Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die Wohngemeinschaften überstehen die Krise.
Die Wohngemeinschaften der Lebenshilfe sind während der Corona-Krise für Besucher gesperrt – keine einfache Zeit.
BRAUNSBERG Als Bernhard Römer an der Tür klingelt, gehen im ersten Stock die Fenster auf. Nach und nach erscheinen immer mehr fröhliche Gesichter an den offenen Fenstern und begrüßen den Leiter der „Lebenshilfe Service“überschwänglich. Schließlich darf die Wohngemeinschaft der Lebenshilfe am Braunsberg seit fast fünf Wochen keinen Besuch mehr empfangen. Umso schöner ist es, wenn doch mal einer an der Türe klingelt und Zeit mitbringt für ein Gespräch – von der Straße aus versteht sich.
„Ich kann im Moment meine Familie nicht sehen“, erzählt Regina Ernst, „deswegen bin ich traurig.“Nimmt sie sich in anderen Zeiten ein Taxi vom Braunsberg, um ihre Familie zu besuchen, muss sie in Corona-Zeiten darauf verzichten. „Seit 17. März gibt es ein Betretungsverbot für unsere Wohngemeinschaften“, erklärt Römer, „auch Besuche außerhalb der eigenen vier Wände sind nicht mehr möglich.“Damit würden die wichtigen persönlichen Kontakte zu Freunden und Angehörigen für die Bewohner wegfallen.
„Ich weine auch manchmal deswegen“, sagt Carina Schmelzer. Aber dann erzählt sie von den Besuchen ihrer Mutter auf der Straße. „Wir winken uns zu“, sagt sie. Viele Telefonate sollen die Traurigkeit vertreiben. Für die nächste Woche kündigt Bernhard Römer dann ein Tablet an. „Dann kann ich endlich mit allen skypen“, sagt Carina Schmelzer und lacht. Schon ist die trübe Stimmung vertrieben. Ja, das sei ein ganz anderes Leben als vorher, befindet Susanne Riedel: „Aber wir fühlen uns hier richtig wohl.“Das strahlen sie und ihre Mitbewohner auch aus, wenn sie vom Fenster aus von ihrem Alltag erzählen und von den vielen bunten Ideen des Teams. Zehn Bewohner mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen
leben in der Wohngemeinschaft am Braunsberg. „Der große Vorteil ist, dass die Bewohner die Gefahren des Coronavirus kognitiv verstehen“, sagt Römer. Gemeinsam haben Mitarbeiter und Bewohner Filme angesehen, um Hygieneregeln
zu verinnerlichen. „Wir dürfen niemanden mehr umarmen und auch keinem die Hand geben“, sagt Ursel Ladiz, „und wir müssen uns viel die Hände waschen.“Es gebe andere Gruppen unter dem Dach der Lebenshilfe Bergisches
Land, in denen Menschen die kognitiven Möglichen fehlen, um die Krise zu verstehen. „In diesen Fällen sind extreme Emotionen möglich, weil die Menschen natürlich merken, dass alles anders ist und ihnen die Begegnungen und ihre Arbeit
fehlen“, sagt Römer – und denkt an Aggressionen und Depressionen. Bisher würden aber alle die Krise gut meistern, auch dank der engagierten Mitarbeiter.
„Wir versuchen, den Menschen eine Struktur zu bieten, die ihnen Sicherheit gibt“, sagt Römer. Der Mitarbeiterstamm für die Wohngemeinschaft ist mithilfe des Personals der vorübergehend stillgelegten Werkstätten aufgestockt worden. So ist es möglich, ganz neue Tagesabläufe zu etablieren. „Mir fehlen meine Arbeit und meine Gruppe in der Werkstatt sehr“, sagt Regina Ernst. Umso schöner sei es, dass die Arbeit nun nach Hause kommt.
Der Esstisch in der WG verwandelt sich morgens und nachmittags in eine Werkbank. Dabei seien die Bewohner so motiviert und einsatzfreudig, dass sich die Werkstatt schon über die hohen Stückzahlen wundere, sagt Mitarbeiter Frank Peppinghaus. „Und zwischendurch machen wir ein Päuschen“, erzählt Carina Schmelzer – für ein leckeres Mittagessen zum Beispiel oder für ein Stück Kuchen am Nachmittag.
„Wenn wir fertig sind, dann gehen wir spazieren“, erzählt Carina Schmelzer. Wer allerdings lieber in der Sonne auf der Terrasse Platz nimmt, kann dort die Beine hochlegen. „Und wir grillen ganz oft“, erzählen die Bewohner.
Dann deuten sie auf den Container vor der Haustür, der gut gefüllt ist. „Wir haben auch entrümpelt“, erzählt Regina Ernst. Als die alten Sachen draußen waren, haben die Bewohner den eigenen vier Wänden schließlich einen neuen Anstrich verpasst.
„Eigentlich bin ich sogar glücklich“, sagt Carina Schmelzer noch – und dann stimmt sie mit ihren Mitbewohnern ein nachträgliches Geburtstagslied für Bernhard Römer an, das über den kompletten Braunsberg klingt.