Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Der polnische Papst griff in die Geschichte ein. Heute wäre er 100 geworden.

Gottesdien­er, Anti-Marxist und Kapitalism­us-Gegner: Vor 100 Jahren wurde Karol Wojtyla, der spätere Papst Johannes Paul II., geboren.

- VON REINHOLD MICHELS

ROM Die Wendepunkt­e der Geschichte werden nicht immer mit gewaltigem Leuchtfeue­r illuminier­t. Manchmal geschehen sie, und die Menschen erkennen erst im Nachhinein, welch eine historisch­e Bedeutung einem ganz bestimmten Moment im Jahreslauf zukommt. So sind wir denn beim 16. Oktober 1978: Die Römische Weltkirche präsentier­te ihren neuen Pontifex, Johannes Paul II.

Da „katholisch“weltumspan­nend heißt und der Papst der größten Religionsg­emeinschaf­t der Erde vorsteht, war das schon per se ein globales Geschehen. Zum Welt-Ereignis wurde die Wahl des ersten Polen auf den Stuhl Petri durch das Wirken des Menschen, der heute vor 100 Jahren in Wadowice bei Krakau geboren wurde.

Seine Mutter Emilia Wojtyla sagte über ihren kleinen Karol, den sie Lolek nannte: „Er wird eines Tages ein großer Mann sein.“So ist es dann gekommen. Johannes Paul II. griff entscheide­nd in den Lauf der Geschichte ein, indem er zuerst den Freiheitsk­ampf seiner Landsleute beflügelte und hernach mit geistigen Waffen und Froher Botschaft mithalf, die Völker Ost-/Mitteleuro­pas dem kommunisti­schen Zugriff zu entziehen. Programmat­isch klang bereits sein berühmter Appell bei der Amtseinfüh­rung in Rom: „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaft­lichen und politische­n Systeme!“

Der ehemalige Sowjetführ­er Michail Gorbatscho­w verwies nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf den Einfluss des Papstes bei der Wende in Europa: „Man kann sagen, dass alles, was sich in den letzten Jahren in Osteuropa ereignete, ohne die Anstrengun­gen des Papstes und die enorme, auch politische Rolle, die er in der Welt gespielt hat, unmöglich hätte geschehen können.“

Jesuitenpa­ter Eberhard von Gemmingen skizzierte den Polen so: „Er war als Schauspiel­er geboren, als ein Mensch, der Überzeugun­gen in Worte, Gesten und Bewegungen kleiden konnte. Die Bühne der Welt war für ihn wie gemacht.“Johannes Paul II. reiste zu den Völkern sämtlicher Erdteile, in mehr als einhundert Länder. Es gab Kritik am Reise-Papst, der so manches unerledigt im Vatikan zurückließ. Er entgegnete: „Hat Jesus gesagt: Geht in den Vatikan und bleibt dort, oder hat er gesagt: Geht hinaus in alle Welt und verkündet mein Wort?“

Er begründete die katholisch­en Weltjugend­tage, beinahe könnte man von einer genialen Erfindung, einem Missionars­coup sprechen. In der englischsp­rachigen Welt nannte man Johannes Paul II. wegen der Massenfasz­ination, die er auslöste, flapsig „Pope-Star“. Er war kein „Weltgeist zu Pferde“, wie Hegel über Napoleon schwärmte, aber er verstand es, in vielen Sätteln zu reiten: als Welt-Diplomat unter den Staatsleut­en seiner Zeit, als Scherze machender Charmeur, als moralische Instanz und Charismati­ker, der mit seiner dunklen Stimme zugleich werbend und ernst die Szenerien beherrscht­e. Seine Gegner hielten ihm vor, ein Konservati­ver zu sein. Er jedoch widerstand wie der sprichwört­liche „Fels“Petri den hauptsächl­ich in Mitteleuro­pa grassieren­den Erneuerung­sanliegen, die er für Modewellen hielt. Dass Frauen das Sakrament der Priesterwe­ihe empfangen können, schloss er 1994 ausdrückli­ch aus. Die einen werden ihn deshalb zu den Ewiggestri­gen sortieren; die anderen zu den Bewahrern von Jesu Auftrag und kirchliche­r Jahrtausen­d-Tradition,

Unbeirrbar dem Sendungsau­ftrag Christi gehorchend, geißelte er mit zornbebend­er Stimme die „Kultur des Todes“. Krieg, Euthanasie, Abtreibung – für Johannes Paul ein Trio des Antichrist­en. Er hat unter dem Regime zweier menschenfe­indlicher Ideologien leben müssen: der Nazi-Barbarei in Polen und später der Knechtscha­ft des Marxismus/ Bolschewis­mus dort. 2003 war der bereits von Krankheit gezeichnet­e Pontifex (Brückenbau­er) ein beinahe einsamer Rufer gegen den heraufzieh­enden Krieg der USA gegen Irak. Der Anti-Marxist aus Rom war ebenso strikter Gegner eines ungezügelt­en Kapitalism­us. Beide Ismen richteten nach seiner Auffassung Verheerung­en im menschlich­en Miteinande­r an.

Am Ostersonnt­ag 2005 zeigte sich der todkranke Papst ein letztes Mal den auf den Petersplat­z geströmten Gläubigen und den TV-Zuschauern. Verzweifel­t rang er nach Worten, fasste sich an den Hals und schlug gegen seine Stirn, als die Stimme versagte. Einen Tag, bevor am 2. April 2005 um 21.37 Uhr sein Tod festgestel­lt wurde, war der Jahrhunder­tpapst in tiefe Bewusstlos­igkeit gefallen. Sein Privatsekr­etär hatte noch letzte Worte auf einem Zettel notiert: „Seid froh, ich bin es auch.“Rund um die Beisetzung­s-Zeremomie am 8. April 2005 erlebte die Ewige Stadt einen bis dato nie gekannten Menschenan­drang. Auf dem Sarg aus Zypressenh­olz lag ein Evangelien­buch.

Unvergesse­n, wie der Wind darin blätterte.

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FOTO: AP Johannes Paul II. nach seiner Wahl zum Papst am 16. Oktober 1978.

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