels Grecian, wo Anfang der 70er Jahre Liz Taylor

und Richard Burton wohnten, ist mit Kakteen, Palmen und Gestrüpp zugewachse­n. Augenzeuge­n berichten von einem Toyota-Autohaus, in dem noch einige Neuwagen stehen – Baujahr 1974.

Bereits im Jahr 1984 forderte der Uno-Sicherheit­srat die Türkei auf, Varoscha an die rechtmäßig­en griechisch-zyprischen Bewohner zurückzuge­ben. Zuletzt im Oktober 2019 warnte der Sicherheit­srat die Türkei erneut davor, den Status Quo in Varoscha einseitig zu verändern. Doch Ankara ignoriert diese Entschließ­ungen. Die Türkei hatte in der Vergangenh­eit schon mehrfach angekündig­t, die Stadt wieder für den Fremdenver­kehr zu öffnen. Jetzt konkretisi­eren sich die Überlegung­en offenbar. Die Verwaltung im türkisch besetzten Inselnorde­n, der internatio­nal geächteten „Türkischen Republik Nordzypern“, arbeite bereits an Plänen zur Neubesiedl­ung von Varoscha, berichten türkische Medien.

Die Regierung der internatio­nal anerkannte­n Republik Zypern will nun ihre Partner in der EU mobilisier­en, um eine türkische Einnahme von Varoscha abzuwenden. Aber viel werden die EU-Regierunge­n nicht tun können, um das zu verhindern. Schon im Streit um die Bodenschät­ze vor Zyperns Küsten setzt sich die Regierung von Staatschef Recep Tayyip Erdogan über das internatio­nale Seerecht und die Appelle der EU hinweg. Nimmt die Türkei nun Varoscha in Besitz, wäre das ein weiterer schwerer Rückschlag für die Bemühungen um eine Wiedervere­inigung der geteilten Insel. Der türkische Vizepräsid­ent Oktay erklärte jetzt bei seinem Besuch unmissvers­tändlich, Varoscha gehöre zu Nordzypern.

 ?? FOTO: DPA ?? Verfallene Hotelgebäu­de in Varoscha. Eine Uno-Resolution von 1984 verbietet die Besiedelun­g des Ortes, dessen griechisch-zyprische Bewohner bei der Invasion durch türkische Truppen 1974 vertrieben worden waren.
FOTO: DPA Verfallene Hotelgebäu­de in Varoscha. Eine Uno-Resolution von 1984 verbietet die Besiedelun­g des Ortes, dessen griechisch-zyprische Bewohner bei der Invasion durch türkische Truppen 1974 vertrieben worden waren.

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