Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ruheständl­er Löchelt ist ein kritischer Beobachter.

Reinhard Löchelt blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Muße habe er neu lernen müssen, sagt der ehemalige Leiter des Gymnasiums.

- VON MELANIE APRIN

WERMELSKIR­CHEN Reinhard Löchelt kennt eine afrikanisc­he Lebensweis­heit: „Viele kleine Leute in vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern“. Unter diesem Aphorismus habe er stets seine berufliche Mission gesehen, sagt der ehemalige Leiter des Gymnasiums in Wermelskir­chen, der soeben 70 Jahre geworden ist. Sein Lebensweg gibt ihm Recht: Nach der sehr wirkungsvo­llen

„Ich entdeckte neu, wie es ist, die Dinge einfach zu beobachten und nicht immer mitzumisch­en“

Reinhard Löchelt Ehemaliger Oberstudie­ndirektor am Gymnasium

Zeit als Oberstudie­ndirektor am Gymnasium engagierte sich der studierte Mathematik­er und Philosoph mehr als 16 Jahre im Auslandssc­huldienst. Erste Dienststat­ion war Johannesbu­rg in Südafrika. Dort leitete der heutige Pensionär acht Jahre die Deutsche Internatio­nale Schule. Eine große Auslandssc­hule sei das gewesen, erzählt Löchelt. Das Konzept habe ihn begeistert: „Als Begegnungs­schule repräsenti­erte die Einrichtun­g in ihrer Schülersch­aft auch den Querschnit­t der südafrikan­ischen Gesellscha­ft.“

Ende 2005 kehrte er mit seiner Familie nach Deutschlan­d zurück und siedelte sich erneut in Wermelskir­chen an. Seiner Leitprämis­se blieb er treu: Als Schulaufsi­chtsbeamte­r des Bundes für das Auswärtige Amt in der Zentralste­lle für das Auslandssc­hulwesen mit heutigem Dienstsitz in Bonn bereiste er weltweit viele Länder. Nebenher beteiligte er sich in seiner Heimatstad­t an den Diskussion­en um die Sekundarsc­hule und trug dazu bei, diese damals neue Schulform in seiner

Kommune auf den Weg zu bringen. 2014 kam der Ruhestand. Doch der Schulexper­te hörte nicht auf, sich zu engagieren: Er investiert­e sein pädagogisc­hes Talent in eine Tätigkeit als Reisebegle­iter für Senioren im Dienst der Evangelisc­hen Kirche. „Daneben hielt ich Vorträge vor jungen und auch vor gestandene­n Lehrkräfte­n über das Leben und Arbeiten im Ausland an Universitä­ten, für Arbeitsage­nturen und auf Bildungsme­ssen“, sagt er. Bis er irgendwann feststellt­e, „dass ich verlernt hatte, einfach nur dazusitzen und ein Buch auch einmal bis zum Ende zu lesen“.

Dass der Bildungska­rrierist es zuletzt doch noch schaffte, rechtzeiti­g den Sprung in die Muße zu tun, empfindet er heute als Glück: „Ich entdeckte neu, wie es ist, die Dinge einfach zu beobachten und nicht immer mitzumisch­en.“Seither bleibt Löchelt bewusst im Privaten: Er liebt das Wandern im Bergischen, das Radfahren und spielt viel Cello im Trio und im Orchester. „Ab und an nehme ich auf meinem Instrument sogar wieder Unterricht“, sagt er. Ferner verfolge er weiter genau, was sich in der weiten Welt und in Wermelskir­chen tut. Dabei stelle er sich viele kritische Fragen, darunter auch eine sehr globale: „Welche Entwicklun­gen haben ursächlich dazu geführt, dass Wahlentsch­eidungen in liberal-demokratis­chen Systemen in ganz verschiede­nen Teilen der Welt Autokraten an die Hebel der Macht verholfen haben?“Das beschäftig­e ihn ebenso wie der in seinen Augen kritikwürd­ige Umgang des Westens mit benachteil­igten Nationen in anderen Teilen der Welt. Bei diesem Thema schweife sein Blick über Südamerika hinaus zwangsläuf­ig in erster Linie nach Südafrika ab: „Dort habe ich nicht nur mehrere Jahre gelebt, sondern durch die Arbeit in der Deutschen Internatio­nalen Schule auch tiefe Einblicke in die häuslichen Lebensumst­ände von Menschen unterschie­dlicher sozialer und kulturelle­r Herkunft sowie unterschie­dlicher Hautfarbe und Nationalit­ät gewonnen.“Sein Fazit: „Armut und die fehlende Möglichkei­t der Teilhabe an Bildung sind die zentralen Ursachen für manche aus unserer Sicht schwer nachvollzi­ehbare Verhaltens- und Sichtweise­n der sozial Benachteil­igten“.

Neben dieser Gewissheit habe er aus dem Ausland ein besonderes Bewusstsei­n mitgebrach­t: „Wir leben in Deutschlan­d selbst in der aktuellen pandemisch­en Krise wie auf einem goldenen Stern.“Zumindest verglichen etwa „mit Millionen von Menschen in den südafrikan­ischen Townships, denen es nicht möglich ist, auch nur einen halben Meter Abstand zu halten“. Wie schlimm es um unzählige Menschen in Südafrika bestellt ist, würden ihm auch Berichte von Freunden und ein reduzierte­r Informatio­nsfluss zeigen: „Es kommen kaum noch Nachrichte­n an.“Für ihn ein Indiz dafür, „dass die Leute, insbesonde­re die schwarze Bevölkerun­g, gerade sehr mit sich und ihrem Leben beschäftig­t sind“.

Es sei ihm ein Herzensanl­iegen gewesen, unser modernes Bildungssy­stem allen sozialen Schichten nahezubrin­gen. „Wir transferie­ren mit unseren schulische­n Einrichtun­gen neben fundiertem Wissen auch Werte wie Demokratie, Gleichbere­chtigung und Aufklärung“, sagt Löchelt.

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FOTO: MOLL Reinhard Löchelt informiert sich regelmäßig über die Bergiscche Morgenpost, was in seiner Heimatstad­t passiert. Er war Schulleite­r des Gymnasiums und leitete später die Internatio­nale Schule in Johannesbu­rg.

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