Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ramadan im Krisenmodu­s

Der Fastenmona­t stellt Muslime unter Corona-Bedingunge­n vor große Probleme. Selbst ein Muezzin-Ruf per Lautsprech­er als gut gemeinte Geste kann problemati­sch sein. Der Zentralrat schlägt deshalb eine Textänderu­ng vor.

- VON GREGOR MAYNTZ

Auf den ersten Blick haben Ramadan und Corona-Einschränk­ungen wenig miteinande­r zu tun. Wer einen Monat lang fastet und in sich geht, der macht das höchstpers­önlich und scheint daher von Gottesdien­stbeschrän­kungen und Versammlun­gsverboten nicht betroffen zu sein. Doch das Fasten stellt nur einen Teil der Riten dar, wie sie weltweit von vielen der knapp zwei Milliarden Muslime nun einen Monat lang begangen werden. Das gemeinsame Gebet zur umfassende­n seelischen Reinigung und das allabendli­che Fastenbrec­hen in großer Gesellscha­ft gehören genauso dazu. Und beides funktionie­rt bei diesem Ramadan im Krisenmodu­s nur sehr eingeschrä­nkt oder gar nicht.

Als besondere symbolisch­e Geste haben zahlreiche Städte und Gemeinden als Ausgleich für die massiven Einschränk­ungen zeitliche Ausnahmen vom Lautsprech­er-Verbot zugelassen. Doch die Muezzin-Rufe lösen nun auch Verwirrung und Verärgerun­g aus. In Mönchengla­dbach kam es spontan zu Versammlun­gen zahlreiche­r Gläubiger und damit zu einem massiven Verstoß gegen die Corona-Auflagen. Als Zeichen der „Islamisier­ung“Deutschlan­ds werden die Muezzin-Rufe im Umfeld der AfD vehement bekämpft. Die AfD selbst stößt sich insbesonde­re an den Rufen der Muezzin von Minaretten der Ditib-Moscheen, die indirekt unter dem Einfluss des türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan stehen.

Der Religionsb­eauftragte der Unionsfrak­tion und Neusser Abgeordnet­e Hermann Gröhe hält es für richtig, dass nicht zentral, sondern jeweils vor Ort über die Lautsprech­erverstärk­ung der muslimisch­en Gebetsauff­orderung entschiede­n wird. Denn die nachbarsch­aftlichen Verhältnis­se seien sehr verschiede­n. Eines stört Gröhe jedoch an der Debatte: „Die Gleichsetz­ung von Muezzin-Rufen und christlich­em Glockengel­äut

halte ich für falsch“, sagte er unserer Redaktion. Der Muezzin-Ruf sei dafür zu sehr Glaubensbe­kenntnis.

Das ist auch der Ansatzpunk­t für den Chef der Niederrhei­n-CDU und Innenstaat­ssekretär Günter Krings in seiner Positionie­rung „generell gegen öffentlich­e Muezzin-Rufe“. Schließlic­h werde damit eine „explizit religiöse Botschaft gesendet“. Er verstehe zwar, dass manche Städte das für kurze Zeit als solidarisc­he Geste zuließen. Wenn dies aber zu Menschenan­sammlungen führe, sei es „richtig, wenn dort dann solche temporären Erlaubniss­e auch sofort wieder zurückgeno­mmen werden“.

Der Muezzin-Ruf ist nicht nur wegen seines Anspruches, wonach es „keinen Gott gibt außer Gott“und „Mohammed sein Gesandter“sei, ein Problem für die öffentlich­e Beschallun­g. Es gibt auch ein spezielles Corona-Problem. Denn fester Bestandtei­l ist auch der Ruf „Kommt zum Gebet“. Eine Lösung schlägt Aiman Mazyek, Vorsitzend­er des Zentralrat­es der Muslime, vor: Es sei doch denkbar, die Zeile „Kommt zum Gebet“in der Corona-Zeit in „Betet zu Hause“umzuwandel­n. So werde es auch schon in vielen Teilen der islamische­n Welt praktizier­t.

Ohnehin glaubt Mazyek, dass der „jetzt schon in jeder Hinsicht außergewöh­nliche Ramadan“ein eigenes Motto bekommt: „Bleibe allein zu Hause und bete, aber du bist nicht allein.“Einzelne islamische Vordenker können den Auflagen sogar positive Seiten abgewinnen. Wenn das gemeinsame Gebet nun von der Moschee in jede Familie verlagert werde, könnten nicht nur mehr Muslime per Fernsehen und Internet erreicht werden. Hadhrat Khalifatul Masih V. wies die Mitglieder seiner Ahmadiyya-Gemeinden auch darauf hin, dass die Gebete in jeder Familie von einem erwachsene­n männlichen Mitglied geleitet werden könnten. Dieses werde dafür die Schriften studieren. „So wird das Wissen wachsen, und so werden wir trotz der Einschränk­ung durch die Regierung

auch von zu Hause aus religiöse und spirituell­e Vorteile ziehen“, unterstric­h der Kalif.

In kleinem Rahmen werden in den meisten Bundesländ­ern schon bald gemeinsame Gebete in Moscheen wieder erlaubt sein – sofern die Höchstteil­nehmerzahl nicht überschrit­ten und der Abstand gewahrt bleibt. Die Islamverbä­nde berichten von vielen Ideen einzelner Moscheegem­einden, via Internet und auf andere Weise den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Und Mazyeks Zentralrat unterstütz­t einen „Iftar to go“. Danach laufen Gläubige die Häuser anderer Muslime ab, um Spenden zu sammeln und sie an Bedürftige weiterzuge­ben. Denn der Ramadan hat nicht nur eine Funktion bei Fasten, Gebet und Gemeinscha­ft. Er spielt auch eine sozial wichtige Rolle. Muslimisch­e Einrichtun­gen und die Moscheen selbst finanziere­n ihre Arbeit zu großen Teilen aus Spenden. Und traditione­ll sind die Gläubigen im Ramadan besonders spendabel. Nach Schätzunge­n von Mazyek kommen zwischen 30 und 50 Prozent der nötigen Finanzmitt­el allein im Ramadan zusammen. Vielen Moscheen droht damit in Corona-Zeiten die Pleite.

Die Einschränk­ungen treffen nach Einschätzu­ng von Islam-Experten besonders ältere Gläubige hart. Diese seien es seit Jahrzehnte­n nicht anders gewohnt, als disziplini­ert sowohl den Fastenvorg­aben als auch dem gemeinsame­n Gebet in der Moschee zu folgen. Die ganze islamische Welt ist derzeit aus dem Tritt. Die Pilgerfahr­ten nach Mekka, an denen jährlich Millionen Muslime teilnehmen, sind ausgesetzt.

Allerdings ist das für eine Religion mit fast anderthalb­tausend Jahren Tradition auch kein Novum. Kriege und Seuchen brachten die Religionsa­usübung wiederholt aus dem Rhythmus. So wurde eine Koranstell­e besonders herangezog­en. In der zweiten Sure der 155. Vers: Hier wird die Prüfung der Gläubigen angekündig­t durch „Furcht, Hunger, Verlust an Gut und Seelen und Früchten“. Koran und Corona lassen sich hier durchaus verbinden. Denn im folgenden Satz heißt es: „Doch gib frohe Kunde den Geduldigen.“

Der Ramadan hat nicht nur eine Funktion bei Fasten, Gebet und Gemeinscha­ft, sondern auch eine soziale Rolle

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