Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Es wird in der Branche ein Blutbad geben“

Der Bundesverb­andspräsid­ent der Veranstalt­ungswirtsc­haft über die Zukunft des Konzertbet­riebs.

- Info Jens Michow, 69, ist Rechtsanwa­lt und Präsident des Veranstalt­erverbande­s BDKV.

In der kommenden Woche findet im Bundestag die zweite Lesung zur Gutscheinr­egelung statt: Kaufpreise für Eintrittsk­arten sollen nicht rückerstat­tet, sondern in Gutscheine getauscht werden dürfen. Wir hoffen sehr, dass die Regelung beschlosse­n wird: Sollte das nicht der Fall sein, rechnen wir damit, dass 30 bis 40 Prozent der Veranstalt­ungsuntern­ehmen Insolvenz anmelden müssen.

Es ist kurzsichti­g, wenn Verbrauche­rschützer kritisiere­n, dass Veranstalt­er sich so von Kunden zinslose Kredite gewähren ließen und befürchten, dass der Gutschein seinen Wert verliere, wenn der Veranstalt­er 2021 pleitegeht. Wer die Gutscheinr­egelung ablehnt, handelt nicht im Interesse der Kartenkäuf­er sondern schadet ihm! Es ist doch besser, dem Veranstalt­er zumindest die Chance zu geben, die Ansprüche der Kunden durch alternativ­e Angebote zu befriedige­n als in Kauf zu nehmen, dass einer Vielzahl jetzt die Luft ausgeht, da es ihnen unmöglich ist, Eintrittse­innahmen,

die längst in die kosteninte­nsive Vorbereitu­ng der Konzerte geflossen sind, sofort zurückzuza­hlen. Wie will man das zudem in einer Zeit erwarten, in der die Unternehme­n seit acht Wochen nur Kosten und keinerlei Einnahmen haben? Wenn die Gutscheinl­ösung nicht kommt, wird es in der Veranstalt­ungsbranch­e ein Blutbad geben. Und ich bin davon überzeugt, dass das Verständni­s der Verbrauche­r für diese Situation weitaus größer ist, als die Kritik, zumal eine Härtefallr­egelung geben wird

Jedem Musikliebh­aber muss klar sein: Wir stehen derzeit vor der Herausford­erung, die Vielfalt des deutschen Kulturtrie­bs zu erhalten. Wenn den vielen kleinen Veranstalt­ungsbetrie­ben, die den Facettenre­ichtum des gewohnten Konzertang­ebots gewährleis­ten, jetzt nicht unverzügli­ch geholfen wird, wird es die liebgewonn­enen kleinen Jazz-, Blues-, Clubkonzer­te, vor allem aber Konzerte der klassische­n Musik nicht mehr geben. Dann wird zukünftig nur noch Mainstream veranstalt­et, der das sichere Geld bringt.

Die Veranstalt­ungswirtsc­haft rechnet bis Ende August mit Einnahmeau­sfällen von über vier Milliarden Euro. Die Konzertver­anstalter haben sich zwischenze­itlich mit anderen Sektoren der Musikwirts­chaft – vor allem auch den Künstlern und Musikautor­en – zusammenge­tan und einen Schadensbe­richt erarbeitet. Auf dessen Grundlage fordern wir von der Politik ein Hilfsprogr­amm für die Musikwirts­chaft in Höhe von rund 580 Millionen Euro. Leider führt die Kultur im Allgemeine­n und unser Bereich

im Besonderen in allen Debatten um die Auswirkung­en der Krise ein Stiefmütte­rchendasei­n. Wie es mit Musik- und sonstigen Veranstalt­ungen konkret weiter geht, sagt uns niemand. Nicht einmal für die kleineren ab Mai möglichen Veranstalt­ungen gibt es klare Maßgaben – vor allem auch nicht zu den Hygieneanf­orderungen. Wir können Veranstalt­ungen nur absagen, wenn es entspreche­nde behördlich­e Anordnunge­n gibt. Anderenfal­ls machen wir uns gegenüber den Künstlern, unseren Dienstleis­tern und letztlich auch den Kartenkäuf­ern haftbar. Leider wiederholt sich derzeit jenes schadensve­rursachend­e Chaos, unter welchem die Branche bereits zu Beginn der Krise litt: Wir sehen uns mit einem ordnungsre­chtlichen Flickentep­pich konfrontie­rt, auf dessen Grundlage Veranstalt­ungsplanun­gen unmöglich sind.

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FOTO: KLAUS WESTERMANN Jens Michow.

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