Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Das Klischee von der zerrissene­n Republik

- VON MARTIN KESSLER

Der Kölner Soziologe Christoph Butterwegg­e zählt zu den führenden Armutsfors­chern der Bundesrepu­blik. Sein neuestes Buch widmet sich nun dem großen Thema Ungleichhe­it in Deutschlan­d. Und sein Befund ist verheerend. Denn die sozioökono­mische Ungleichhe­it breitet sich laut Butterwegg­e verstärkt auch in der Bundesrepu­blik aus. „Sie ist bereits im Kindergart­en spürbar, prägt das Erwerbsleb­en

der Gesellscha­ftsmitglie­der genauso wie ihre Bildung und Ausbildung, endet aber nicht mir ihrem Tod, macht vielmehr selbst vor dem Begräbnis nicht halt.“

Um es gleich vorwegzune­hmen. Butterwegg­es Buch ist lesenswert. Wie kaum eine andere Neuveröffe­ntlichung auf diesem Gebiet fasst der Kölner Wissenscha­ftler pointiert und prägnant die Ideengesch­ichte im Umgang mit der Ungleichhe­it zusammen, gibt einen historisch­en Überblick über die deutschen Verhältnis­se

und beschreibt das gegenwärti­ge System der „Polarisier­ung, Prekarisie­rung und Pauperisie­rung“unserer Gesellscha­ft, bevor er Lösungsmög­lichkeiten anbietet.

So verdienstv­oll diese Analyse ist, so einseitig ist ihr Tenor. Denn Butterwegg­e setzt sich nicht mit unterschie­dlichen statistisc­hen Ergebnisse­n auseinande­r, sondern präsentier­t vor allem die Daten, die zu seiner These passen. Die Armutsund Reichtumsb­erichte der Bundesregi­erung, die Studien des sozioökono­mischen Panels SOEP und der IWF sind dafür durchaus passable Quellen, aber nicht die einzigen.

So gelangen die fünf Wirtschaft­sweisen in ihrem jüngsten Gutachten zum Ergebnis, dass zwar die Ungleichhe­it der Markteinko­mmen in Deutschlan­d seit 1991 angewachse­n ist, aber der Sozialstaa­t, durch den jeder dritte Euro des Bruttoinla­ndsprodukt­s geht, die Ungleichhe­it bei den Nettoeinko­mmen dämpft. Auch die Vermögensv­erteilung ist danach nicht ungleicher geworden.

Butterwegg­e verweist gleichwohl auf die bestehende Ungleichhe­it der Vermögen, Bildungsch­ancen und der ethnischen Zugehörigk­eit. Seine Reformvors­chläge (Mindestloh­n, Bürgervers­icherung) sind moderat. Mit seinen Daten zeichnet er aber eher ein Zerrbild der Wirklichke­it, als dass er die tatsächlic­hen Zustände in Deutschlan­d beschreibt.

Christoph Butterwegg­e: Die zerrissene Republik. 2020, Beltz Juventa, 414 S., 24,95 Euro

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