Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Für mich muss keiner klatschen“
Sandy Müller und Christoph Lenz sind im Krankenhaus für die Ausbildung der Pflegekräfte zuständig. Sie sprechen über die Pflege.
Frau Müller, Herr Lenz, seit wann arbeiten Sie in der Krankenpflege? Christoph Lenz Ich habe meine Ausbildung 1997 begonnen und bin seitdem in der Pflege tätig. Im Krankenhaus Wermelskirchen bin ich seit 2012. Sandy Müller Bei mir ging es direkt hier im Haus los, ich habe 2010 meine Ausbildung zur Gesundheitsund Krankenpflegerin hier gemacht – und bin geblieben.
Warum haben Sie sich seinerzeit für den Beruf entschieden?
Müller Meine Mutter kommt aus der Pflege, ich war als Kind immer wieder mit bei ihr bei der Arbeit. Das hat mich also schon von früh an begleitet. Als ich mit der Schule fertig war, habe ich ein Jahrespraktikum im Krankenhaus gemacht und mich dann für die Ausbildung entschieden. Lenz Als ich den Führerschein gemacht habe, fand ich den Erste-Hilfe-Kursus so toll. Die Notfallmedizin hat mich gereizt, weshalb ich dann die Ausbildung gemacht habe. Das ist auch mein Steckenpferd.
Warum ist es ein erfüllender Beruf für Sie?
Lenz Es ist ein sehr abwechslungsreicher Beruf, mit technischen, medizinischen und menschlichen Aspekten. Man erlebt sehr viel, Geburten zum Beispiel, oder wenn ein Patient, der schwerkrank ist, wieder aufrecht gehend entlassen werden kann. Man lernt viel fürs Leben. Mich hat der Beruf geprägt, auch was etwa Menschenkenntnis angeht. Müller Man erkennt oft, dass es auch wesentlich schlimmer kommen kann, wenn man sich manches Schicksal ansieht. Das rückt Relationen im Leben gerade. Lenz Es gibt auch viele Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten – und: Der Job ist sicher. Ich kenne keine arbeitslose Krankenschwester.
Und warum kann man auch an ihm verzweifeln?
Lenz Das Arbeitspensum ist sehr hoch, und das bei wenig Pflegepersonal. Ich ärgere mich oft über die Wege, die die Politik geht, da ich mir sicher bin, dass man manche Sachen auch wesentlich einfacher lösen kann – und das zum Wohl der Patienten und der Mitarbeiter. Müller Schlimm ist auch, wenn es Schicksalsschläge gibt, bei denen man einfach nicht helfen kann. Außerdem hat man ja gewisse Vorstellungen
davon, wie man seinen Job machen will. So scheint manchmal etwa die gestiegene Bürokratie wichtiger als die Versorgung der Patienten.
Sie sind ja Ausbildungskoordinatoren, wie verändert sich die Ausbildung gerade?
Müller Unsere Schüler werden weniger Zeit bei uns verbringen, auch wenn der Praxisanteil an sich ähnlich umfangreich bleibt. Durch die Einführung der Generalistik seit dem 1. Januar sind die Ausbildungsberufe Altenpflege, Krankenpflege und Kinderkrankenpflege in den ersten beiden Jahren zusammengelegt worden. Man spezialisiert sich dann erst im dritten Ausbildungsjahr. Das heißt, dass die externen Praktika länger angelegt sind.
Wie bewerten Sie diese Änderung? Lenz Ich bin da geteilter Meinung.
Ich finde es schon sinnvoll, sich von Anfang an zu spezialisieren. Meiner Meinung nach ist ein Jahr der Spezialisierung, etwa in der Pädiatrie oder der Altenpflege, etwas wenig. Auf der anderen Seite ist die Ausbildung nun europaweit anerkannt. Pflegekräfte, die die Generalistik hier durchlaufen haben, können überall in Europa arbeiten. Deutschland ist da übrigens spät dran, in den anderen Ländern gibt es das schon. Wir setzen das jetzt um, inhaltlich habe ich aber noch meine Zweifel. Ich glaube auch nicht, dass wir dadurch mehr Personal gewinnen können. Müller Es wird sich eher verschieben, glaube ich.
Haben Sie aktuell Nachwuchssorgen?
Lenz Prinzipiell fehlen viele Pflegekräfte, das ist keine Frage. Wir können uns hier aber Gott sei Dank nicht über zu wenige Auszubildende beklagen. Müller In diesem Jahr haben wir erstmals einen zweiten Ausbildungskursus anbieten können. Wir bilden im Krankenhaus Wermelskirchen immer im Oktober zehn Schüler aus, jetzt haben im April nochmals fünf angefangen.
Woran liegt dieser gegenläufige Trend?
Lenz Wir sind hier in Wermelskirchen ein sehr familiäres Haus. Das ist schon was ganz anderes als zum Beispiel in einem großen Universitätsklinikum. Ich glaube, man ist hier bei uns am Krankenhaus ein wenig behüteter als Schüler. Müller Das bestätigen uns übrigens auch die Bewerber im Vorstellungsgespräch. Wir fragen, warum sie sich bei uns beworben haben. Da werden immer Stichworte wie „guter Ruf“, „familiäre Atmosphäre“oder „Patientenzufriedenheit“genannt.
Bekommen Krankenschwestern und -pfleger genug Wertschätzung? Müller Ich habe gerade noch durch einen Familienangehörigen, der Anfang des Jahres einen kürzeren Krankenhausaufenthalt hatte, die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen oft gar nicht wissen, was man als Pflegekraft eigentlich genau macht. Da ist oft noch das alte Bild im Kopf, dass die Schwestern und Pfleger den ganzen Tag nur Kaffee trinken und die Bettpfanne durch die Gegend tragen. Es ist oft nicht bekannt, was die Pflegekräfte eigentlich alles lernen und wissen müssen. Lenz Dazu kommt, dass die Pflege die größte Berufsgruppe im Krankenhaus ist. Zum Glück akademisiert sich die Pflege derzeit auch. Denn es ist wichtig, dass wir uns mit den Ärzten auf Augenhöhe begegnen können. Für mich muss keiner klatschen. Ich hätte lieber andere Strukturen im Krankenhaus.
Wie sollten die aussehen?
Lenz Wertschätzung ist gut, aber viel wichtiger ist, dass viel mehr Zeit für die Patienten da sein muss. Die Anerkennung muss da sein, etwa durch einen viel höheren Personalschlüssel – denn dann würden sich ganz viele Probleme ganz von alleine erledigen. Und bei den Menschen muss das Bewusstsein da sein, dass eben jeder krank werden kann, jeder alt wird und jeder irgendwann auf Hilfe angewiesen sein kann. Man muss darüber nachdenken, wie man mit der eigenen Gesellschaft umgehen will.
Kann hier ein „Tag der Krankenpflege“helfen?
Lenz Das kann schon helfen – gar nichts machen, wäre auch kein Weg. Es gibt ja von den einzelnen Fachgesellschaften Aktionswochen, durch die das jeweilige Thema ein wenig in den Vordergrund gerückt wird. Bleibt die Frage, wie groß die Tragweite solcher Aktionen ist.
Was war der schönste Moment in Ihrer Zeit in der Krankenpflege? Müller Das ist schwierig, weil es so viele schöne Momente gibt. Lenz Es sind viele kleine Dinge. Etwa der Patient, dem es lange sehr schlecht geht, und der wider Erwarten geheilt entlassen wird. Müller Wenn man ängstlichen Patienten diese Angst ein wenig nehmen kann, und sei es nur für einen Moment.
WOLFGANG WEITZDÖRFER FÜHRTE DAS GESPRÄCH