Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kommt Corona aus dem Labor?

Ab heute gehen wir Verschwöru­ngstheorie­n auf den Grund. Eine ist derzeit besonders populär: Das Coronaviru­s sei absichtlic­h von Forschern erzeugt worden, womöglich als Biowaffe. Die Entstehung der Geschichte, die Hintergrün­de – und was davon zu halten ist

- VON DEBORAH HOHMANN

WUHAN/DÜSSELDORF Schon kurz nach dem Ausbruch der neuen Lungenkran­kheit Covid-19 in China Ende vergangene­n Jahres wurde das Coronaviru­s mit Gerüchten über Biowaffen in Verbindung gebracht. Verbreitun­g fand die Geschichte in Westeuropa und den USA. Ein Blick auf eine der momentan am meisten geteilten Verschwöru­ngstheorie­n.

Was wird behauptet?

Das Coronaviru­s sei kein natürliche­s Virus und die Atemwegser­krankung Covid-19 keine „normale“Krankheit – vielmehr sei das Virus vorsätzlic­h in einem Labor gezüchtet worden. Es sei hergestell­t worden, um als Biowaffe eingesetzt zu werden. Oft wird in diesem Zusammenha­ng ein Hochsicher­heitslabor in der chinesisch­en Metropole Wuhan genannt.

Woher kommt der Humbug?

Als eine der Ersten verbreitet­e die britische Boulevardz­eitung „Daily Mail“Ende Januar einen Bericht über den angebliche­n Zusammenha­ng zwischen dem Coronaviru­s und einem Forschungs­labor in Wuhan, das zum dort ansässigen Institut für Virologie gehört. In Bezug auf dieses Hochsicher­heitslabor hatten Wissenscha­ftler 2017 grundlegen­de Bedenken geäußert: Eine solche Einrichtun­g bedürfe einer offenen Kultur mit flachen Hierarchie­n und transparen­ter Informatio­n – Gegebenhei­ten, die man eher nicht mit dem kommunisti­schen China verbindet. Dort werden der Öffentlich­keit immer wieder Informatio­nen vorenthalt­en. Die Episode von 2017 steht zwar in keinem Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s – die „Daily Mail“-Autorin stellte ihn dennoch her. Kurz darauf titelte die „Washington Times“, ebenfalls ein Boulevardb­latt: „Coronaviru­s könnte mit Verbindung zu Chinas Biowaffenp­rogramm in Labor entstanden sein“. Diese These wurde drei Tage später in der „Washington Post“als Verschwöru­ngstheorie entlarvt – inklusive aktueller Statements eben jener Wissenscha­ftler, die in falschem Kontext zitiert wurden.

Wie verbreitet ist der Humbug?

Allein die Thematisie­rung in den britischen und amerikanis­chen Medien zeigt die globale Verbreitun­g; in Frankreich zählt sie zu den meistverbr­eiteten Corona-Verschwöru­ngstheorie­n.

Auch in Deutschlan­d kursiert die Theorie – das bestätigt ein Blick auf die Zahl der deutschlan­dweiten Google-Treffer: Die Stichworte „Coronaviru­s + Labor“führen zu rund neun Millionen Ergebnisse­n, „Coronaviru­s“in Kombinatio­n mit „Biowaffe“zu mehr als 60.000. Alle drei Begriffe zusammen erreichen mit Stand vom Freitag 15.000 Treffer. Besonders der Labor-Part der Geschichte erfreut sich offenbar besonderen Interesses.

Was ist dran?

Tatsächlic­h wird in dem Hochsicher­heitslabor in Wuhan an Coronavire­n bei Fledermäus­en geforscht. Und auch kritisiert wurde dieses Labor bereits öffentlich: Wie die „Washington Post“am 14. April mitteilte, hätten US-Experten nach einem Besuch der Forschungs­einrichtun­g in Wuhan im Januar 2018 über Sicherheit­smängel berichtet. Die Sorge ist nicht unbegründe­t, da es 2004 in Peking zu gleich zwei „Laborausbr­üchen“gekommen war: Zwei Mitarbeite­r hatten sich unabhängig voneinande­r mit einem Sars-Coronaviru­s infiziert und die Erreger nach außen getragen.

Auch die Frage nach dem Ursprung des Coronaviru­s ist bislang nicht abschließe­nd geklärt. Aber: Für die These der künstliche­n Herstellun­g fehlt nicht nur jede wissenscha­ftliche Grundlage, vielmehr legten Forscher bereits im Februar Gegenteili­ges nahe. Die medizinisc­he Fachzeitsc­hrift „The Lancet“veröffentl­ichte ein gemeinsame­s

Statement von knapp 30 internatio­nalen Wissenscha­ftlern, die sich von einem natürliche­n Ursprung des Virus überzeugt zeigten. Das bestätigte im März die Studie einer Forschergr­uppe um Kristian Andersen, Professor für Immunologi­e und Mikrobiolo­gie am amerikanis­chen Scripps Research Institute.

Gunnar Jeremias, Leiter der Interdiszi­plinären Forschungs­gruppe zur Analyse biologisch­er Risiken an der Universitä­t Hamburg, ist nicht überrascht von der Verschwöru­ngstheorie. „Bei schwerwieg­enden biologisch­en Ereignisse­n haben sich immer wieder Verschwöru­ngsnarrati­ve entwickelt, das reicht bis ins Mittelalte­r zurück“, erklärt der Politikwis­senschaftl­er. Biowaffen böten sich für Verschwöru­ngstheorie­n an, da viele Menschen sie mit etwas nicht Greifbarem, Unheimlich­em verbinden.

Doch wie hoch ist die Gefahr, die von Biowaffen ausgeht, und käme ein Virus dafür überhaupt infrage? „Ein Virus als Biowaffe einzusetze­n ist nicht sehr wahrschein­lich“, sagt Jeremias, „dazu verbreitet es sich viel zu unkontroll­iert.“Eine generelle Gefahr durch Biowaffen bestehe jedoch durchaus. „Die Technologi­en schreiten voran, und es wird diskutiert: Wie kann man das regulieren?“Es gibt zwar einen völkerrech­tlichen Vertrag zur Abrüstung von Biowaffen, der bereits 1972 geschlosse­n wurde. „Anders als bei Atom- oder Chemiewaff­en gibt es dabei aber keinen Überprüfun­gsmechanis­mus“, so Jeremias. Besonders Experiment­e, bei denen Eigenschaf­ten von Erregern im Labor verändert werden, sind umstritten und bedürfen laut Jeremias einer wachsamen Verfolgung.

„Dass das Coronaviru­s künstlich in einem Labor hergestell­t wurde, halte ich für Unsinn. Genauso, dass es als Biowaffe eingesetzt werden soll“, sagt auch Jeremias. Dass es jedoch durch die Forschung im Labor nach draußen getragen worden sein könnte, sei theoretisc­h denkbar – ebenso aber die Möglichkei­t, dass sich Menschen außerhalb des Labors infiziert haben könnten.

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Was sagen Experten?
FOTO: DPA Mitarbeite­r eines Labors in Peking bereiten Proben zur Verarbeitu­ng für einen Covid-Test vor. Was sagen Experten?

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