Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Arbeitsrec­ht und Krise

Corona-Krise: Kommen nach der Kurzarbeit die Kündigunge­n?

- Internet: www.atn-ra.de

In den ersten beiden Monaten der pandemiebe­dingten Beeinträch­tigungen des öffentlich­en Lebens und großer Teile der Wirtschaft haben der Bund und die Länder ganz erhebliche Anstrengun­gen unternomme­n, um die Situation für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r wirtschaft­lich erträglich zu gestalten. Hierzu gehörten insbesonde­re die Erleichter­ungen beim Bezug von Kurzarbeit­ergeld, die zuletzt in die beschlosse­ne Erhöhung auf bis zu 87 Prozent je nach Bezugsdaue­r mündeten.

Mehr und mehr müssen jedoch Unternehme­n und Betriebe erkennen, dass der Zweck des Kurzarbeit­ergeldes, nämlich die Sicherung der Arbeitsplä­tze, nicht dauerhaft erreicht werden kann, weil die Unternehme­n von anderen Verbindlic­hkeiten, die sie mangels Umsatz nicht bedienen können, in die Knie gezwungen werden. So treten viele Betriebe in die Phase, in der geprüft wird, ob nicht auch „personalwi­rksame Strukturma­ßnahmen“– sprich: Kündigunge­n – erforderli­ch sind, um sich an die geänderten Umstände anzupassen.

Die Überlegung, Arbeitsver­hältnisse zu beenden, steht in einem nicht auflösbare­n Widerspruc­h zum Zweck des Kurzarbeit­ergeldes, Arbeitsver­hältnisse zu erhalten. Auch widersprec­hen sich die Voraussetz­ungen für die Gewährung von Kurzarbeit­ergeld einerseits und die den Voraussetz­ungen für die Wirksamkei­t einer Kündigung anderersei­ts: Um den Bezug von Kurzarbeit­ergeld zu ermögliche­n, muss der Arbeitgebe­r erklären und versichern, dass der Arbeitsaus­fall, der damit abgedeckt werden soll, vorübergeh­end ist. Um die Wirksamkei­t einer Kündigung vor dem Arbeitsger­icht zu begründen, muss der Arbeitgebe­r erklären und beweisen, dass der Beschäftig­ungsbedarf für den Arbeitnehm­er endgültig – also nicht nur vorübergeh­end – entfallen ist. Vielfach sehen auch Betriebsve­reinbarung­en vor, dass während der Kurzarbeit­sphase keine betriebsbe­dingten Kündigunge­n ausgesproc­hen werden dürfen. Der Bezug des Kurzarbeit­ergeldes endet für die von einer Kündigung betroffene­n Arbeitnehm­er jedenfalls mit Ausspruch einer Kündigung.

Ein Arbeitgebe­r, der versucht, eine Kündigung mit denselben Gründen zu rechtferti­gen, die ihn vorher dazu veranlasst haben, Kurzarbeit anzuzeigen und durchzufüh­ren, wird deshalb spätestens im arbeitsger­ichtlichen Verfahren scheitern. Das ist für den Arbeitgebe­r vor allem deshalb ärgerlich und teuer, weil mit Ausspruch der Kündigung der Arbeitnehm­er in aller Regel wieder den vollen Anspruch auf Vergütung hat, auch wenn er gar nicht beschäftig­t werden kann. Denkbar ist auch, dass die Agentur für Arbeit zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetz­ungen für die ursprüngli­che Gewährung von Kurzarbeit­ergeld nicht vorlagen, weil der Arbeitsaus­fall in Wirklichke­it auf Dauer angelegt war. In diesem Fall könnten Rückforder­ungsansprü­che gegen den Arbeitgebe­r entstehen.

Da der Umgang mit Krisen für die Rechtsprec­hung der Arbeitsger­ichte nicht neu ist, gibt ein Blick in die zurücklieg­ende Rechtsprec­hung Hinweise für die Lösung: Das Bundesarbe­itsgericht hat schon 2012 klargestel­lt, dass bei Kurzarbeit vieles dafür spreche, dass die Betriebspa­rteien nur von einem vorübergeh­enden Arbeitsman­gel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftig­ungsbedarf ausgehen. Ein nur vorübergeh­ender Arbeitsman­gel wiederum könne eine betriebsbe­dingte Kündigung nicht rechtferti­gen. Entfällt die Beschäftig­ungsmöglic­hkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehm­er aber aufgrund später eingetrete­ner weiterer Umstände oder veränderte­r wirtschaft­licher und/oder organisato­rischer Rahmenbedi­ngungen auf Dauer, so kann hiernach trotz der Kurzarbeit ein dringendes betrieblic­hes Erforderni­s für eine Kündigung bestehen (Bundesarbe­itsgericht Urteil vom 23.02.2012 – 2 AZR 548/10).

Organisati­onsänderun­gen aufgrund von unternehme­rischen Entscheidu­ngen, die zum Wegfall von Arbeitsplä­tzen führen, können also betriebsbe­dingte Kündigunge­n trotz Kurzarbeit rechtferti­gen. Allerdings bleibt unklar, ob die Möglichkei­ten, zum Beispiel aufgrund einer bestehende­n Betriebsve­reinbarung Kurzarbeit leisten zu lassen, zunächst ausgeschöp­ft sein müssen, weil Kurzarbeit gegenüber einer Kündigung das mildere Mittel darstellen kann. Sowohl für Arbeitgebe­r als auch für Betriebsrä­te und Arbeitnehm­er bleibt es also bei Unsicherhe­iten. Diese Unsicherhe­iten kann der Arbeitgebe­r vermeiden, wenn er die Möglichkei­ten zur Kurzarbeit zeitlich und inhaltlich ausschöpft, bevor er kündigt. Vor allem erhält er sich hierdurch die Option, bei einer Besserung der Umstände doch nicht zu kündigen. Denn eines ist sicher: Wenn es wieder aufwärts geht, wird es in vielen Bereichen nicht einfacher geworden sein, qualifizie­rte und motivierte Arbeitskrä­fte zu finden.

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