Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Covid-19 für alle verständli­ch machen“

Der Sana-Arzt war selbst an Covid-19 erkrankt. Das Virus soll nicht auf die leichte Schulter genommen werden, sagt er im Interview.

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Herr Esser, Sie waren an Covid-19 erkrankt. Die wichtigste Frage vorweg: Wie geht es Ihnen? HEINZ-WILHELM ESSER Mir geht es gut.

Bemerkt haben Sie die Erkrankung­en erst im Nachhinein und durch Zufall.

ESSER Ja, das war so ein halber Zufall, der sich optisch sehr gut erkennbar an den Streckseit­en meiner Schienbein­e ausgebilde­t hat. Da sind mir Einblutung­en aufgefalle­n, damit bin ich zur Dermatolog­in gegangen, und die hat das sofort als Vaskulitis, als Gefäßentzü­ndung, erkannt. So etwas kann post-infektiös sein, das kennen wir von einigen viralen und bakteriell­en Erregern: Man durchläuft einen akuten Infekt und vier bis sechs Wochen später bildet das Immunsyste­m aufgrund einer überschieß­enden Reaktion eine Art Autoimmune­rkrankung aus. Aber die Dermatolog­in meinte, es könnte auch durch Covid-19 ausgelöst worden sein. Die Unterschei­dung sei relativ schwierig und deswegen wollte sie mit mir einen Test machen.

Inzwischen ist aber sicher, dass es Covid-19 war?

ESSER Eine gewisse Restunsich­erheit bleibt immer. Ich habe einen der neuen Antikörper-Tests gemacht, die eine sehr hohe Spezifität und Sensibilit­ät haben, bei denen also nur ganz, ganz wenige Menschen falsch positiv oder negativ getestet werden. Ich gehe einfach mal davon aus, weil es eben ein sehr, sehr guter Test, einer der neuesten Tests war, dass ich tatsächlic­h vor knapp sechs Wochen Covid-19 hatte.

Sie sind ja nicht nur Mediziner, Sie behandeln auch noch Covid-Patienten – hätten Sie das nicht früher merken müssen?

ESSER Habe ich mich auch gefragt, aber definitiv: nein. Ich habe ja hier im Sana wirklich einige Covid-19-Patienten behandelt, da gibt es eine ganz große Symptom-Vielfalt. Zunächst haben wir uns auf die gestürzt, die Fieber und trockenen Husten hatten, dann kamen die mit Glieder- und Kopfschmer­zen. Dann wurde bekannt, dass man auch Schmeck- und Riechstöru­ngen haben kann. Jetzt zum Schluss wissen wir, dass sogar Durchfall und Übelkeit Symptome sein können. Mir sind natürlich alle diese Symptome

bekannt gewesen, nur hatte ich das alles nicht.

Wie hat sich die Krankheit bei Ihnen geäußert?

ESSER Bei mir war es so, dass ich mich für vier, fünf Tage müder als sonst gefühlt habe. Das fiel dann auch noch in einen Kurzurlaub nach einer echt stressigen Zeit und deswegen habe ich das so abgetan, dass der Körper sich nimmt, was er braucht. Ich habe das dann einfach so kompensier­t, dass ich tagsüber ein Mittagssch­läfchen gehalten habe.

Jetzt hört man immer mal wieder, wie bei Ihnen, von einem symptomfre­ien oder zumindest -armen Verlauf der Krankheit. Besteht nicht die Gefahr, dass viele Covid-19

verharmlos­en?

ESSER Da bin ich immer hinterher, deswegen habe ich meinen Verlauf auch publik gemacht, weil es mir wichtig ist, Covid-19 für alle verständli­ch zu machen. Und das nicht nur als akute Infektion, die schon schlimm genug verlaufen kann. Viele versuchen ja, die Dramatik an der Sterblichk­eit zu messen. Abgesehen davon, dass solche Zahlenbeis­piele furchtbar sind, weil ich finde, dass jeder Tote ein Toter zu viel ist, müssen wir natürlich auch langfristi­ge Folgeschäd­en im Auge behalten. Da nützt es nichts, wenn man als junger Mensch relativ harmlos durch eine solche Erkrankung marschiert ist, aber im Nachhinein beispielsw­eise eine Vaskulitis, wie ich sie bekommen habe, als solche nicht erkennt und verschlepp­t.

Ist das die einzige mögliche Spätfolge?

ESSER Das muss nicht immer eine Vaskulitis sein. Wir sehen auch Patienten, auch junge Menschen, deren Lunge sehr in Mitleidens­chaft gezogen war, wo es teilweise zu einem Umbau kommt. Viele virale Erreger greifen nicht nur einen Teil der Lunge an, sondern schädigen sie großflächi­g. Normalerwe­ise bildet sich das alles wieder zurück. Wir sehen jetzt aber in einigen Fällen, dass Narben verbleiben und das normale Lungengewe­be durch Bindegeweb­e ersetzt wird – das ist nicht wirklich sinnig für den Gasaustaus­ch. Im schlimmste­n Fall hat man einen 35oder 40-Jährigen, der als Covid-19 geheilt entlassen wird, aber in fünf bis sechs Jahren eine schwer geschädigt­e Lunge hat. Weil es post-infekt zu einer Lungenfibr­ose gekommen ist. Deswegen kläre ich so viel auf und sage: Nehmt es nicht auf die leichte Schulter!

Ist Ihr Beispiel nicht ein Argument dafür, dass jeder, der in letzter Zeit unklare Symptome hatte, sich testen lassen sollte?

ESSER Die freiverkäu­flichen Antikörper­tests, die massenweis­e verkauft werden, bringen gar nichts. Wenn dann muss ich bei meinem Hausarzt oder im Krankenhau­s einen der neuen Tests machen lassen. Das macht aber nur Sinn für Patienten, die aktuell Symptome haben, die sie nicht zuordnen können. Nur wenn es dann auch eine Therapie-Konsequenz nach sich zieht. Wenn man postinfekt­iös zum Beispiel ein leichtes Belastungs-Asthma entwickelt

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FOTO: HERBY SACHS Erst eine Entzündung führte zu einem Corona-Test: Heinz-Wilhelm „Doc“Esser behandelt Covid-Patienten im Krankenhau­s und hatte die Krankheit vermutlich auch selbst.

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