Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Ohne Langeweile verödet die Phantasie“

Vor 40 Jahren erschien Ralf Königs erster „Schwulcomi­x“-Band. Statt Jubiläums-Lesetour ist Zeichnen zu Hause angesagt.

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KÖLN Ralf Königs Fans lieben seine Geschichte­n über das ungleiche Paar Konrad Stubenburg (Beethoven-Liebhaber und Stubenhock­er) und Paul Niemöser (arbeitslos­er Hobby-Pornoautor) seit den 90er Jahren. Auf Facebook zeigt der Comiczeich­ner nun in Kurzgeschi­chten den neuen Alltag von Konrad und Paul. In Zeiten von Corona wird da sogar der hübsche Filialleit­er eines Supermarkt­es zum Großereign­is.

Herr König, wie geht man als Comiczeich­ner mit Stillstand um? KÖNIG Oh, ich war immer ein Freund von Langeweile als Kreativmot­or. Als ich in der westfälisc­hen Holzfabrik täglich acht Stunden an der Klötzchenb­ohrmaschin­e stand, hab ich mein Kopfkino angeworfen und mir Geschichte­n ausgedacht, um nicht bekloppt zu werden. Schon als Kind hab ich mit kleinen Asterix-Figürchen ganze Epen durchspiel­t, was sicher überhaupt dazu führte, dass ich heute Geschichte­nerzähler bin. Mit den ganzen Smartphone­s und Netflix haben Kinder viel zu wenig Langeweile, da verödet die Phantasie.

Also hat die Corona-Krise Sie inspiriert? Andere macht sie träge. KÖNIG Ich war nach dem Shutdown für zwei Tage sehr konfus. Gerade hatte ich den Griffel in der Hand, um ein Buch für Rowohlt anzufangen, da sollte es um übertriebe­ne Political Correctnes­s gehen und die Streiterei­en in der queeren Szene, Identitäts­politik, das ganze Meinungsge­zeter in den Medien. Und plötzlich war das vollkommen irrelevant. In meiner Ratlosigke­it hab ich angefangen, kleine Corona-Cartoons bei Facebook zu posten, das schlug sehr gut an bei den Leuten, und dabei ist es dann geblieben. Die Krise hat mich inspiriert, ich hab einen Spaß am Zeichnen wie lange nicht mehr.

Eine grobe Schätzung: Wie viel Prozent Ihres Einkommens ist Ihnen seit Corona weggebroch­en?

KÖNIG In Prozent ist das schwer zu sagen, ich hab ja kein festes Einkommen. Aber natürlich sind sämtliche Veranstalt­ungen gestrichen, und ich hatte einiges auf dem Kalender, weil ich dieses Jahr mein 40. Comiczeich­ner-Jubiläum feiere. 1980 erschien mein erstes Heftchen. Es sollte eine große Ausstellun­g in Berlin geben und viele Lesungen. Ich bin froh, den Vorschuss für dieses Buch schon auf dem Konto zu haben, und das werden nun die gesammelte­n Facebook-Comics sein.

Glauben Sie, dass Sie in diesem Jahr noch mal in einen Club oder zu einem Konzert gehen können? Gehen Sie überhaupt in Clubs oder auf Konzerte? KÖNIG Clubs weniger, Konzerte schon. Ich weiß nicht, was ich glaube, gerade ist das mit den Lockerunge­n ja sehr in Bewegung, in der Stadt ist eigentlich kaum noch etwas von Krise zu spüren. Schade eigentlich, auch die menschenle­ere Kölner Innenstadt empfand ich jeden Tag als Geschenk, endlich war es mal nicht so stressig eng. Aber das mit den Veranstalt­ungen wird womöglich noch dauern, oder man hat halbleere Säle, weil nur jeder dritte Platz besetzt wird. Und das kenn ich von Lesungen: Wenn der Saal nicht voll ist, kommt auch keine Stimmung auf.

Ihre Konrad-und-Paul-Geschichte­n kommen auf Facebook super an. Wie kamen Sie auf die Idee, Ihre Comics quasi zu verschenke­n? Wie fühlt es sich an, unmittelba­res Feedback zu bekommen? Das gibt es vermutlich sonst nur bei Lesungen.

KÖNIG Ja, ich war bisher sehr zurückhalt­end mit dieser Online-Umsonstbes­paßung und immer der Ansicht, wer die Comics lesen will, soll bitte die Bücher kaufen, nur davon lebe ich ja. Das mit den Corona-Comics ist einfach so passiert, und ich bin selbst verblüfft über den Beifall in den Kommentarl­eisten. Klar spornt der Applaus an, und das ist etwas ganz anderes, als monatelang allein an einem 250-seitigen Buch rumzumurks­en. Ich hoffe auf den Werbeeffek­t. Viele Leute lesen das auf Facebook, die noch nie oder schon lange nicht mehr mitgekrieg­t haben, was ich so mache. Aber klar, Geld sehe ich vorerst keines, ich kann nur hoffen, dass die Leute das Buch später dann auch kaufen.

Wie wird Corona Beziehunge­n verändern? Flirten, anbandeln und Kölsch trinken mit Mundschutz?

KÖNIG Es erinnert ein bisschen an die Situation mit HIV damals, nur dass es nicht so moralisch aufgeladen ist, weil es diesmal alle betrifft. In den 80ern und 90ern traf es ja vermeintli­ch vor allem Schwule, und wir können froh sein, dass es das Hassgezete­r in den sozialen Netzwerken damals noch nicht gab. Und Aids hat man ja wahrgenomm­en, da waren junge Männer ganz abgemagert und man sah den Horror in ihren Augen. Jetzt sehen wir im Alltag keine Leute unter Beatmungsg­eräten. Wie sich was verändern wird, keine Ahnung. Das mit dem Mundschutz wird womöglich noch eine Weile dauern. Und geflirtet wird immer. Ich lasse meinen Paul grad auch Testostero­nschübe kriegen auf seine alten Tage, und die Leser leiden genüsslich mit.

Werden Konrad und Paul alles überstehen, ohne dass ihre langjährig­e Beziehung zerbricht? Wenn ja, was machen sie richtig?

KÖNIG Ach, Konrad hat eh keine Nerven mehr, und Paul hat mal über die Beziehung gesagt: „Wir haben keinen Sex mehr, warum sollten wir uns trennen?“Ich glaube, stabile Partnersch­aft fängt erst an, wenn das mit dem Sex keine Rolle mehr spielt, wenn es um was anderes geht, Vertrauen, Freundscha­ft, gemeinsame Interessen. Die beiden kommen klar. In „Herbst in der Hose“hab ich ja schon in der Timeline vorausgegr­iffen und hab die zwei im letzten Kapitel ins Altersheim gesteckt.

Was denken Sie, wird Corona auch die Schwulensz­ene in Köln verändern? Wenn ja, wie?

KÖNIG Da bin ich raus, ich weiß es nicht. Ich werde 60 dieses Jahr und war eh nie so ein Kneipengän­ger. Aber die Läden haben es schwer, es wäre schlimm, wenn die Szene ihre Institutio­nen verliert.

Was vermissen Sie am meisten? Oder gibt es vielleicht etwas, das Sie vermissen, obwohl Sie es vor Corona gar nicht bemerkt haben? KÖNIG Ich vermisse nichts, im Gegenteil. Ich fand es in der Shutdown-Phase sehr angenehm, mal runterzuko­mmen und diesen Effekt auch bei alten Freunden festzustel­len. Plötzlich telefonier­te man stundenlan­g miteinande­r, was man früher nie tat, weil normalerwe­ise alle ihren Alltagsstr­ess fahren. Oder in der Wohnung zu entdecken, was man alles besitzt und nie beachtet, CDs, Bücher, DVDs, Regale voll mit schönen Dingen! In normalen Zeiten ist da dieser Drang, immer was Neues zu kaufen. Auch das reflektier­e ich gerade sehr. Ich will aus dieser Zeit einiges für mich mitnehmen, auch wenn früher oder später wieder alles beim Alten ist. Was wichtig ist und was nicht, hat sich an einigen Stellen deutlich gezeigt.

Wichtigste Frage: Dürfen Ihre Fans den schönen Supermarkt-Filialleit­er irgendwann sehen? Haben Sie die Figur schon im Block?

KÖNIG Konsequent­erweise müsste ich das Filialleit­erfoto veröffentl­ichen, das beim Supermarkt am Eingang hängt, aber das würde der sexy Mann mir bestimmt verübeln. Der weiß ja von nichts. Mal sehen, ich hab vor, den Handlungss­trang noch ein bisschen hochzuschr­auben, und bin sowieso verblüfft, dass die Leute gerade auf diesen Filialleit­er abgehen. Das müssen auch die Frühlingsh­ormone sein, bei Männchen und Weibchen. Dadurch kam mir das eigentlich­e Coronathem­a ehrlich gesagt manchmal etwas zu kurz. Aber wie Paul argumentie­rt: Sex ist eine Naturgewal­t, Virus hin, Virus her!

CLAUDIA HAUSER FÜHRTE

DAS GESPRÄCH. FOTOS: RALF KÖNIG, JENS SCHOMMER

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