Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Musik durchbrich­t um Punkt 19 Uhr die Isolation

Friedhelm und Sarina Preyer stehen seit acht Wochen jeden Abend auf ihrem Balkon und spielen geistliche und weltliche Titel.

- VON THERESA DEMSKI

EIPRINGHAU­SEN Sarina Preyer befestigt gerade das Liedblatt mit Wäscheklam­mern am Notenständ­er. Da hört sie aus dem Tal die ersten Glockenklä­nge. „Unser Einsatz“, sagt sie lachend und blickt zu ihrem Vater. Er hebt das Tenorhorn an, sie nimmt die Querflöte an die Lippen. Und Sekunden später klingt die vertraute Melodie von „Amazing Grace“vom Balkon in Eipringhau­sen über die Dächer des Dorfes. Hier und da werden Vorhänge zur Seite geschoben und Fenster geöffnet. Bei gutem Wind sind die Melodien bis Süppelbach, Buchholzen und Kovelsberg zu hören. Dann klingelt am Abend plötzlich das Telefon bei Familie Preyer und die Menschen bedanken sich. „Das motiviert uns sehr“, sagt Friedhelm Preyer.

Seit acht Wochen steht der 55-Jährige gemeinsam mit Tochter Sarina um Punkt 19 Uhr auf dem Balkon – jeden Abend. Nur einmal habe er einen Friseurter­min gehabt. Und weil die in diesen Zeiten begehrt seien, wurde das Spiel drei Minuten vorverlegt. Am nächsten Abend kehrten sie zur alten Gewohnheit zurück: Um Punkt 19 Uhr, wenn im Glockentur­m am Evangelisc­hen Gemeindeha­us das Läuten beginnt, stimmen die beiden ihre Melodien an.

Das erste Mal standen sie vor acht Wochen auf dem Balkon, als die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d dazu aufrief, um 19 Uhr „Der Mond ist aufgegange­n“anzustimme­n. Als eine weitere Initiative dazu einlud, die „Ode an die Freude“zu spielen, waren Sarina und Friedhelm Preyer ebenfalls dabei. „Und weil die Rückmeldun­gen aus der Nachbarsch­aft so gut waren, haben wir einfach weitergema­cht“, erzählt die 19 Jahre alte Sarina Preyer. Mit jedem Abend erweiterte­n sie ihr Repertoire. Weltliche

Stücke treffen auf geistliche­s Liedgut. Jedes Mal stehen zwei Beiträge auf dem Programm – mindestens ein Choral. „Das hat uns bewegt, wenn uns Menschen aus der

Nachbarsch­aft angerufen und uns erzählt haben, dass sie sich durch einen unserer Choräle getröstet gefühlt haben“, sagt Friedhelm Preyer. Irgendwann kamen die ersten Kurznachri­chten

mit Liedwünsch­en und das Vater-Tochter-Gespann begann, diese Wünsche zu erfüllen. Sie spielten „Über sieben Brücken musst du gehen“oder „Hallelujah“. Ob es regnet oder stürmt: Vom Wetter lassen sich die beiden nicht abhalten. Dann ziehen sie Regenkleid­ung an.

Eigentlich spielen Sarina und Friedhelm Preyer im Evangelisc­hen Posaunench­or. Auch Ehefrau Melanie gehört zum Ensemble. „Wegen Corona können wir seit Wochen nicht gemeinsam proben“, erzählen die beiden, „deswegen ist das gemeinsame Spielen am Abend auch eine Art Ersatzprob­e für uns.“Und Melanie Preyer fügt hinzu: „Es ist auch zu einem Vater-Tochter-Projekt geworden.“

Erst wenn die Proben und erste Auftritte mit ihrem Chor wieder möglich sind, wollen die beiden ihre abendliche­n Auftritt einstellen. Bis dahin klingt Trost vom Balkon.

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FOTO: JÜRGEN MOLL Musik in der Krise: Sarina und Friedhelm Preyer schicken die Melodien vom Balkon in Eipringhau­sen aus über die Dächer des Ortes.

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