Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Verbundenh­eit erleben

Abhängigke­it gilt als Schwäche. Corona lehrt, das anders zu sehen.

- DOROTHEE KRINGS

Mit dem Begriff Freiheit werden meist Bilder starker, einzelner Menschen verbunden. Sie fahren auf dem Motorrad einsame Highways entlang, stehen auf Berggipfel­n oder Felsvorspr­üngen, unter sich die Brandung, und breiten die Arme aus. Freiheit, das steht für Unabhängig­keit, für das Gefühl, sich losgelöst von allen Zwängen in die Welt zu werfen. Natürlich hat das mit Selbstbewu­sstsein zu tun, mit dem Gefühl, es allein weit zu bringen, Anstrengun­gen zu meisten, Gefahren zu bestehen. Hohe Werte in einer Gesellscha­ft, die auf individuel­le Leistung und Verantwort­ung baut.

In der Krise ist nun nicht nur die Bewegungsf­reiheit

eingeschrä­nkt, viele Leute erleben auch bewusster, dass sie abhängig sind von der Gemeinscha­ft, vom Gesundheit­ssystem, von Lebensmitt­elversorgu­ng, von der Vernunft der anderen, die Abstand halten, Mundschutz tragen, Nachbarn helfen. Solche Formen von Angewiesen­sein kann man als Kränkung fürs eigene Ego empfinden. Oder aber als Anregung verstehen, neu über Abhängigke­it nachzudenk­en, darin womöglich nicht nur etwas Einschränk­endes zu sehen, sondern einen Wert: Verbundenh­eit. Das bedeutet Abhängigke­it nämlich auch: Man steht nicht allein da, kann sich auf andere verlassen.

Es im kleinen Team auf einen Berggipfel geschafft zu haben, ist ein großer Moment. Von solchen Erlebnisse­n kann man lange zehren. Hilfe von anderen zu erfahren, selbst etwas zurückzuge­ben, ist weniger spektakulä­r, weniger erhaben, aber nicht weniger erhebend. Denn es ist das Erlebnis, vertäut zu sein im Miteinande­r. Sich zu verstricke­n in das Geben und Nehmen in der Gesellscha­ft, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Vitalität. Das ist trotz aller Einschränk­ungen durch Corona allerorten zu erleben.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany