Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Von der Matte in den Kreißsaal

Die ehemalige Judoka Anna-Maria Gradante gewann 2000 in Sydney die Olympische Bronzemeda­ille. Heute hilft sie werdenden Mütter dabei, ihr Kind zur Welt zu bringen.

- VON ANNA MAZZALUPI

WERMELSKIR­CHEN Fast 20 Jahre ist es inzwischen her, dass die Wermelskir­chenerin Anna-Maria Gradante bei den Olympische­n Spielen in Sydney die Bronzemeda­ille im Superleich­tgewicht gewann und damit die einzige Medaille für das deutsche Judo-Team bei diesem Wettkampf holte. Damals war der Sport, der Wettkampf auf der Matte, alles für die junge Frau. Judo, das lag bei ihr in der Familie.

Heute allerdings spielt der Sport im Leben der 43-Jährigen nur noch eine untergeord­nete Rolle. Zwar schaut sie sich auch ab und an Wettkämpfe von EM, WM oder Olympia im Fernsehen oder im Internet an – zusammen mit ihrem Lebensgefä­hrten Siggi Pranke, ebenfalls ehemaliger Judoka, und der gemeinsame­n Tochter Jasmin (6). Doch eine Hauptrolle spielt diese Sportart nicht mehr bei ihr, betont sie.

Lebensmitt­elpunkt ist neben ihrer Familie jetzt vor allem ihr Beruf. Als Hebamme arbeitet sie in ihrer Wahlheimat Köln. 2006 fing sie die Hebammen-Ausbildung an. Damit begann auch die Abnabelung vom Judo. Zunächst arbeitete sie in Wuppertal, später in Gummersbac­h und St. Augustin. Stellenwei­se war sie auch selbststän­dig. Nun arbeitet sie im Krankenhau­s Porz am Rhein in Köln im Kreißsaal und der Wochenbett­station – ihre neue Wettkampfh­alle, sozusagen.

Nachdem sie ihre Profisport­lerkarrier­e aufgebeben hatte, fand sie im Hebammenda­sein eine neue Berufung. „Wie viele Kinder ich inzwischen auf die Welt gebracht habe, weiß ich nicht. Aber es macht immer noch Spaß“, sagt die sympathisc­he Geburtshel­ferin. Jede Geburt sei spannend und anders, da jede Frau eine individuel­le Begleitung brauche. Die Disziplin, die sie damals für den Sport benötigte, helfe ihr auch noch heute im Berufsallt­ag weiter.

Und es gibt noch einige andere Parallelen: „Die Fingernäge­l bleiben kurz, die Haare zusammenge­bunden und man ist in stickigen Räumen mit vielen Leuten gleichzeit­ig“, zieht sie lachend den Vergleich. Statt sich für einen Kampf zu motivieren und von anderen angefeuert zu werden, motiviert sie nun und feuert die werdenden Eltern an.

Sportlich fit hält sie sich mit Laufen und Klettern. Vor allem aber ihre Tochter hält sie auf Trab. Die Begeisteru­ng für Judo nehme bei ihr schon zu. Das ein oder andere Mal sei Gradante mit ihr zur Probe auf der Matte gewesen. Noch sei sie aber zu jung für ein dauerhafte­s Training. Zu dem Sport drängen wolle sie Jasmin

auf keinen Fall. „Hauptsache sie hat Spaß bei dem, was sie macht“, sagt Gradante. Über die Vergangenh­eit frage ihre Tochter aber viel und schaue sich auch gerne die Bilder von damals an, ergänzt die Mutter. Auf der Arbeit weiß allerdings kaum jemand von Gradantes Vergangenh­eit als Olympia-Medailleng­ewinnerin,

da sie das Thema nicht an die große Glocke hängt.

Ab und zu ist die ehemalige Bergische zu Besuch in der Heimat – etwa um die Familie zu besuchen. Ihr Bruder Corrado Gradante, durch den sie überhaupt erst mit drei Jahren zum Judo kam, ist nach wie vor beim Remscheide­r TV aktiv, in dem sich auch Anna-Maria Gradante als Judoka verdient machte. Zu Veranstalt­ungen des RTV, etwa zu Karneval oder im Advent, komme sie immer gerne wieder. „Es ist schön, Ankedötche­n zu erzählen.“

Darauf wird sie vermutlich, bedingt durch die Ausbreitun­g der Corona-Pandemie, in diesem Jahr verzichten müssen. Einen Lagerkolle­r hatte die ehemalige Judoka während des Shutdowns übrigens nicht: Die Situation sei ähnlich den Trainingsl­agern von früher gewesen, merkt sie lachend an. Dadurch habe sie gelernt, sich schnell auf neue Situation einzustell­en und flexibel zu bleiben.

Davon profitiert sie nun – ob im Privatlebe­n oder im Kreißsaal bei der kurzen Begleitung von Paaren auf dem Weg zu neuem Leben. Sie ist übrigens froh, so eine außergewöh­nliche Situation wie aktuell nicht in ihrer aktiven Zeit miterlebt haben zu müssen. Sie fühlt mit den Sportlern, die sich auf die Wettkämpfe vorbereite­t haben, die abgesagt wurden.

Irgendwann einmal, verrät sie, will sie noch einmal zurück nach Sydney in das Olympische Dorf, in dem sie damals während der Wettkampft­age wohnte.

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FOTO: DPA Der größte Erfolg der Judo-Sportlerin: Am 16. September 2000 gewann sie bei Olympia in Sydney die Bronzemeda­ille gegen die Chinesin Shunxin Zhao.
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FOTO: KRANKENHAU­S PORZ AM RHEIN/CHRISTOPHE­R MARTIN Anna-Maria Gradante arbeitet heute als Hebamme. Hier steht sie mit ihrer Kollegin Anna Verbert (r.) am Monitor.

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