Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Bischofskonferenz distanziert sich von Corona-Schreiben
Soll die Pandemie dazu genutzt werden, eine unkontrollierbare „Weltregierung“zu schaffen? Unter anderem der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller behauptet das. In Wahrheit kämpft er damit gegen die Aufklärung.
BERLIN (dpa/epd) Die Deutsche Bischofskonferenz geht auf Distanz zu einem Appell konservativer Geistlicher gegen die Corona-Maßnahmen. Die Bewertung der Pandemie durch die Bischofskonferenz unterscheide sich „grundlegend“von dem veröffentlichten Aufruf, sagte der Vorsitzende der Konferenz, Georg Bätzing. In dem Appell waren die Corona-Maßnahmen scharf kritisiert worden: Man habe Grund zur Annahme, „dass es Kräfte gibt, die daran interessiert sind, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen“. Die Autoren sähen den „Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht.“Zu den Unterzeichnern gehört der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller.
Nun also doch: Die Pandemie diene vor allem der Verbreitung von Panik und schränke die Freiheit der Menschen ein. Dahinter steckten Steuerungsversuche, die „illiberal“seien und schließlich „der beunruhigende Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht“.
Nun mangelt es dieser Tage nicht an skurrilen Verschwörungstheorien. Dass die eben zitierte „Spekulation“aus Kirchenkreisen stammt, macht sie kaum glaubwürdiger. Dass aber der jüngste Aufruf – durchaus im Stile eines Weckrufes – vom früheren Päpstlichen Botschafter in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, initiiert und unter anderem vom deutschen Kardinal Gerhard Ludwig Müller unterzeichnet wurde, macht sie zu einem Kirchenpolitikum. Selbst das wäre noch irgendwie verschmerzbar angesichts der unmissverständlichen Reaktionen darauf: So ließ die Deutsche Bischofskonferenz durch ihren Vorsitzenden, Bischof Georg Bätzing, verlauten, dass sich die „Bewertung der Corona-Pandemie durch die Bischofskonferenz grundlegend von dem veröffentlichten Aufruf unterscheidet“. Klingt gemäßigt, ist für kirchliche Kommunikationsgepflogenheiten aber ein Affront gegenüber dem Kardinal.
Noch forscher und unmissverständlicher empörte sich nur Klaus Pfeffer, der Generalvikar des Bistums Essen und somit Stellvertreter von Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck ist: Er sei „einfach nur fassungslos, was da im Namen von Kirche und Christentum verbreitet wird: krude Verschwörungstheorien ohne Fakten und Belege, verbunden mit einer rechtspopulistischen Kampf-Rhetorik, die beängstigend klingt.“
Damit wären die Fronten halbwegs geklärt und Kardinal Müller wieder in seine Schranken verwiesen. Schon vor drei Jahren hatte es Papst Franziskus getan, als er Müller, der 2012 von Papst
Benedikt XVI. zum obersten Glaubenswächter der katholischen Kirche ernannt worden war, zunächst im Amt bestätigte, aber eine Verlängerung zur Überraschung vieler nicht mehr zuließ. Müller schied also aus und ist seither Kritiker des Heiligen Vaters – und immer wieder Stein des Anstoßes: Die hinlänglich belegten Verschwendungsvorwürfe gegen den damaligen Limburger Bischof Tebartz-van Elst kanzelte er als eine „Erfindung von Journalisten“ab, Homosexualität benannte er als eine Ursache des Missbrauchs, schließlich verglich Müller das Verfahren der ersten Synodalversammlung in diesem Jahr mit dem Ermächtigungsgesetz des Reichstags von 1933.
Derlei Irrwege bedenkenlos zu ignorieren, ist aus zwei Gründen unangebracht: zum einen wegen Müllers hoher Stellung, zum anderen wegen seines daraus resultierenden Einflusses. Der Kardinal ist eine exponierte Einzelstimme, die erzkonservative Milieus innerhalb der Kirche bedient und bestätigt.
Außerdem: Diesmal ist die Müllersche Verschwörungstheorie mit dem Bedrohungsszenario einer Weltregierung in ihrer Grundhaltung nichts Geringeres als eine Kampfansage an die Aufklärung und die Moderne. So werden alle wissenschaftlichen Notwendigkeiten einer effektiven Virus-Bekämpfung kurzerhand ignoriert. Der Blick des Kardinals richtet sich auf das, was sich seiner Meinung nach hinter dem Virus verbirgt: die Bedrohung unserer Freiheit im Allgemeinen und der Religionsfreiheit im Besonderen. Die Menschen nutzten das Virus letztlich zum Angriff auf die Kirche.
Im Grunde ist das ein Reflex noch aus vormodernen Zeiten, der offenbar immer noch in manchen Köpfen funktioniert. Dass die Wissenschaft die Deutungshoheit über unsere Welt erobert hat, bleibt für sie ein Ärgernis. Dass Forscher jetzt aber allen zu diktieren scheinen, wie wir zu leben und wann und wie wir beispielsweise Gottesdienste zu feiern haben, ist für etliche – ungeachtet der Gefahren – unerträglich.
Das Schreckgespenst einer Weltregierung, so wie es Müller und andere Bischöfe jetzt in ihrem Aufruf zeichnen, dürfte darum auch weniger politisch gemeint sein. Die Attacke gilt nicht den USA, gilt nicht China und anderen Weltmächten. Diese sogenannte Weltregierung ist die im Gewand der Wissenschaft dominierende Aufklärung.
Der so alte und auch längst entschiedene Konflikt treibt gerade in wahrhaftig katastrophalen Zeiten neue Blüten. Dass das Virus eine Strafe Gottes sein könnte für jene Hybris des Menschen, der Welt auf die Schliche kommen zu wollen, was sie im Innersten zusammenhält, ist in der Corona-Krise bislang eine kleine Randmeinung geblieben. Dennoch stellen Krisenzeiten wie diese Fragen an den Glauben. Es ist nicht nur Trost, den die Menschen von der Kirche empfangen. Es kommen eben auch Zweifel an der Gültigkeit von Gottes Allmacht und Güte auf.
Warum dies und jenes mit dem Wissen Gottes geschehen könne, haben Menschen immer schon gefragt. So war es auch eine Katastrophe, die das Ende einer Gottesgesichertheit einläutete: das Erdbeben von Lissabon 1755 mit fast 100.000 Toten. Wie konnte das ausgerechnet in einer so gottesfürchtigen Stadt geschehen? Der französische Autor Stendhal (1783 – 1842) gab darauf die zeittypisch kecke Antwort: „Die einzige Entschuldigung Gottes ist, dass er nicht existiert.“Mit dem Erdbeben in Lissabon zog sich sinnbildlich ein Riss durch ganz Europa. Der Boden des Glaubes, auf dem die Menschen viele Hundert Jahre standen, war unsicher geworden.
Mit der Aufklärung wurde die Welt auch entzaubert; sie ist pragmatischer, technischer, kalkulierbarer geworden, mit allen Vorzügen und allen Nachteilen. Ohne die Errungenschaft der Wissenschaft und ihre Anordnungen ist die Pandemie nicht zu bewältigen. Das ist keine Hybris, sondern eine Frage des Überlebens. Kirchenvertreter, die auf diesem Feld den alten Machtkampf auszutragen glauben, beachten vieles nicht. Eins davon ist Verantwortung.
Dass die Wissenschaft die Deutungshoheit über die Welt erobert hat, ist für manche ein Ärgernis