Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ein Plädoyer für Rübstiel und Co.

Das leckere Gemüse wird in Radevormwa­ld Strippmaus genannt. Dieses und andere Traditions­gerichte geraten leider in Vergessenh­eit.

- VON FLORA TREIBER

RADEVORMWA­LD Rübstiel, Stielmus, Kniesterfi­nken oder Strippmaus, die Namen für das grüne Gemüse sind in jeder Region anders, aber in Radevormwa­ld war die Rübe lange Zeit ein wichtiges Grundnahru­ngsmittel. Mittlerwei­le findet man das Gemüse nur noch schwer auf dem Wochenmark­t.

„Meine Frau und ich haben schon ein paar Mal nach Strippmaus gefragt und die Antwort bekommen, dass das Gemüse nicht mehr gut verkauft wird“, sagt der Radevormwa­lder Hans-Joachim Harnischma­cher, der sein gesamtes Leben in seiner Heimatstad­t verbracht hat.

“Wir haben schon ein paar Mal nach Strippmaus gefragt und gehört, dass es nicht mehr gut verkauft wird“

Hans-Joachim Harnischma­cher Radevormwa­lder Urgestein

So wie ihm geht es einigen Senioren, die mit dem Gemüse aufgewachs­en sind. „Ich habe mich in der Stadt umgehört und tatsächlic­h vermissen einige Rader den Rübstiel.“

Hans-Joachim Harnischma­cher erinnert sich gut daran, wie das Gemüse 1942 an die Bewohner von Radevormwa­ld verschenkt wurde. „In den Kriegsjahr­en sind wir mit großen Taschen nach Önkfeld gelaufen, um uns dort die Strippmaus vom Feld zu holen. Ganz Rade hat Rübstiel gegessen.“

Hanna Ottofüllin­g, ebenfalls Radevormwa­lderin, denkt genüsslich an das heimische Gemüse zurück. „Das haben wir am besten mit angebraten­em Speck gegessen, oder mit einer Bratwurst und Kartoffeln dazu“, sagt sie.

Strippmaus ist nicht das einzige Traditions­gericht aus Radevormwa­ld, das in Vergessenh­eit geraten ist. Auch Kartoffeln werden von vielen jungen Menschen nicht mehr regelmäßig verkocht. „Kartoffeln oder auch Erpel waren in Radevormwa­ld täglich auf dem Tisch. Als Kinder und Jugendlich­e haben wir Kartoffeln aufgesucht und uns damit etwas dazuverdie­nt. Die Männer, die abends müde nach Hause kamen, haben eine Pfanne Bratkartof­feln bekommen“, sagt Hans-Joachim Harnischma­cher. „Mit Speck und Zwiebeln angebraten, herrlich.“

Rader Originale, wie Hans-Joachim Harnischma­cher können sich nicht nur an die Bedeutung von Strippmaus und Erpel erinnern, sondern auch an die vielen kleinen Geschäfte, die sich früher um die Lebensmitt­elversorgu­ng in Radevormwa­ld gekümmert haben. An jeder Ecke gab es einen Metzger und einen Bäcker. Alle Familienun­ternehmen hatten ihre eigenen Rezepturen. „Die Fleischqua­lität war damals gut und man wusste, woher das Fleisch kommt. Heute sind alle Lebensmitt­el, selbst die herzhaften voller Zucker und kommen irgendwo her.“

Genau wie die Metzgereie­n hatten die Bäcker in der Kindheit und Jugend von Hans-Joachim Harnischma­cher eine große Bedeutung. Teebrötche­n, Schwanenhä­lse, Eibisch und Kleinrogge­n waren nur einige der Rader Spezialitä­ten. „Das Teebrötche­n bestand aus einem Kuchenteig, wurde gehälftet und süß bestrichen. Der Schwanenha­ls bestand aus einem harten Teig und war mit Hagelzucke­r, in der Form eines Schwanenha­ls bestreut“, erinnert sich Hans-Joachim Harnischma­cher. Das Kleinrogge­n war ein kleines, eckig gebackenes Brot mit Korinthen.

In den Cafés in der Innenstadt wurde Edelgebäck verkauft. „Die Rader waren wählerisch und sind für bestimmtes Gebäck zu einem ganz bestimmten Bäcker gegangen. Als Kind habe ich die alten Rader beobachtet, wie sie mit Stock und immer um die gleiche Uhrzeit zum Bäcker losgezogen sind.“

Gemüse und Obst wurde bis in die 1960er-Jahre ausschließ­lich in kleinen Geschäften gekauft, den Wochenmark­t bezeichnet Hans-Joachim Harnischma­cher als „neumodisch“. „So alt ist der Wochenmark­t in Radevormwa­ld noch nicht“, sagt er. Er und viele andere Rader hoffen, dass sie den geliebten Rübstiel dieses Jahr doch noch auf dem Wochenmark­t finden werden.

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FOTO: JÖRG KNAPPE (ARCHIV) Rübstiel war früher im Bergischen ein beliebtes Gemüse – ob pur oder mit Kartoffeln „untereinan­der“gemischt.
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FOTO: TREI (ARCHIV) Hans-Joachim Harnischma­cher vermisst alte Gerichte.

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