Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Corona-Lockerunge­n kamen in letzter Minute.

Für Nicole Helder und Jennifer Hebekerl von der Ballettsch­ule „Momo“kamen die Corona-Lockerunge­n des Landes in letzter Minute.

- VON MELANIE APRIN

WERMELSKIR­CHEN Jennifer Hebekerl ist nicht Bühnentänz­erin geworden, um sich eine goldene Nase zu verdienen. „Als Ballerina ist man es gewöhnt, sich von Engagement zu Engagement zu tanzen und selten zu wissen, was die nächste Saison bringt“, sagt Hebekerl, die aus Frankfurt am Main stammt. Dort machte sie ihr Diplom an einer renommiert­en Hochschule. Später wurde sie langjährig­e Solistin am Staatsthea­ter Cottbus.

Irgendwann verschlug es sie aus privaten Gründen ins Bergische Land. Hier lernte sie Nicole Helder kennen. Auch Helder stand viele Jahre lang als profession­elle Ballett-Tänzerin auf der Bühne und war es trotz hochkaräti­ger Engagement­s gewöhnt, „mit wenig Geld über die Runden zu kommen“. Bis sie etliche Jahre vor Hebekerl ebenfalls in Wermelskir­chen landete und eine Ballettsch­ule aufbaute, die kontinuier­lich mehr Zulauf erhielt.

Für Helder bedeutete das auch finanziell eine neue Erfahrung: „Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich ein paar Rücklagen bilden“, sagt die gebürtige Niederländ­erin, die noch im März mehr als ein Dutzend Honorar-Trainer in ganz unterschie­dlichen Tanzsparte­n beschäftig­te. Unter ihnen war auch fest verwurzelt die ehemalige Solistin Hebekerl. Alles lief gut, bis Mitte März plötzlich der Corona-Lockdown kam. „Das hat nicht nur mich, sondern auch meine Mitarbeite­r eiskalt erwischt“, sagt Helder. Um ihr Personal nicht zu verlieren und ihren inzwischen über 300 Schülern Programm zu bieten, tat Helder das, was viele Tanzschule­n während der Zwangspaus­e taten: „Wir stellten Videos ins Netz, boten Training via Zoom an und streamten live auf Instagram.“

Für die Vorzeige-Tänzerin Hebekerl war klar, dass sie Helder dabei unterstütz­en würde. Eine Hilfsberei­tschaft, die sie herausford­erte: „Als Tänzerin hatte ich keine Probleme damit, vor eine Kamera zu treten. Doch nun musste ich mich auch erstmals mit der Technik auseinande­rsetzen, die daran hängt.“Zum Glück hätten sich dabei alle im „Momo“-Team gegenseiti­g geholfen, „indem wir quasi über Nacht gemeinsam lernten, wie man Videos schneidet und was digitale Postproduk­tion bedeutet“. Eine lehrreiche Erfahrung. Doch nun sei sie froh, „dass es langsam unter strengen Auflagen wieder erlaubt ist, in der Ballettsch­ule zu unterricht­en“. Denn das gemeinsame Training habe ihr sehr gefehlt.

So sieht es auch ihre Chefin. Nicole Helder gibt ebenfalls zu, dass ihr „die Aufzeichnu­ng von Tanz-Tutorials und das ganze digitale Training nur bedingt Freude bereitet haben“. Die Ursache liege weniger in der Technik, sondern in der Natur der Sache. „Digital-Unterricht hat mit richtigem Ballett-Training eben gar nichts zu tun.“So sei es im Ballett-Saal

geboten, „sofort Korrekture­n vorzunehme­n, wenn etwas in die falsche Richtung läuft“. Andernfall­s drohten Verletzung­en oder Überlastun­gen. Ferner lebe Ballett „vom richtigen Ausdruck“. Diesen zu vermitteln, ohne die Schüler direkt vor Augen zu haben, sei „praktisch unmöglich“.

Helder war daher von Anfang an klar, „dass jedes Online-Angebot zumindest in der Sparte Ballett kein gleichwert­iger Ersatz für den Präsenzunt­erricht sein würde“. Weshalb sie aus Überzeugun­g im Mai aufhörte, die Beiträge ihrer Schüler einzuziehe­n. „Etwas, von dem ich im Nachhinein sagen würde, dass ich es besser nicht gemacht hätte“. Denn die wenigen Rücklagen, die sie in den letzten Jahren bilden konnte, seien „angesichts von mehreren

Tausend Euro an monatliche­n Fixkosten innerhalb eines Monats weggeschmo­lzen“. Daran habe auch die staatliche Soforthilf­e nichts geändert: „Das Geld half nur, die laufenden Kosten zu begleichen, nicht aber, den Lebensunte­rhalt zu bestreiten“.

In ihrem Fall habe das auch daran gelegen, „dass ich eine Familie habe und mein Lebensgefä­hrte ebenfalls als Selbständi­ger im Kulturbetr­ieb tätig ist“. So sei es „kaum möglich, mehrere Wochen ohne Einnahmen zu überstehen“. Zumal sie sich noch das Ziel gesetzt hatte, „das Gros meiner Mitarbeite­r bei der Stange zu halten“.

Was sie aus verschiede­nen Gründen getan habe: „Zum einen ist es im Bergischen Land schwierig, Trainer mit ausgezeich­neten tänzerisch­en Qualifikat­ionen zu finden. Zum anderen ist es einfach so, dass man im Tanzbetrie­b schnell enge persönlich­e Bindungen aufbaut.“Das liege an den vielen Wettbewerb­en und Aufführung­en, „in die auch seitens meiner Mitarbeite­r in normalen Zeiten unendlich viele gemeinsame Stunden an freiwillig­em und unbezahlte­m Engagement einfließen“. Wer dieses Engagement zeigt, sei „nicht nur Idealist, sondern auch bereit, viel Aufwand zu haben, ohne einen Ertrag zu sehen“. Das indes müsse man sich leisten können: „Wer so arbeitet, kann kaum Rücklagen bilden und ist zumindest für eine Corona-Krise nicht gerüstet.“So sei das auch in ihrem Fall gewesen:

„Ich hätte an diesem Standort keinen einzigen weiteren Monat überlebt.“

Eine Aussage, die Wermelskir­chener wachrüttel­n sollte: „Diese Stadt hat nur eine klassische Ballettsch­ule.“Wäre sie aus finanziell­en Gründen verschwund­en, hätte das einen künstleris­chen Verlust bedeutet: „In diesen Räumen trainieren etliche eindrucksv­olle Talente. Es wäre sehr schade gewesen, wenn man sie künftig nicht mehr gesehen hätte.“

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FOTO: JÜRGEN MOLL Trainerin Jennifer Heberkerl mit einer bekannten Ballett-Pose. Im Hintergrun­d sitzt Nicole Helder am Laptop.

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