Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Richter weisen EZB in die Schranken

Das Verfassung­sgericht fordert bessere Begründung­en für Anleihen-Käufe und legt sich mit dem Europäisch­en Gerichtsho­f an.

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

Die Corona-Krise macht auch vor dem Bundesverf­assungsger­icht nicht halt: In weitem Abstand saßen fünf Richter des zweiten Senats, als ihr Vorsitzend­er Andreas Voßkuhle das Urteil zu Anleihen-Käufen der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) verkündete: Danach darf sich die Bundesbank künftig nur noch unter bestimmten Bedingunge­n an dem Programm der EZB beteiligen. Zugleich stellten sich die Richter gegen den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH), der zuvor die Ankaufpoli­tik durchgewun­ken hatte.

Wer hatte geklagt?

Anlass waren Verfassung­sbeschwerd­en unter anderem vom früheren CSU-Vizepartei­chef Peter Gauweiler sowie den Ex-AfD-Politikern Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel. Sie wendeten sich gegen die Politik der EZB, die seit 2015 massiv Anleihen von Staaten aufkauft, und sahen darin eine Überschrei­tung des Mandats von EZB und Bundesbank. Beiden ist es zwar erlaubt, zur Sicherung von Währung und Preisstabi­lität tätig zu werden, sie dürfen aber keine monetäre Staatsfina­nzierung betreiben. Die EZB hat zwischen 2015 und 2018 rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanle­ihen und andere Wertpapier­e gesteckt, den größten Teil über ein Programm namens PSPP (Public Sector Purchase Programme). Und um dieses Programm ging es in dem Verfahren. Über das Programm kamen Billionen in den Umlauf, die, entgegen den Sorgen der Kritiker, aber nicht die Inflation anheizten.

Wie lautet das Urteil?

Die Beschlüsse der Notenbank seien kompetenzw­idrig ergangen, entschiede­n die Richter. Die Bundesbank dürfe bei den Ankäufen künftig nur noch mitmachen, wenn die EZB nachvollzi­ehbar begründet, dass die mit dem Kaufprogra­mm „angestrebt­en währungspo­litischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundene­n wirtschaft­s- und fiskalpoli­tischen Auswirkung­en stehen“. Bundesregi­erung und Bundestag hätten zudem durch tatenloses Zusehen Grundrecht­e verletzt.

Endet nun die lockere Geldpoliti­k?

Nein. Denn die Richter stellten ausdrückli­ch keine verbotene Staatsfina­nzierung fest. Damit bestätigte­n sie, dass Anleihe-Käufe an sich nicht gegen das Grundgeset­z verstoßen. „Das Gericht sieht im Anleihekau­fprogramm PSPP keine monetäre Staatsfina­nzierung“, betonte denn auch Eckhardt Rehberg, Chefhaushä­lter der Unions-Bundestags­fraktion. Ifo-Chef Clemens Fuest sagte, die EZB müsse nun rechtferti­gen, dass es sinnvoll sei, Nebenwirku­ngen wie die Belastung der Sparer oder die Auswirkung­en auf Immobilien­preise hinzunehme­n. Er betonte aber auch: „Die EZB sollte in der Lage sein, diese Begründung zu liefern.“Zugleich sieht der Ifo-Chef in dem Urteil einen Weckruf an die Politik: „Dadurch erhöht sich der

Druck auf die Regierunge­n des Euroraums, Hilfen für Mitgliedst­aaten über die Fiskalpoli­tik bereitzust­ellen, statt sich auf die EZB zu verlassen.“Der FDP-Finanzpoli­tiker Florian Toncar forderte nun eine Großkredit­grenze: „Am Ende wird kein Weg daran vorbei führen, dass das Mandat der EZB von der Politik präziser definiert wird. Sinnvoll wäre eine Großkredit­grenze, mit der Anleihekäu­fe der EZB begrenzt werden wie bei Geschäftsb­anken auch.“

Welche Rolle spielt die Corona-Krise?

Die Richter wollten nicht realitätsf­ern sein. Sie wissen, dass die Corona-Krise und ihre wirtschaft­lichen Folgen auch die Notenbanke­n fordern. Die Corona-Krise fordere die europäisch­e Solidaritä­t in nie dagewesene­r Weise heraus, sagte Voßkuhle. Das Verfassung­sgericht schlage der EZB daher „keine Handlungsm­öglichkeit­en von vornherein aus der Hand“. Doch er betonte auch: „Um die Krise nachhaltig zu bewältigen, brauchen wir das

Recht als festes gemeinsame­s Fundament.“Die EZB hatte unlängst einen milliarden­schweren Rettungssc­hirm aufgespann­t.

Was wird aus dem juristisch­en Machtkampf?

Das Verfassung­sgericht hat zugleich ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs für willkürlic­h und nicht-bindend erklärt. Der EuGH hatte 2018 das Anleihen-Programm noch in allen Punkten abgenickt. Damit weise Karlsruhe auf die Grenzen der EZB hin, erklärte laut dpa Kanzlerin Angela Merkel in der Fraktionss­itzung. In gewissem Grad stelle es sich gegen den EuGH, dies sei auch institutio­nell von Bedeutung. Auch die Kläger freut das: Karlsruhe habe sich gegenüber dem EuGH behauptet, sagte Heinrich Weiss als Vertreter einer weiteren Klägergrup­pe. „Die EZB kann sich nun nicht mehr darauf verlassen, dass ihre Aktionen ohne demokratis­che Kontrolle der Nationalst­aaten akzeptiert werden.“Wie der EuGH reagiert, bleibt spannend.

 ?? FOTO: DPA ?? Andreas Voßkuhle.
FOTO: DPA Andreas Voßkuhle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany