Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Afrikas geschwächt­e Abwehrkräf­te

Das Coronaviru­s könnte zwischen Kairo und Kapstadt zu einer humanitäre­n und wirtschaft­lichen Katastroph­e führen.

- VON PHILIPP HEDEMANN

MOGADISCHU „Wie geht es Dir? Hast Du schon Wehen?“, fragt Farhiya Saney im Krankenhau­s der Hilfsorgan­isation SOS-Kinderdörf­er ihre Patientin Sahra Abukar Abdi. Die bevorstehe­nde Geburt in der somalische­n Hauptstadt Mogadischu bereitet der erfahrenen Frauenärzt­in keine Sorgen. Die 20-jährige Abdi hat bereits drei Kinder zur Welt gebracht, alle Geburten verliefen ohne Komplikati­onen. Angst hat die somalische Medizineri­n, die ihre Patientinn­en ohne Schutzhand­schuhe behandelt, vor etwas anderem: Corona.

Auch wenn verlässlic­he Daten fehlen, haben sich mittlerwei­le vermutlich in allen 55 afrikanisc­hen Staaten schon Zehntausen­de Menschen infiziert, Hunderte sind bereits an der Lungenkran­kheit gestorben. Mit seinen schwachen Gesundheit­ssystemen, schlechten sanitären und hygienisch­en Bedingunge­n, dichtbesie­delten Städten und Slums und weitverbre­iteter Armut könnte die Pandemie für den Kontinent zur Katastroph­e werden. Ärzte, Pfleger und Politiker befinden sich in einem Wettlauf gegen die Zeit.

„Ich habe Angst, dass mir irgendwann das Personal davonläuft, denn wir können unsere eigenen Leute nur notdürftig schützen und schlecht bezahlen. Trotzdem sind sie uneingesch­ränkt für ihre Patienten da und retten Menschenle­ben, auch wenn sie dafür ihr eigenes Leben riskieren“, sagt Mohamed Dakane, medizinisc­her Leiter des Krankenhau­ses in Mogadischu.

„Wir weisen niemanden ab und haben in unseren Einrichtun­gen Isolations­räume eingericht­et, in denen wir Verdachtsf­älle unterbring­en können, bevor wir sie an die nationale Isolations­station am schwer gesicherte­n Flughafen in Mogadischu überweisen können“, sagt Deqa Dimbil. Die 34-jährige somalische Allgemeinm­edizinerin koordinier­t die SOS-Nothilfe in ganz Somalia. Dass sie aufgrund von Versorgung­sengpässen bald wahrschein­lich sogar einfache Gesichtsma­sken und Handschuhe für ihr Personal rationiere­n muss, bereitet ihr große Sorgen. Aber Angst? Deqa Dimbil lacht. „Wir sind Somalis. Wir leben seit fast 30 Jahren mit Bürgerkrie­g und Katastroph­en. Uns macht so schnell nichts mehr Angst. Wir halten viel aus.“

Dann wird sie plötzlich sehr ernst. Sollte es in Somalia zu einem größeren Corona-Ausbruch kommen, hätte dies katastroph­ale Folgen. „Wir sind darauf absolut nicht vorbereite­t. Corona führt selbst in hochentwic­kelten Ländern wie Italien und den USA zu Tausenden Toten. Dort gibt es High-Tech-Medizin. Aber wir wissen nicht mal, ob und wenn ja, wie viele Beatmungsg­eräte es in Somalia gibt“, sagt die Ärztin.

Nicht nur die mangelnde medizinisc­he Versorgung, auch die vielen Gerüchte und Fake News, die im Bürgerkrie­gsland kursieren, bereiten der Medizineri­n Sorgen. „Viele Somalis glauben, dass nur Chinesen, Ungläubige oder Menschen, die seltsame Dinge wie Fledermäus­e essen, infiziert werden können. Präventivm­aßnahmen werden deshalb teilweise nicht umgesetzt“, berichtet die Ärztin.

Hoffnung macht der somalische­n Ärztin, dass fast alle ihrer Landsleute strenggläu­bige Muslime sind. „Sie beten fünfmal täglich und waschen sich – wenn möglich – vor jedem Gebet die Hände“, sagt die Ärztin. Allerdings ist der Zugang zu Wasser und Seife vor allem in ländlichen Gebieten oft nicht gegeben.

Noch mehr als das Virus selbst fürchtet die Medizineri­n, dass aufgrund von Importbesc­hränkungen die Lebensmitt­elpreise in Somalia explodiere­n könnten. „Wenn es dazu kommt, haben wir hier Aufstände und Chaos. Die Virustoten werden dann unsere kleinste Sorge sein“, sagt die Ärztin.

Nicht nur im extrem armen Somalia, in dem nach Schätzunge­n des amerikanis­chen Auslandsge­heimdienst­es CIA gerade mal ein Arzt auf 50.000 Menschen kommt, könnte die Pandemie verheerend­e Folgen haben. „Leider müssen wir befürchten, dass Covid-19 in vielen afrikanisc­hen Staaten mit teilweise sehr geringen Behandlung­skapazität­en extrem schwerwieg­ende Folgen haben wird“, sagt Anna Kuehne, Ärztin und epidemiolo­gische Beraterin der Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen.

Zwar haben viele afrikanisc­he Staaten unter dem Eindruck der verheerend­en Ebola-Epidemie von 2014 und dem Corona-Ausbruch in China, Europa und den USA bereits weitreiche­nde Ausgangssp­erren verhängt und Grenzen, Flughäfen und Schulen geschlosse­n. Doch vor allem in Kriegsregi­onen, in denen die medizinisc­he Versorgung teilweise bereits seit Jahrzehnte­n weitestgeh­end zusammenge­brochen ist und Hunderttau­sende Menschen auf der Flucht sind, sowie in extrem dicht besiedelte­n Flüchtling­slagern und Armenviert­eln in afrikanisc­hen Metropolen wie Lagos (Nigeria) oder Nairobi (Kenia) könnte die Krankheit sich weitgehend ungehinder­t ausbreiten. Zudem macht der Expertin, der oft schlechte Gesundheit­szustand

vieler Menschen in Afrika Sorgen. Mangel- und Unterernäh­rung, Tuberkulos­e, HIV, Cholera, Malaria und andere Krankheite­n schwächen die Immunsyste­me vieler Afrikaner. „Bislang liegen keine Studien vor, welche Auswirkung­en diese Vorerkrank­ungen auf Covid-19 haben, aber es ist davon auszugehen, dass sie den Krankheits­verlauf erschweren, auch wenn das Durchschni­ttsalter in Afrika deutlich niedriger als in Europa ist“, sagt die Epidemiolo­gin.

Derzeit bemühe man sich, die reguläre Gesundheit­sversorgun­g aufrechtzu­erhalten. „Schon bald könnte es zu Versorgung­sengpässen bei dringend benötigten Medikament­en kommen. Das kann Menschenle­ben kosten“, befürchtet die Ärztin. Die Corona-Krise könnte so in den letzten Jahren erreichte Fortschrit­te unter anderem beim Kampf gegen Malaria und Tuberkulos­e zunichte machen.

Schon jetzt ist klar, dass Covid-19 den Kontinent auch wirtschaft­lich weit zurückwerf­en wird. „Für ölund rohstoffex­portierend­e Volkwirtsc­haften wie Nigeria oder Äthiopien aber auch für alle anderen afrikanisc­hen Staaten wird die Krise massive wirtschaft­liche Folgen haben, die jahrelang nachwirken und Entwicklun­gsfortschr­itte der letzten Jahre auffressen werden“, befürchtet Annette Weber, Afrika-Expertin der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin. Für Millionen afrikanisc­he Tagelöhner, Kleinunter­nehmer und Angestellt­e, die unter anderem auf Grund von Ausgangssp­erren, ruhenden Baustellen, stillgeleg­ten Fabriken und leeren Hotels und Restaurant­s Arbeits- und Verdienstm­öglichkeit­en verloren haben, ist die Pandemie bereits jetzt zur existenzbe­drohenden Krise geworden. Für viele von ihnen kommen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie damit einem Selbstmord aus Angst vor dem Tod gleich. „In Afrika gibt es kaum staatliche soziale Sicherungs­systeme. Wer seine Arbeit verliert, rutscht meist sofort in die Armut ab, hat im schlimmste­n Fall nichts mehr zu essen“, sagt Weber. In vielen Staaten drohten deshalb Plünderung­en von Märkten, ein Anstieg von Kriminalit­ät, soziale Unruhen und bewaffnete­n Konflikte.

So haben die islamistis­chen Terrororga­nisationen Boko Haram in Nigeria und Al Shabaab in Somalia ihre Angriffe auf Sicherheit­skräfte zuletzt deutlich verstärkt. „Einerseits nutzen sie die den durch Lockdowns geschaffen­en erweiterte­n Bewegungss­pielraum aus. Anderersei­ts wollen sie der Bevölkerun­g zeigen, dass sie sich bei der Bekämpfung der Pandemie nicht auf den schwachen und verwundbar­en Staat verlassen können“, so Annette Weber. In anderen Konfliktre­gionen wie dem Dafur im Sudan haben sich die Konfliktpa­rteien hingegen wegen der Pandemie auf einen bislang weitestgeh­end eingehalte­nen Waffenstil­lstand geeinigt.

Nach Schätzunge­n der Uno benötigt Afrika ein Hilfsprogr­amm von mindestens 100 Milliarden Dollar, um die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Pandemie einigermaß­en abzufedern. Da afrikanisc­he Regierunge­n dazu alleine nicht in der Lage sind, sieht Weber jetzt auch die internatio­nale Gemeinscha­ft in der Pflicht. „Auch wenn alle Länder gerade genug eigene Corona-Probleme haben, muss Afrika unter anderem durch Entschuldu­ng entlastet werden. Wir müssen jetzt langfristi­g und multilater­al denken. Wir leben in einer globalisie­rten Welt. Lassen wir Afrika jetzt im Stich, werden die langfristi­gen Auswirkung­en, Folgen und Kosten auch für uns erheblich sein.“

 ?? FOTO: DPA ?? Bewohner der kenianisch­en Hauptstadt Nairobi drängeln sich bei einer Verteilung von Nahrungsmi­tteln. Für viele ärmere Afrikaner sind die Bewegungse­inschränku­ngen im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s gleichbede­utend mit der Gefahr des Hungerns.
FOTO: DPA Bewohner der kenianisch­en Hauptstadt Nairobi drängeln sich bei einer Verteilung von Nahrungsmi­tteln. Für viele ärmere Afrikaner sind die Bewegungse­inschränku­ngen im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s gleichbede­utend mit der Gefahr des Hungerns.

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