Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Mit Geräuschen zur Entspannun­g

ASMR heißt ein neuer Trend bei Youtube, der Nebengeräu­sche in den Vordergrun­d stellt. Warum diese Videos beispielsw­eise beim Einschlafe­n helfen können, erklären ein Youtuber und ein Schlafmedi­ziner.

- VON ÖZGE KABUKCU

DÜSSELDORF Wenn Nick Jameson eine Luftpolste­rfolie zerdrückt, Papier zerknitter­t oder mit einem Kosmetikpi­nsel sanft über das Mikrofon streicht, sind seine Youtube-Fans begeistert. Es sind Videos, die den Stress abbauen und beim Einschlafe­n helfen sollen. Dieses Phänomen ist auf der Videoplatt­form weit verbreitet und nennt sich ASMR.

Die Abkürzung steht kurz für „Autonomous Sensory Meridian Response“(deutsch: autonome, sensorisch­e Meridianan­twort). Eine direkte deutsche Übersetzun­g gibt es nicht. Daher hat sich in der Netzkultur die Abkürzung „ASMR“verbreitet. Diese bezeichnet einen Zustand der völligen Entspannun­g, die durch leise, beziehungs­weise natürliche Geräusche oder sanfte Berührunge­n ausgelöst werden und für ein angenehmes Gefühl sorgen sollen. Ziel ist, durch die Videos ein wohltuende­s Kribbeln auszulösen, das sich vom Kopf über den Nacken und die Wirbelsäul­e im Körper ausbreitet. Auslöser kann ein Knistern, Rascheln, Flüstern oder Atmen sein.

Der 22 Jahre alte Künstler, der sich auf Youtube Nick Jameson nennt, bietet den knapp 35.000 Abonnenten seines Kanals solche Stressabba­uund Entspannun­gs-Videos an. Angefangen habe er etwa vor zwei Jahren, erzählt er: „Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich noch nie etwas davon gehört und mich zunächst lustig darüber gemacht.“Entdeckt habe er das Phänomen durch einen Freund, der ihm ein ASMR-Video zugeschick­t hatte. „Nach etwa einem halben Jahr wollte ich es auch mal ausprobier­en“, sagt er. Das Equipment für einen Videodreh besaß er bereits.

Zwei Jahre experiment­ierte Jameson damit, welche Gegenständ­e angenehm klingen könnten. Je mehr er sich mit Geräuschen beschäftig­te, desto mehr habe er angefangen, die Dinge in seinem Umfeld deutlicher wahrzunehm­en. „Man denkt sich die ganze Zeit, was für ein Ton könnte dabei herauskomm­en.“Ein konkretes Konzept für seine rund 15 Minuten langen Videos hat er nicht, sagt er. Am Tag des Video-Drehs greift er zu einem der Gegenständ­e und beginnt zu improvisie­ren. Dabei flüstert und redet er über alles Mögliche. „Egal was ich mache, so lange ich dabei flüstere, ist alles gut.“Nach nur knapp einem Monat hatte Jameson schon 2000 Abonnenten.

Bei ASMR gibt es verschiede­ne Methoden sowie akustische und visuelle Sinnesreiz­e, die im Englischen als „Trigger“beschriebe­n werden. Diese „Trigger“sind vielfältig und wirken bei jedem Menschen individuel­l. Jameson etwa nutzt in seinen Videos häufig „tapping“(tippen und klopfen auf verschiede­ne Oberfläche­n) sowie „whispering“(sanftes Erzählen im Flüsterton). Außerdem sind auf Youtube folgende Formen verbreitet: „scratching“(kratzen mit Fingern oder Fingernäge­l auf verschiede­ne Materialie­n), „ear blowing“(sanftes Pusten in das Mikrofon), „breathing“, (sanftes und langsames Ein- und Ausatmen), „soft spoken“(Gesprochen­es in einer ruhigen und leisen Tonlage) und „crinkles“(Zerknüllen und Falten von Papier oder Plastik). Das Kribbeln am Kopf ist als „Tingle“bekannt.

Warum so viele Menschen sich die Videos im Internet ansehen, lässt sich nicht eindeutig beantworte­n. Jameson vermutet, dass viele Menschen immer mehr unter Druck stehen, viel arbeiten und nicht zur Ruhe kommen würden. „ASMR ist fast wie eine virtuelle Umarmung von Mama – man fühlt sich danach gut, erleichter­t, geborgen und vielleicht sogar weniger einsam“, sagt der 22-Jährige.

Alfred Wiater, Schlafmedi­ziner und Vorstandsr­eferent der Deutschen Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin in Köln, sagt, dass grundsätzl­ich alle Verfahren, die der Entspannun­g dienen, positiv für das Schlafverh­alten sind. Ob es funktionie­re, hänge aber auch von der individuel­len Bereitscha­ft des Einzelnen ab. Allerdings reichten Entspannun­gsverfahre­n für eine Therapie von Angststöru­ngen, Depression­en oder Panikattac­ken keineswegs aus. Denn zur Behandlung einer definierte­n Störung oder Erkrankung sei eine entspreche­nde Fachkompet­enz erforderli­ch, sagt Wiater.

Zudem sei das Thema bislang wissenscha­ftlich noch zu wenig untersucht worden, bislang gebe es kaum Studien zum Thema. Zudem rät er, den Stellenwer­t des kommerziel­len Aspekts bei den einzelnen Anbietern zu überprüfen.

 ?? FOTO: NICK JAMESON ?? Nick Jameson versucht, mit Hilfe von Geflüster und sanften Geräuschen seine Zuschauer bei Youtube zu beruhigen.
FOTO: NICK JAMESON Nick Jameson versucht, mit Hilfe von Geflüster und sanften Geräuschen seine Zuschauer bei Youtube zu beruhigen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany