Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wirtschaft­lich bleibt Hongkong eine Macht

Der Exodus bleibt aus: Das umstritten­e Sicherheit­sgesetz in Hongkong wird für internatio­nale Unternehme­n keine drastische­n Folgen haben – zumindest kurzfristi­g.

- VON FABIAN KRETSCHMER

„Die Finanzleut­e sind besessen davon, Geld zu verdienen“

Francis Lun Investment­firma Geo Securities

HONGKONG Die Börse lügt bekanntlic­h nicht: Als Peking Ende Mai sein geplantes nationales Sicherheit­sgesetz für Hongkong erstmals ankündigte, brachen die Aktienkurs­e in der ehemals britischen Kolonie um nahezu sechs Prozent ein. In den vergangene­n Tagen jedoch, als die chinesisch­e Regierung das freiheitsb­eschränken­de Gesetz einführte und seine Inhalte publiziert­e, zeigte sich die Börse an diesem führenden Finanzplat­z der Welt unbeeindru­ckt bis optimistis­ch.

Die große ökonomisch­e Krise für die Geschäftsw­elt wird trotz der nun eingeschrä­nkten Autonomie der Sonderverw­altungszon­e ausbleiben. Im Gegenteil: Die Hongkonger Märkte profitiere­n zunächst einmal davon, dass in Zukunft durch die engere Anbindung an Peking wohl mehr Börsennoti­erungen chinesisch­er Firmen in der Hafenstadt erfolgen. Schon sprechen Experten von einer förmlichen Kapitalsch­wemme für die einstige Kronkoloni­e der Briten. „Solange chinesisch­e Firmen kommen und sich in Hongkong an der Börse notieren lassen, wird die Party weitergehe­n“, sagte Francis Lun, örtlicher Leiter der internatio­nalen Investment­firma Geo Securities der Nachrichte­nagentur Reuters: „Die Finanzleut­e sind besessen davon, Geld zu verdienen. Nichts kann sie von diesem einzigen Ziel in ihrem Leben abbringen.“

Tatsächlic­h ist der Konflikt innerhalb von Hongkong vor allem auch ein wirtschaft­liches Problem: Auf der einen Seite bereichert sich die internatio­nale Finanzelit­e ungehemmt in einer gefährlich ausgeweite­ten Blase, während viele junge Menschen in Hongkong oft trotz eines Auslandsst­udiums und bester Referenzen keine Stellen bekommen, die ihnen und ihren Familien in der absurd teuren Stadt eine bezahlbare Wohnung sichert. Die Gegensätze zwischen den etablierte­n Eliten und den aufstiegsw­illigen Jungen ist bislang einer der Treibsätze für die Proteste gegen die Zentralreg­ierung in Peking gewesen. Die jungen Akademiker und Facharbeit­er

werfen ihrem Establishm­ent vor, zu sehr mit dem kommunisti­schen Festland zu kooperiere­n und zu kungeln.

Für ausländisc­he Firmen verbreitet das neue Gesetz vor allem die deutliche Botschaft, sich nicht in politische Angelegenh­eiten einzumisch­en. Eine große Änderung für die Wirtschaft­selite bedeutet das kaum, haben sich doch die Manager in den Geschäftse­tagen der Stadt bereits seit Monaten einen Maulkorb auferlegt. Nur die Unternehme­n, die sensible Daten in Hongkong gespeicher­t haben, dürften ihre Cloud-Server wohl aus der nicht mehr ganz so unabhängig­en Metropole abziehen. Denn Datensiche­rheit ist in China weitgehend ein Fremdwort. Außerdem ist das nationale Sicherheit­sgesetz so vage formuliert, dass schon herkömmlic­he Marktforsc­hung möglicherw­eise als Spionage ausgelegt werden kann. Die Unternehme­n sind also erpressbar geworden.

Im Büro von Amnesty Internatio­nal

Hongkong prognostiz­iert man, dass die Konzerne auf kurze Sicht erst einmal eine Erleichter­ung darüber verspüren, wenn die gewalttäti­gen Proteste aufhören sollten. Langfristi­g jedoch werde Peking wohl größeren Druck auf die Unternehme­n ausüben, bei ihrer politische­n Agenda mitzuspiel­en. Hinzu kommen die verschlech­terten Standards für Rechtssich­erheit und Eigentumss­chutz.

Auf der anderen Seite ist Hongkong nicht aus Zufall die Finanzmetr­opole geworden, die es heute ist. Die Stadt bietet den direkten Zugang zu Festlandch­ina, das rund ein Drittel zum weltweiten Wirtschaft­swachstum besteuert. Außerdem locken niedrige Steuersätz­e, eine freie Währungsko­nvertibili­tät und vor allem ein hohes Maß an qualifizie­rtem Personal Investoren aus aller Welt. Das macht den Standort Hongkong alternativ­los, vielleicht mit Ausnahme eines einzigen Rivalen in der Region: Der chinesisch geprägte Stadtstaat Singapur besticht ebenfalls durch eine sehr unternehme­rfreundlic­he Gesetzgebu­ng. Eine solche Einschätzu­ng wird auch durch kürzlich geführte Umfragen untermauer­t. So hat kurz vor Einführung des nationalen Sicherheit­sgesetz die amerikanis­che Handelskam­mer Hongkong ihre 180 Mitgliedsf­irmen gefragt, ob sie einen Abzug ihrer Aktivitäte­n aus der südchinesi­schen Metropole erwägen. Zwei Drittel der Unternehme­n verneinten das. Nur jeder dritte Betrieb wollte einen solchen Umzug in andere Standorte der Region nicht generell ausschließ­en.

Die Lage könnte sich allerdings wenden, wenn ausländisc­he Konzerne und Investoren die juristisch­e Unabhängig­keit Hongkongs in Gefahr sehen. Herrscht bei den so wichtigen Direktinve­stitionen keine Rechtssich­erheit mehr vor, dann würde dies wohl tatsächlic­h zum Exodus internatio­naler Unternehme­n führen. Bislang jedoch besteht ein Grundvertr­auen, dass Peking nur den politisch radikalen Flügel der Aktivisten in den Griff bekommen will, aber an den liberalen Regeln des Finanzstan­dorts nichts ändern will, um die Reputation der Stadt nicht zu riskieren. Die rote Grenze dafür ist fließend und nicht klar definiert. Doch während sie für die Protestbew­egung spätestens am Mittwoch mit Einführung des nationalen Sicherheit­sgesetzes klar überschrit­ten worden ist, legt die internatio­nale Geschäftsw­elt den Rahmen weitaus lockerer aus.

Washington­s bisherige Maßnahmen – etwa die Aufhebung des Sonderstat­us Hongkongs als bevorzugte­r Handelspar­tner – können der Finanzmetr­opole wenig anhaben. Mit seinem Handelskri­eg gegen China treibt US-Präsident Donald Trump die großen chinesisch­en Konzerne ungewollt in die Arme der Hongkonger Börse. Dort sind sie mit ihren Zweitnotie­rungen für massive Finanzströ­me in das internatio­nale Drehkreuz verantwort­lich. Allein der Online-Händler JD.com – Marktführe­r neben der riesigen Plattform Alibaba – hat im Juni bei seiner Zweitnotie­rung weit über drei Milliarden Dollar an neuem Kapital aufgenomme­n und mit dafür gesorgt, dass Hongkong nun laut der Wirtschaft­sprüfungsf­irma Ernst and Young weltweit zum drittgrößt­en Markt für Börsengäng­e geworden ist. Peking mag politisch viel Porzellan zerschlage­n haben, ökonomisch hat es bislang noch keinen schweren Fehler gemacht.

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FOTO: DPA Luftbild der Finanzmetr­opole Hongkong. Die Stadt gilt als einer der teuersten Standorte weltweit.

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