Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Schöpfer der Zukunftsmusik
Kraftwerk-Gründungsmitglied Florian Schneider ist gestorben. Der 73-Jährige wurde sogar von David Bowie verehrt.
DÜSSELDORF Es ist noch nicht lange her, da stand Florian Schneider in seinem Lieblingscafé, dem „Caffé Enuma“nahe dem Düsseldorfer Hauptbahnhof, und trank einen Espresso. Ein junger Kerl mit Rollkoffer betrat den Raum, er sah Schneider und fragte ehrfürchtig: „Sind Sie der, für den ich Sie halte?“Schneider setzte die Tasse zurück auf die Untertasse, blickte den Fremden an und antwortete: „Nein.“
Florian Schneider ist tot, das hat das Unternehmen Sony am Mittwoch in Berlin unter Berufung auf Kraftwerk-Mitbegründer Ralf Hütter mitgeteilt. Schneider starb an einer Krebserkrankung. Er wurde 73 Jahre alt, und man kann ohne zu übertreiben sagen, dass einer der einflussreichsten Musiker Deutschlands gestorben ist. Schneider hat die Zukunft des Klangs gestaltet. Er rief 1970 gemeinsam mit Hütter jenes Bandprojekt ins Leben, das sich doch eher als Wissenschaftler-Kollektiv, Labor-Gemeinschaft und Ingenieurs-Versammlung betrachtete und zur Entstehung so ziemlich jeden Musikstils beitrug, der danach entstand: HipHop, Techno, Electro-Pop, House. Die größte Ehrerbietung erbrachte David Bowie. Er produzierte einen Song mit dem Titel „V-2 Schneider“, um sich vor dem bewunderten Musiker zu verneigen. Das Stück erschien 1977 als B-Seite des Hits „Heroes“. Auch Coldplay erwiesen später ihre Ehre: Der Hit „Talk“ist eine Coverversion von Kraftwerks Lied „Computerliebe“.
Kraftwerk ist ein Mythos, die Mitglieder des Kollektivs arbeiteten daran, dass das so blieb, und sie taten es nicht nur mittels Musik, sondern auch durch die legendäre Geheimniskrämerei. Florian Schneider war inmitten der raunenden und im Verborgenen werkelnden Musiker der verschwiegenste. Er gab fast nie Interviews, nur ein Mal überrumpelte ihn eine Reporterin. 1998 war das, bei einem Musikfestival in Rio de Janeiro, und man findet die Szene bei Youtube. Schneider sitzt einfach da, die Reporterin ist völlig aus dem Häuschen, ihre Art ist das, was man im Englischen „overwhelming“nennt, und sie stellt ihm Fragen, die er extrem lakonisch beantwortet: „Indeed.“„Yes.“„We will see.“Sie übersetzt die Antworten episch lang, sie redet und redet. Sie legt das Gesagte aus wie Worte der Weisung einer Sphinx, und die herrlichste Stelle ist jene, in der sie Schneider fragt, welche Songs Kraftwerk nachher im Konzert spielen werden. Die Antwort beweist, dass zum System Kraftwerk eben auch Humor gehört. Sie lautet: „All.“
Schneider wurde 1947 geboren, sein Vater war der Architekt Paul Schneider-Esleben, der das Mannesmann-Hochhaus am Düsseldorfer Rheinufer und den Flughafen Köln-Bonn entworfen hat. Schneider studierte Querflöte, und wer frühe Videos von Kraftwerk sieht, erkennt, wie er das Instrument zum Rhythmisieren einsetzt, zum Tempomachen. Bei den Arbeiten an „Autobahn“hat er es dann beiseitegelegt. Bei Kraftwerk hat sich
Schneider nach allem, was man weiß, fortan um die Stimme gekümmert, um die Perfektionierung des künstlich erzeugten Sprechens. Als er sah, dass man nicht besser machen konnte, was er geschaffen hatte, verlor er wohl die Lust, jedenfalls hatte er keinen Spaß an den Tourneen, die Kraftwerk in den 2000er Jahren absolvierten. 2009 wurde sein Ausstieg publik, der Abschied lief sachlich ab, passend zum Stil Kraftwerks: Eine Führungspersönlichkeit verließ ein Unternehmen.
Während Kraftwerk als notariell beglaubigte Pioniere um die Welt reisten und trotz des Fehlens neuen Materials so populär wurden wie sie nie zuvor gewesen sind, erwartete man von Schneider Großes. Es hieß, er arbeite am endgültigen Album, am „Ulysses“der Popmusik sozusagen, und jeden Dienstag reise ein berühmter Technomusiker aus Berlin an, um Schneider zu assistieren. Nie bekam man jedoch etwas zu hören, und überhaupt ist bei den Kraftwerk-Jungs ja selten klar, was Gerücht, Entertainment oder Projektion ist. 2015 trat Schneider dann in Paris auf, gekleidet in einen Anzug, der aus Plastiktaschen gefertigt war, und präsentierte einen Song für eine Umweltorganisation: „Stop the pollution of the ocean“, hieß es darin, „save the fish.“
Das Unwahrscheinlichste passierte in den Jahren nach dem Ausstieg Schneiders bei Kraftwerk: Er wurde daheim zu einem Star der Herzen. Der Mitschöpfer des Konzepts „Mensch-Maschine“wurde verehrt, geliebt geradezu: Er ließ die Leute emotional werden. Wer ihn in Düsseldorf auf seinem silbernen Kickroller und oft nach der Art des Jägers aus Kurpfalz gekleidet vorbeiflitzen sah, schrieb einem Kumpel sogleich eine SMS: „Florian gesehen!“Auf diese Weise verband Schneider die Menschen. Man redete von ihm tatsächlich immer als „Florian“, er war ein Vertrauter irgendwie, aber ohne dass man ihm zu nahe kam. Keiner, dessen Verehrung echt war, sprach ihn an; man akzeptierte die imaginäre Bannmeile. Hauptsache, er war da.
Zuletzt begegnete man ihm nicht mehr. „Hast Du eigentlich Florian nochmal gesehen?“, hieß es oft. Aber man erntete nur Kopfschütteln. Er war krank, nun ist er gestorben, und das Letzte, was er gewollt hätte, wäre sicher, dass man nun schriebe, die Zukunft der Musik ist tot. Besser sagt man also dieses: Seinetwegen hat Musik überhaupt eine Zukunft.
Kraftwerk hören. Vielleicht das Stück „Techno Pop“. Darin heißt es: „Es wird immer weitergehen, Musik als Träger von Ideen.“