Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Auf Corona-Soforthilfe folgt Enttäuschung
Zahlreiche Firmen müssen Hilfsgelder zurückzahlen. Die Grünen fordern eine Verlängerung der Frist über das Jahresende hinaus.
DÜSSELDORF Am Dienstag fanden Heike Seidel und Anja Diegelmann das Schreiben in ihrem Posteingang: eine Aufforderung, die erhaltenen Corona-Soforthilfen zurückzuzahlen. Die Einnahmen ihres Gastro-Betriebs Henkelmann Deluxe hätten ihre laufenden Betriebskosten während der Förderperiode gedeckt, hieß es. Somit verfalle der Anspruch. „Rückblickend wäre es besser gewesen, wenn wir unseren Betrieb bis heute geschlossen gehalten hätten”, sagt Seidel. „Wir mühen uns ab, versuchen, das Geschäft wieder anzukurbeln und werden dafür so bestraft.” Ihre Kosten hätten sie bewusst niedrig gehalten, wollten mit dem Geld sparsam haushalten. Doch ihre Ausfälle lägen dennoch bei etwa 80 Prozent. Wer, wenn nicht sie, sei dann förderbedürftig, fragt Seidel.
Ähnlich geht es vielen Kleinunternehmern in diesen Tagen. Die beim Ausbruch der Corona-Pandemie von Bund und Land so zügig und unbürokratisch bereitgestellte Soforthilfe entpuppt sich als große Enttäuschungs-Maschinerie. Der Duisburger Gastronom Marc Weber ist zugleich Vorsitzender Kreisgruppe Duisburg des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. Er kritisiert, viele seiner Kollegen stünden schon jetzt kurz vor der Insolvenz. „Nun sollen wir auch noch die Corona-Soforthilfe zurückzahlen. Für viele von uns ist der komplette Betrag fällig“, sagt der Inhaber des Webster-Brauhauses, eines der bekanntesten Restaurants der Stadt. Weber hat im März durch das Hilfsprogramm des Wirtschaftsministeriums 25.000 Euro erhalten. „Wenn ich die Einnahmen und Ausgaben jetzt gegenüberstelle, werde ich alles zurücküberweisen müssen – und dabei sind wir bereits fünfstellig im Minus“, sagt er.
Das große Problem ist, dass bei vielen Unternehmern der Eindruck entstanden ist, die Soforthilfe, die je nach Betriebsgröße zwischen 9000 und 25.000 Euro betragen hat, sei ein fester Hilfsbetrag, der in voller Höhe aufgebraucht werden könne. NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) stellte am Freitag jedoch bei einer Sondersitzung des Finanzausschusses noch einmal klar: Es seien – wie vom Bund vorgesehen – schnell die Höchstbeträge ausgezahlt worden. „Es war aber von vornherein klar, dass es im Nachhinein eine Abrechnung geben muss.“Die Hilfen seien nur zum Ausgleich von Liquiditätsengpässen gedacht, also betriebliche Einnahmen minus betriebliche Ausgaben.
Das große Problem vieler Unternehmer: Sie haben die Hilfe auch dafür eingesetzt, ihre Mitarbeiter zu bezahlen. Für Arbeitskosten war das Geld jedoch nicht vorgesehen. Sie hätten stattdessen Kurzarbeitergeld beantragen müssen. Das Geld wird nun zurückgefordert. Anders sieht es bei den Lebenshaltungskosten aus. Hier zeigt sich NRW großzügiger. Während der Bund klar den Standpunkt vertritt, dass das Geld nicht für den Lebensunterhalt der Selbstständigen verwendet werden darf, gewährt NRW all jenen, die im März und April keinen Antrag auf Grundsicherung gestellt haben, einen indirekten Zuschuss von insgesamt 2000 Euro.
Markus Herbert Weske (SPD) warf Land und Bund vor, sie hätten bei den Unternehmern falsche Erwartungen geschürt. Lienenkämper wies das zurück. Schon aus dem Antragsformular sei ersichtlich gewesen, dass am Ende abgerechnet würde.
Grünen-Fraktionschefin Monika Düker forderte Nachbesserungen. So entstünde vielen Künstlern derzeit ein Nachteil daraus, dass die Gema als schnelle Hilfe in der Krise die Jahreszahlungen früher gewährt habe. Diese Beträge würden nun auf die Soforthilfe angerechnet, auch wenn sie fürs gesamte Jahr gelten.
Sowohl Finanz- als auch Wirtschaftsministerium verwiesen darauf, dass es klare Vorgaben des Bundes gebe, an die sich das Land im Zuge der Soforthilfen halten müsse. Ein äußerst schwacher Trost dürfte für die Unternehmer Lienenkämpers Verweis sein, dass die Hilfen erst bis Ende des Jahres zurücküberwiesen werden müssten. Insofern seien sie quasi wie ein zinsloser Kredit.
Henning Thomas Graf von Schwerin, Präsident des Dehoga Nordrhein, kritisierte, die nunmehr im Verfahren vorgesehene Ermittlung des Liquiditätsengpasses bringe viele Unternehmer in Rage, da sie die Insolvenz nunmehr konkret auf sich zukommen
sehen. „Wer zwischen Beantragung und Rückforderung Förderbedingungen so massiv ändert, dass selbst Unternehmen, die zwischen März und Mai 90 Prozent ihres Umsatzes verloren haben, zu 100 Prozent die empfangene Soforthilfe zurückzahlen müssen, hat die Rettung der Betriebe und Unternehmen aus den Augen verloren.“Man könne rückblickend leider weder von “Sofort“noch von „Hilfe“sprechen.
Mona Neubaur, Grünen-Chefin von NRW, kritisierte die Frist bis Jahresende: Das gehe komplett an der Lebensrealität vieler Gastronomen und anderer Selbstständiger vorbei. Damit verschärft die Landesregierung die Insolvenz-Bedrohung. Sie forderte, die Frist müsse sofort verlängert werden. „Sofern dafür Bundesregelungen maßgeblich sind, muss sich die Landesregierung unverzüglich bei Peter Altmaier für eine Änderung einsetzen.“