Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Anfangs lief alles noch was chaotisch ab“
Die Hückeswagener Doppelspitze Shirley Finster und Egbert Sabelek spricht über 40 Jahre Grüne.
Frau Finster, Herr Sabelek – 40 Jahre Grüne. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
EGBERT SABELEK Da kann man nur stolz sein. Wenn man sieht, wie aus vielen lokalen Initiativen engagierter Menschen, etwa Anti-Atom-Bewegung oder Umweltschutz, eine so schlagkräftige und durchsetzungsfähige Partei geworden ist. Wir waren in der Bundesregierung und sind momentan in vielen Landesregierungen vertreten. Die Grünen haben unser Land nachhaltig verändert.
SHIRLEY FINSTER Es ist eine Partei, die immer wieder innovativ und fortschrittlich ist. Und diskussionsfreudig. Mal provokativ, mal kritisch – auch untereinander – und immer schonungslos offen.
Wie hat sich die Partei in 40 Jahren verändert?
SABELEK Am Anfang lief alles noch was chaotisch ab, heute stehen die Inhalte sehr viel mehr im Vordergrund. Durch die Digitalisierung haben sich Arbeitsweisen sehr stark geändert. FINSTER Natürlich kann ich nicht viel zu den turbulenten Anfangsjahren sagen. Aber für die vergangenen zehn Jahre kann ich sagen, dass sich vor allem die Kommunikation innerhalb der Partei enorm verbessert hat.
Haben sich die Themen auch verändert?
SABELEK Die Themen – Umwelt, Klima, Frieden, Demokratie, Geschlechtergerechtigkeit, Queer, Eine-Welt-Politik – sind weitgehend gleichgeblieben, nur damals haben wir sie alleine vertreten. Heute sind sie gesellschaftlicher Konsens, zumindest in den Sonntagsreden. Wir haben damals als einzige Partei gegen die Atomkraftwerke gekämpft. Heute ist das Konsens, in zwei Jahren wird in Deutschland das letzte AKW stillgelegt. Alternative Energien, für die wir uns eingesetzt haben, wurden wissenschaftlich damals als unmöglich erklärt, heute haben wir einen Anteil von 52 Prozent. FINSTER Es sind auch neue Themen dazu gekommen, etwa eine dringend notwendige gute europäische Flüchtlingspolitik mit modernen Einwanderungsgesetzen sowie ein Umdenken bei der Bekämpfung von Fluchtgründen. Ein weiteres Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, ist die Inklusion. Wir Grüne nehmen dieses Menschenrecht ernst.
Wie sind die Grünen in Hückeswagen heute aufgestellt?
SABELEK Sehr gut. 2019 haben wir sehr viele neue Mitglieder gewonnen, die aktiv mitarbeiten wollen. Wir sind zu viert im Stadtrat vertreten, bei der Europawahl sind wir erstmals zweitstärkste Kraft in Hückeswagen geworden. FINSTER Besser denn je.
Warum ist die ökologische Ausrichtung in der Politik wichtiger denn je?
SABELEK Sowohl die Corona-Krise als auch die Klimadiskussion zeigen, dass man nicht gegen die Natur, sondern nur mit ihr gut leben kann. Nur nachhaltige Industrie-, Verkehrs-, Energie- und Landwirtschaftspolitik kann Deutschland und der Welt eine sichere und lebenswerte Zukunft ermöglichen. FINSTER Die Art, wie wir produzieren und konsumieren, muss sich ändern. Wir Bündnisgrüne wollen eine ökologische und ökonomische erfolgreiche Wirtschaft, aber unser Wohlstand darf nicht zu Lasten künftiger Generationen und anderer Länder gehen.
Wie vereinbar ist sie mit Realpolitik?
SABELEK Wir sind immer noch eine kleine Partei. Ohne die Unterstützung der anderen Parteien können wir nichts durchsetzen, deswegen brauchen wir gute Argumente für unsere Anliegen. Manchmal muss man auch mit Kompromissen oder Teilerfolgen leben. Mit Dietmar Persian haben wir einen Bürgermeister, der für grüne Anliegen offen ist. FINSTER Auf Bundesebene sind wir mit Annalena Baerbock als Klimaschutzexpertin und Robert Habeck als Energiewendeminister zwei erfahrenen Real-Politiker gut aufgestellt.
Warum ist Kommunalpolitik eine befriedigende Aufgabe?
SABELEK Die Themen in der Kommunalpolitik sind konkret, die Ergebnisse kann man später sehen. Man kann viele Anliegen der Bürger zum Thema machen und ihnen helfen. Aktuelle Beispiele wären hier der Kampf gegen den Verkehrslärm, die Überbauung des Bolzplatzes in Wiehagen oder die Anliegen der Anwohner
der Blumenstraße bei der Anbindung des Edeka-Marktes. FINSTER Es ist eine sinnvolle Aufgabe, aber sie ist auch mühsam und manchmal frustrierend. Vor allem, weil vieles nicht lokal entschieden wird, sondern auf Kreis- Landes-, Bundes- oder EU-Ebene. Oder es fehlt das nötige Geld, um gute Ideen umzusetzen. Trotzdem mache ich die Arbeit gerne, weil viele in dieser Stadt wirklich noch um das Wohlergehen der Stadt bemüht sind. Es ist schließlich viel Freizeit, die man dafür einsetzt. Mein Motto lautet: Politik muss an erster Stelle sinnvoll sein, darf aber auch Spaß machen.
WOLFGANG WEITZDÖRFER STELLTE DIE FRAGE.
DAS KOMPLETTE INTERVIEW FINDEN SIE AUF WWW.RP-ONLINE.DE/HUECKESWAGEN.